Название | Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey |
---|---|
Автор произведения | Stefan Ernsting |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871162 |
Alexander Moritz Frey in jungen Jahren
Leuchtendes München
Alexander Moritz Frey verweigerte eine bürgerliche Karriere. Er hatte längst beschlossen, Schriftsteller zu werden. Der musisch orientierte Vater schien allerdings kein Verständnis für den Berufswunsch seines Sohnes zu haben. Immer wieder geriet er mit seinem Vater aneinander, der nach dem vermasselten Staatsexamen endgültig mit ihm brach. »Störungen seines geistig-seelischen Gleichgewichts konnte er rücksichtslos abstellen«, schrieb Alexander Moritz Frey später in sein Notizbuch (KHW, S. 101). Er bereiste für einige Wochen Italien und Österreich bevor er nach München zurückkehrte um Schriftsteller zu werden. Zuletzt hatte er sich im Mai 1904 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg eingeschrieben, wo er am 15. Februar 1905 exmatrikuliert wurde. Bis 1908 bewohnte er, meist als Untermieter, sieben verschiedene Zimmer in München bis er eine Wohnung in der Maximilianstraße 15 gegenüber den Kammerspielen bezog, die er bis 1933 bewohnte.
Frey konzentrierte sich fortan voll und ganz aufs Schreiben. Seinen Arbeitstag begann er in der Dämmerung der frühesten Frühe und Unterbrechungen waren ihm ebenso verhasst wie Straßenlärm und »ewig schnüffelnde« Hunde. Er nahm seine Arbeit sehr ernst und unterbrach sie nur für einen täglichen Spaziergang um seine Gedanken zu sammeln. Frey trug Maßanzüge und ließ sich jedes Jahr neue Visitenkarten und Briefpapier mit selbst entworfenem Namenszug drucken, lebte aber ansonsten ausgesprochen bescheiden und ohne nennenswerte Laster. Er rauchte nicht, trank kaum Kaffee oder Alkohol und machte sich nicht viel aus Fleisch.
Als Alexander Moritz Frey zaghaft seinen Platz in der Moderne suchte, war die Kunstwelt mitten im Umbruch und München spielte dabei eine wichtige Rolle. Wassily Kandinsky, Paul Klee, Alfred Kubin, Michael Georg Conrad oder Franz Marc wohnten an der Isar. Karl Valentin, Hugo Ball und der dichtende Freiheitskämpfer Oskar Panizza trieben ihr munteres Unwesen. Frey fühlte sich in den literarischen Zirkeln von München nicht unbedingt heimisch und nahm auch keinen großen Anteil am Treiben der »Bürgerbohème« (Kurt Tucholsky), die sich in Schwabinger Wirtshäusern die Köpfe heiß redete. Schon früh fand er trotzdem seinen Platz im Kreise der Künstler und Schriftsteller, die in München von sich reden machten.
Frey war eng mit dem Maler und Karikaturisten Otto Nückel befreundet, der seinen Sarkasmus teilte. Nückel, ein Pionier des Bleischnitts, war ebenfalls Studienabbrecher und ein Anhänger des Skurrilen. Er bestärkte Frey in dessen Arbeit und illustrierte später zwei seiner Bücher. Nückel vermittelte seinem Freund auch den Kontakt zur berühmten Satire-Zeitschrift »Simplicissimus«, für die er als Illustrator und Karikaturist arbeitete. Er schleppte Frey gelegentlich mit in die zugehörige »Künstlerkneipe Simplicissimus« in der Türkenstraße 57, wo sich alles betrank, was in München Rang und Namen hatte. Ursprünglich sollte die Kneipe »Kleine Dichtelei« heißen, aber Rudolf Wilke, der Verleger des berühmten Satireblattes, hatte der Wirtin Kathi Kobus zu fortgeschrittener Stunde nach der Eröffnung gestattet, den Namen im Tausch gegen ein paar Runden Sekt zu verwenden. Thomas Heine, Schöpfer der berühmten Simplicissimus-Bulldogge, malte der Wirtin noch zusätzlich ein eigenes Wappen - eine Bulldogge, die sich bemüht, eine Sektflasche zu öffnen. Thomas Mann, Ludwig Thoma oder Erich Mühsam tranken hier ebenso ihr Bier wie Politiker, Diplomaten oder internationale Stars wie Isadora Duncan. Auf der kleinen Bühne wurden regelmäßig Lieder und Gedichte vorgetragen. Im »Alten Simpl«, wie man in Künstlerkreisen sagte, verwandelte sich Hans Bötticher in Joachim Ringelnatz und selbst der große Caruso ließ es sich nicht nehmen, den Stammgästen vor Ort eine kleine Kostprobe seines Könnens zu geben. Otto Nückel hatte im »Alten Simpl« einen Stammtisch, dem u. a. auch der Maler Franz Marc angehörte. Franz Marc (1880-1916), Expressionist und einer der Mitbegründer des »Blauen Reiters«, wurde zu einem weiteren guten Freund für Frey. Wenn ihm die Wirtshausatmosphäre im »Simplicissimus« auch nicht wirklich behagte, ließ sich Frey trotzdem immer wieder von seinen Freunden überreden, das Arbeitszimmer zu verlassen und sie zu ihrem Stammtisch zu begleiten. Im »Alten Simpl« lernte Frey auch seinen langjährigen Freund Max Kolmsperger kennen, der später Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbandes werden sollte. Alexander Moritz Frey war ein stiller Gast im »Alten Simpl«, der nicht weiter auffiel. Ohne selbst einen großen Namen zu haben, verkehrte er dank Nückel trotzdem mit den großen Namen aus Kunst und Literatur. Der direkte Draht zum literarischen München war hergestellt und die neuen Kontakte wollten genutzt werden. Für einen einsamen jungen Mann, der sein Leben lang Schriftsteller werden wollte, konnte es zunächst nicht besser laufen.
