Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey. Stefan Ernsting

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Название Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871162



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hartnäckig, ihrer stillen Überlegenheit sich bewusst - Nacht für Nacht.« (DG, S. 185)

      Die Menschen versammeln sich auf einem Berg und gucken mit Fernrohren in den Himmel. Die Dunkelheit lastet auf ihren Schultern und Stunde um Stunde wird die Stimmung auf dem Berg ein wenig düsterer. »Man soll anfragen - drüben in Amerika - wie es mit der Sonne steht« (DG, S. 189), wird beschlossen. Frey beendet die Geschichte ohne wirklich zum Schluss zu kommen. Antworten auf die Frage, warum es überhaupt zum Weltuntergang kam, waren von ihm nicht zu erwarten. »Ein kleiner alter Mann stand neben mir in die Menge gekeilt. Er hatte den Hut verloren, seine spärlichen, weißen Haare bäumten sich wild. Er reckte den Hals, schob die Brille unaufhörlich von der Nase auf die Stirn und wieder zurück und konnte doch keinem seiner Nachbarn bis an die Schulter gucken. Mit einer zittrigen und zerdrückten Stimme, zu der die wilden Haare ein wenig paßten, winselte er wie aus einem Schacht herauf zu mir: ›Wir werden nichts erfahren. Sehen Sie, wir werden nichts erfahren! So geht es immer in solchen Fällen!‹« (DG, S. 189 f.) Die Sonne kam nicht wieder, aber mehr erfuhr man tatsächlich nicht. Die Masse, die sich eben noch wie wild gebärdete, hockte stumpf auf dem Berg ohne sich zu verändern. Wenn Frey sich auch später für wissenschaftliche Katastrophen-Theorien begeisterte, interessierte ihn vor allem die Hoffnungslosigkeit der fiktiven Situation.

      Bis 1914 ließ Frey die Welt in zwei weiteren phantastischen Erzählungen (»Der Fremde« & »Der Träumende«) erneut untergehen und verweigerte weiterhin den Entwurf einer Utopie. In »Der Fremde« ließ er den Tod als »Laternenanzünder« auftreten und zeichnete trotz literarischem Schabernack ein traumartiges Bild der Hoffnungslosigkeit. Frey glaubte nicht an eine Gesellschaft mit der Möglichkeit zur Veränderung und machte dies mit »Weltuntergang« bereits in seiner ersten veröffentlichten Erzählung deutlich. Friedemann Berger schrieb in seinem Nachwort zu »Solneman der Unsichtbare«: »Während die positiven oder negativen Utopien der Aufklärer die Vorstellungen einer Veränderbarkeit der Gesellschaft zumindest als moralisch-optimistisches Postulat niemals preisgaben, hat sich für Frey nach hundert Jahren Elend der Aufklärung der Gegensatz als unüberbrückbar festgeschrieben zwischen Bürgergesellschaft und Individuum, in dessen schöpferischer Potenz bereits die Wurzeln zur Utopie liegen und dessen Namenlosigkeit eine Bedingung ist, die individualistisch-utopische Existenz rein führen zu können. Daß eine solche individualistische Existenz ihrerseits eine Utopie darstellt – daran lässt der Bürger-Schriftsteller Frey mit konstanter Ironie keinen Zweifel.« (Berger, in: SDU2, S. 295)

      Die ersten Rezensionen seiner Bücher ordneten Frey zwar in die Reihe der phantastisch-mystischen Autoren ein, die sich vor allem der Unterhaltung widmeten, lobten aber stets seine literarischen Qualitäten, die ihn von den meisten seiner Kollegen unterschieden. Alexander Moritz Frey schätzte neben Edgar Alan Poe auch den Franzosen Jules Verne und den Engländer H. G. Wells, aber die Instrumente der Unterhaltung waren für ihn nur Mittel zum Zweck. Eine Existenz als Produzent massentauglicher Geschichten über Geister, Raketen oder verglühende Planeten kam für ihn nicht in Frage. Frey schrieb auch in bitterster Armut niemals eine jener Geschichten, in denen die Menschheit in letzter Sekunde durch den Geistesblitz eines genialen Wissenschaftlers doch noch gerettet wird. Was nicht bedeuten soll, dass Alexander Moritz Frey nicht vorzüglich zu unterhalten wusste. Das Schreiben für die breite Masse, die er verachtete, war ihm einfach fremd. Schon früh hatte er sich auch für andere Künste interessiert, um seinen Horizont zu erweitern und nicht irgendwann als »typischer Vertreter« einer literarischen Mode abgeschrieben zu werden. Frey war mit dieser Haltung weit entfernt von den Werken anderer deutscher Phantastik-Autoren, die sich zu dieser Zeit entweder ausführlich mit Okkultismus beschäftigten oder bereits als Vorläufer der Science Fiction gelten mochten. Friedemann Berger schrieb: »Schon für die zeitgenössische Kritik unterschied sich Freys Phantastik von jener der neuen Phantasten durch ihren existentiellen Ernst.« (Berger, in: SDU2, S. 292)

