Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey. Stefan Ernsting

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Название Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871162



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namenlosen Stadt in Deutschland auf. Solneman sei der Name, lässt der Fremde kurz wissen und unterbreitet das Angebot, für 73 Millionen Mark den örtlichen Park kaufen zu wollen. Geld hat der Fremde in Hülle und Fülle. Die Stadt geht auf den Deal ein und verkauft seine Grünanlagen. Solneman baut eine riesige Mauer um den Stadtpark, die ihn vor neugierigen Blicken schützen soll. Das Rätselraten beginnt. Wer ist der sonderbare Bursche mit der Maske, der sich dort fernab der Welt mit seinem Reichtum niedergelassen hat? Die Stadtbewohner versuchen mit aberwitzigen Methoden, die Mauer zu überwinden, aber stets scheitern sie an Solneman, der auf alles vorbereitet zu sein scheint. Niemand, nicht einmal dem schneidigen Leutnant Eckern-Beckenbruch, gelingt es, auch nur einen Blick in den Park zu erhaschen. Die Bürger der Stadt rätseln in den Wirtshäusern, was sich hinter der Mauer abspielt. Es ist die Rede von genetischen Tierversuchen und Menschenopfern bei Mondschein. Längst ist Solneman der Sündenbock für alles Schlechte. Was auch immer passiert, es hat nur mit dem Kerl hinter seiner Mauer zu tun. Gerüchte kursieren im ganzen Land, und so kommt auch der Kaiser eines Tages vorbei, um dem komischen Fremden vorgestellt zu werden. Aber Solneman hat es nicht nötig, mit dem Kaiser Kaffee zu trinken. Er will nur seine Ruhe. »Um diese Zeit war es, daß die Neugier der Städter, ihre krankhafte Sehnsucht, Solneman, den Belächelten, Bestaunten, Mißachteten, Gefürchteten, von Angesicht zu Angesicht zu sehen, erschreckend wuchs und die Form einer Seuche annahm. Man wollte und wollte den Rätselhaften enträtseln. Ein Gesicht sagt viel, ein Gesicht sagt alles. Die Seele steht darin. Wo ist sein Gesicht? Unerträglich, es nicht zu kennen. Haufen umlagerten die Mauer, nicht nur tagsüber, auch des Nachts. Die Polizei war machtlos.« (SDU2, S. 55) Eines Tages gelingt es aber einem Stoßtrupp von Bürgern tatsächlich, das Paradies hinter der Mauer zu erobern. Der Park scheint unverändert und der große Unbekannte, dessen Namen man auch rückwärts lesen kann, ist verschwunden. Nur seine Maske und ein Brief bleiben zurück. Die Bürger finden dafür aber Leutnant Eckern-Beckenbruch, der nach einem waghalsigen Versuch, die Mauer zu überwinden, verschollen war, nackt in einem Affenkäfig sitzen. Der Bürgermeister verliest den Brief von Solneman, dem man auf Grund von Vorurteilen kurz zuvor noch unentwegt Strafzettel geschickt hatte. Alle machen betretene Gesichter, aber die letzten Sätze des Romans deuten an, dass die Bürger ihre Lektion nicht gelernt haben. »Alle standen verstummt, wussten nicht, ob sie gehen – wohin sie denn gehen sollten. Da fand der Polizeipräsident ein befreiendes Wort, - und während er sprach, setzte man sich mit erlösten Mienen, froh des wichtigen Geschäftes, in Bewegung. Er entschied: ›Augenblicklich ist wohl die Hauptsache, daß Leutnant von Eckern-Beckenbruch seine Uniform wieder bekommt. Besorgen wir das doch gleich und schleunigst, meine Herren!« (SDU, S. 276)

      1914 erschien der Roman erstmals als Teilabdruck in der »Neuen Zürcher Zeitung« und kurz danach, ausgestattet mit 12 Holzschnitten von Otto Nückel, im Delphin Verlag in München. Der Abdruck in der renommierten Schweizer Tageszeitung musste bei Ausbruch des Krieges eingestellt werden. Zwei Jahre später wurde »Solneman der Unsichtbare« auch als Feldpostauflage veröffentlicht. 1920 erschien eine zweite Auflage (6.-10. Tausend). Laut Katrin Hoffmann-Walbeck sollte der Roman auch verfilmt werden, wozu es aber nie kam. Im »Literarischen Jahresbericht des Dürerbundes« war über den »Solneman« zu lesen: »Dem ›Golem‹ ebenbürtig, an Stileinheit ihm überlegen, erscheint uns A. M. Freys spöttische, geistreiche Groteske von jenem Hciebel ›Solneman‹, der mit viel Geld einen Stadtpark erwirbt und sich dort einmauert, aber infolge der Neugier und Torheit der guten Stadt schließlich sein Ziel verliert; dies heiter wehmütige Buch gehört zu den wenigen wirklich phantasievollen und echten Grotesken unserer Zeit.« (KUD, S. 285) Eugen Kaltschmidt schrieb in der »Frankfurter Zeitung«: »Ich habe lange kein modernes Buch gelesen, das so leicht und frei wie dieses auf Dichterschwingen über Dichterslande trägt.« (KUD, S. 285) Thomas Mann schrieb über »Solneman der Unsichtbare«: »Ich habe Ihre großartige Schnurre nun als Ganzes gelesen, und finde meinen ersten Eindruck bestätigt: nämlich, dass sie zum Allerbesten gehören, was die phantastische Literatur hervorgebracht hat.« (BLDUPL, A. M. Frey. S. 2)