Poster der Simplicissimus-Bulldogge von Thomas Theodor Heine, eines der ersten modernen Plakate Deutschlands. Original von 1897
Alexander Moritz Frey veröffentlichte sein erstes Gedicht »Musik« im Januar 1907 in »Westermanns Monats-Heften«. Weitere Gedichte erschienen in Anthologien wie »Neue deutsche Gedichte« (Leipzig, 1908) und »Stimmungen« (Dresden, 1909), die von Hermann Beuttenmüller herausgegeben wurden. Frey hatte Beuttenmüller, der hauptberuflich Jurist war und nebenbei Gedichte schrieb, beim Studium in Freiburg kennengelernt. »In der Korrespondenz zwischen Frey und Beuttenmüller spiegeln sich die Probleme und Widerstände wieder, denen literarische Anfänger zu allen Zeiten ausgesetzt sind: Bezahlung und Belegexemplare bleiben aus, Manuskripte werden verschlampt, Termine nicht eingehalten etc.« (KHW, S. 80) Frey erhielt für seine ersten Veröffentlichungen überhaupt kein Geld von Beuttenmüller, der seine Autoren zudem nötigte, einen Teil der Auflage selbst abzunehmen.
Der zurückhaltende Frey war schon in jungen Jahren sehr belesen und erwies sich für Beuttenmüller als außerordentlich nützlich. Er benutzte Frey, der das entsprechende Gespür dafür zu haben schien, um weitere Autoren für seine Anthologien zu gewinnen. Erst 1928 lehnte sich Frey zaghaft gegen Beuttenmüllers Geschäftsgebaren auf und klagte am 8. Juni schriftlich ein ausstehendes Honorar ein, schließlich sei er »darauf angewiesen, vom Gewinn (s)einer Arbeiten zu leben.« (KHW, S. 105)
Frey publizierte weiterhin gelegentlich Gedichte, konzentrierte sich aber bald vor allem auf Kurzgeschichten und Erzählungen. Seine ersten Erzählungen erschienen bei Beuttenmüller im »Deutschen Novellenbuch« (Leipzig, 1910) und in »Heitere Geschichten« (4 Bände, Leipzig, 1910-1913). Im Oktober 1910 erschien seine Kurzgeschichte »Weltuntergang« in der Nr. 3 von »Licht und Schatten. Wochenschrift für Schwarzweisskunst und Dichtung«, einer illustrierten literarisch-künstlerischen Zeitschrift mit expressionistischem Einschlag, die von 1910 bis 1916 erschien und längst in Vergessenheit geraten ist. Neben den Brüdern Mann schrieben Hermann Hesse, Christian Morgenstern, Stefan Zweig oder Vicky Baum für die Zeitschrift, die Kunst und Literatur gleichermaßen Platz einräumte. Die Illustrationen stammten von Künstlern wie Alfred Kubin, Käthe Kollwitz, Carl Spitzweg, Max Liebermann und Lyonel Feininger. Einzelne Exemplare der Zeitschrift können allerdings nur noch bei einigen wenigen Sammlern bewundert werden. Die Literaturwissenschaft hat die »Licht & Schatten« bis heute nicht entdeckt und so ist nur sehr wenig über die Geschichte der Zeitschrift bekannt.
Entstanden war die »Licht und Schatten« aus dem Engagement des Druckereibesitzers Josef Molling aus Hannover, der sich von einer Konkurrenz zum »Simplicissimus« Profit versprach. Der Herausgeber Hanns von Gumppenberg (1886-1928), auch unter den Pseudonymen »Jodok« oder »Immanuel Tiefbohrer« bekannt, war ein notorischer Unruhestifter und in München bereits als Schriftsteller, Theaterkritiker und Satiriker aufgefallen. 1891 hatte er der frisch gegründeten »Gesellschaft für modernes Leben« in München eine Reihe Parodien prominenter Lyriker vorgetragen, die zehn Jahre später unter dem Titel »In allen Gangarten vorgeritten« auch als Buch erschienen. Er »entfesselte damit den verhaltenen Ingrimm der Reaktionären zu heftigem Protest«, wie von Gumppenberg in seinen »Lebenserinnerungen« schrieb. 1901 gründete von Gumppenberg, der gerade zwei Monate Festungshaft wegen »fahrlässiger Majestätsbeleidigung« absolviert hatte, im »Alten Simpl« das erste Münchener Kabarett, die legendären »Elf Scharfrichter«.
Josef