      Rein A. Zondergeld nannte Frey einen »der wichtigsten, heute aber weitestgehend vergessenen Vertreter der großen Blüteperiode der deutschen Phantastik zwischen 1900 und 1930. (...) Sprachlich hebt sein Werk, daß manchmal expressionistische Anklänge erkennen lässt, sich in ihrer eleganten Präzision wohltuend von den häufig schwülstig und klischeegesättigten Arbeiten anderer deutschen Phantasten dieser Zeit, wie Strobl oder Gabelentz ab, während auch seine ideologisch fortschrittliche Handlung, die sich in einer bissigen Kritik am Bürgertum zeigt, ihn zu einer positiven Ausnahme inmitten seiner der Mehrheit nach reaktionären Kollegen macht.« (Zondergeld, Lexikon, S. 97)

Buchcover von Solneman der Unsichtbare

      Solneman der Unsichtbare - Cover von Ulrich Tarlatt, Gustav Kiepenheuer Verlag (Leipzig und Weimar, 1987)

      Der Namenlose

      Es wird oft übersehen, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts eine enge Verbindung zwischen Phantastik und Expressionismus gab. Der »Aufbruch ins Unbegrenzte« (Berger, in: SDU2, S. 284) wurde von Malern und Schriftstellern angeführt, die mit phantastischen Elementen hantierten, um die Unterwelten der menschlichen Psyche zu ergründen. Frey gehörte mit seinen Veröffentlichungen in der »Licht & Schatten« schon früh zu dieser Clique von jungen Künstlern und Autoren, aber er suchte eher selten ihre Gesellschaft. Das Auftreten der bürgerlichen Bohème Münchens blieb ihm weiter fremd und auch an den Saufgelagen seiner Kollegen mochte er sich nicht beteiligen. Frey galt als freundlicher Eigenbrötler und trieb sich nur in den literarischen Salons Münchens herum, um Stoff für seine Satiren zu bekommen oder auf Einladung aus eigenen Geschichten zu lesen.

      Seit 1908 arbeitete er an seinem Roman »Solneman der Unsichtbare«, der ihn auf einen Schlag einem größeren Publikum bekannt machen sollte. Frey hatte seinen Freund Otto Nückel schon früh nach Illustrationen für das Buch gefragt und dieser pries das Buch an seinem Künstler-Stammtisch so lange bis die Münchener Bohème vor Neugierde zu platzen schien. 1909 lud man den Autoren deshalb zu einer privaten Lesung für fünfzig Interessierte in die Wohnung von Arthur Kutscher (1878-1960) ein. Kutscher, der zu den Begründern der Theaterwissenschaft zählte und u. a. einen großen Einfluss auf Bertolt Brecht ausübte, veranstaltete regelmäßig Lesungen bei sich zu Hause. Frey fühlte sich geschmeichelt und sagte zu. Er kannte Kutscher seit März 1907 und hatte in dessen Wohnung bereits ein paar Gedichte vorgetragen. Auch nach dem Krieg las er öfters im »Kutscher-Kreis«, aber vor allem seine erste Prosa-Lesung blieb Frey im Gedächtnis weil er eine neue Bekanntschaft machen sollte, die für den Rest seines Lebens sehr wichtig sein würde. Unter den Gästen befand sich Thomas Mann, der seit Erscheinen der »Buddenbrooks« (1901) gewissermaßen der größte Superstar war, den die deutsche Literatur zu bieten hatte. Frey ließ sich von seinem prominenten Zuhörer nicht beirren und trug die ersten Kapitel aus »Solneman der Unsichtbare« vor. »Ich hatte, unerfahrener Anfänger, in privatem Zirkel vor fünfzig Leuten die Ehre vorzulesen. Ich machte es kurz«, erinnerte sich der Autor später mit der ihm eigenen Mischung aus Ironie und Bescheidenheit, »weil ich befürchtete: die langweilen sich ja doch nur. Als ich bekannte, aufhören zu wollen, erhob sich Thomas Mann und meinte, er spreche im Namen aller, wenn er mich bitte, fortzufahren. Ich entsinne mich gerade dieses Wortes. Fortfahren - argwöhnte ich - das konnte auch bedeuten: sich aus dem Staube machen. Aber ich blieb und las.« (SDU3, S. 224)

      Er war ein Spaßvogel, der Herr Frey und »Solneman« ist ein Buch, was man »an einem stillen Sonntagnachmittag ganz allein auf dem Sofa durchlesen und durchlachen kann«, wie es Kurt Tucholsky 1919 in der »Weltbühne« formulierte: »Es geht alle an, die Spaß an barockem Humor haben. Ich sage absichtlich nicht: grotesk – das ist dieser Humor nicht. (...) Kaum eine Länge ist drin, kaum einmal schöpft man Atem und meint, nun sei es aber genug – Frey erfindet immer noch spaßigere Kapriolen, schlägt noch einen Kobolz und noch einen (...) – dass man aus dem Lachen nicht herauskommt. Ganz reizend ist der zu Unzeiten adhibierte Protokollstil – der Einfluss der Brüder Mann ist angenehm erkennbar: in der satanischen Freude, den Spießer zu verhohnepipeln und in der maßvollen, fast abstrakten Komik der Schilderung.« (Tucholsky, Gesammelte Werke, S. 461) Tucholsky spricht weiter von einem »Ton der aufhorchen macht, und der nicht auf der Mohnwiese E. A. Poes gewachsen ist: ein schneidender, eiskalter Ton.« Mehr Lob konnte Alexander Moritz Frey kaum erwarten.