Illustration von Otto Nueckel

      Solneman der Unsichtbare - Illustration von Otto Nückel, 1909

      Mit »Solneman der Unsichtbare« gelang Frey eine Satire auf den Geist des deutschen Kaiserreichs, die bis heute nichts von ihrem Esprit verloren hat. Der Roman spritzt vor komischen Ideen und sparte dabei nicht mit Verweisen auf sein Münchener Umfeld, das Kabarett »Die Elf Scharfrichter« oder den englischen Garten. Der Autor betonte die lokalen Anspielungen ausdrücklich in einem Brief vom 23. Oktober 1952 an den Verleger Karl Desch: »Der Roman spielt in München, und das ist so offenbar, daß ein großer Teil der Leser und der Kritik es ohne weiteres gewußt und es mit Vergnügen und Gelächter konstatiert hat. Schauplatz ist der Englische Garten, das Rathaus, die Oktober-Festwiese, der Viktualienmarkt und die ganze Stadt.« (KHW, S. 150) Neben skurrilen Impressionen wie dem Besuch des deutschen Kaisers in der örtlichen Gemäldefabrik, überzeugt Frey immer wieder mit Anspielungen auf die Verhältnisse und Erscheinungen seiner Gegenwart, die er in ein phantastisches Gewand kleidete. Frey spottet über Fremdenhass, die Verfolgung Andersdenkender, Beamte, Militärs und Dorfbewohner, die nachts mit Fackeln und Mordlust in den Augen einen Berg hoch marschieren. Je undurchsichtiger das Treiben des merkwürdigen Fremden wird, desto eindeutiger entlarvt sich das deutsche Spießertum.

      Als Satiriker ist Frey nicht unbedingt an einer differenzierten Betrachtung der realen Verhältnisse interessiert. Seine Helden sind klischeehaft gezeichnet und schon an ihren Namen als Witzfiguren zu erkennen. Die Spießigkeit des Droschkenkutschers unterscheidet sich für Frey dabei nicht groß von der eines Mitglieds der höheren Gesellschaft. Die sozialen Unterschiede innerhalb einer keifenden Menschenmasse waren für ihn nicht von Belang. Katrin Hoffmann-Walbeck schrieb dazu in ihrer Dissertation: »Frey Darstellung des sozialen Gefälles bezieht sich nur auf die unterschiedlichen Konsum-Möglichkeiten. Die Produktionssphäre - die Herstellung des Reichtums - scheint ihn wenig zu interessieren, nur die Verteilung des Reichtums verurteilt er als ungerecht. Das ist - zumal er sowohl die Armen als auch die Reichen als Vereinzelte vorstellt - im wesentlichen moralische und nicht ökonomische Kritik. Sein Hauptargument ist dabei, ganz nach humanistischem Maßstab, daß die ungleiche Verteilung weder den einen noch den anderen zufrieden macht. Ist dieser passiv und schwach aus Not und daraus folgendem fehlenden Selbstbewußtsein, ist es jener aus Übersättigung und fauler Muße. Der Spott, mit dem Frey trotz aller Sentimentalität seine Protagonisten der Armut bedenkt, lässt eine Nähe zum vorwiegend moralisch argumentierenden Anarchismus ahnen, der Gewaltanwendung für nötig erachtet, aber nicht gutheißt, der vor allem auch eher der (persönlichen) Rebellion zuneigt als dem sorgfältig geplanten Umsturz. Weniger in den radikalen Thesen Gustav Landauers, eher im sanften Anarchismus eines Kropotkin (...) verwischen sich die Grenzen zum bürgerlichen Humanismus, wie er von Frey in ziemlich typischer Weise gestaltet wird« (KHW, S. 290).

      Die Begegnung mit Thomas Mann blieb für Frey nicht ohne Folgen. Man tauschte nach der »Solneman«-Lesung Höflichkeiten aus und lernte sich gegenseitig schätzen. Der berühmte Schriftsteller wurde für Alexander Moritz Frey schnell zu einem guten Freund, der ihn später auch in bitterster Not nicht im Stich lassen sollte. Mit dessen Bruder Heinrich Mann, den er erst nach dem 1. Weltkrieg kennenlernte, verband Frey eine ebenso enge Freundschaft. Als Autor war er diesem dabei bedeutend näher als dessen Bruder Thomas. Er verkehrte oft in Heinrich Manns Haus in Schwabing, wo man unter Schriftstellern die Fragen der Zeit diskutierte. Frey war aber auch im Hause Thomas Manns ein gern gesehener Gast und fühlte sich der ganzen Familie bis zu seinem Tode eng verbunden. Bei aller Bescheidenheit war Frey stolz auf seine Freundschaft zu Thomas Mann, vor dessen Schaffen er gewaltigen Respekt hatte. Thomas Mann schrieb später über Freys Werk, es »sei eine ›alte Zuneigung‹ im Spiel und charakterisierte seinen Kollegen als »Mann von hintergründiger Gesetzheit, Verständigkeit, Ruhe und Güte, mit dem ich seit Jahrzehnten auf gutem Fuße stehe.« Es handele sich »um gute Dinge von gehaltener Schmerzlichkeit und Komik. Einer gewissen grotesken Überwirklichkeit, ja milden Absurdität entbehrt nichts davon, ist aber alles mit literarischer Höflichkeit und still parodistischer Hergebrachtheit vorgetragen, eine Haltung, die ich schätze. (...) Ich habe das alles sehr gern.« (Mann, Werke, S. 827)

      Neben Thomas und Heinrich Mann zählten auch die phantastischen