Название | Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey |
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Автор произведения | Stefan Ernsting |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871162 |
Leben konnte Frey von seinen Veröffentlichungen noch nicht. Sein Lebensunterhalt schien zunächst durch einen Künstlerfonds gesichert worden zu sein, mit dem er sich für kurze Zeit über Wasser halten konnte. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1911 kam später eine kleine Erbschaft dazu, die es ihm ermöglichte, sich weiterhin auf seine literarische Arbeit zu konzentrieren. Frey schrieb in stiller Bescheidenheit und kam auch mit wenig Geld gut aus. Nebenbei rezensierte er Bücher für diverse Tageszeitungen und verdiente sich ein wenig Taschengeld dazu. Er erwies sich dabei als genauer Kenner der Literatur seiner Zeit und schrieb bis zu seinem Tod über 800 Rezensionen. Seine besondere Vorliebe galt der phantastischen Literatur klassischer Prägung.
Seltsame Geschichten
Alexander Moritz Frey gehörte zu den frühen Wegbereitern der modernen Phantastik, wenn er als deren Vertreter zunächst auch eher untypisch wirkte. Er entstammte einer Tradition, die man Ende des 19. Jahrhunderts meist als »seltsame Geschichten« beschrieb und bis heute nicht richtig in die Literaturgeschichte einordnen konnte. Der Begriff des Phantastischen in der Literatur wird seitdem immer wieder diskutiert. Der französische Schriftsteller Charles Nodier wollte mit seinem Aufsatz »Du fantastique en littérature« schon 1830 den »gewagten Versuch, das Phantastische zu definieren, nicht unternehmen.« Das Spektrum erschien ihm zu groß und so beließ er es beim Versuch, »das Gebiet des Phantastischen einzugrenzen.« Sehr viel weiter ist die Forschung bisher nicht gekommen und moderne Phantasten wie Jorge Luis Borges oder Thomas Pynchon machen es der Literaturwissenschaft noch schwerer. Klar scheint nur, dass sich die phantastische Literatur Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat und während des 19. Jahrhundert in voller Blüte stand. Roger Caillois schrieb in seinem oft zitierten Aufsatz »L‘Image fantastique«: »Im Phantastischen offenbart sich das Übernatürliche wie ein Riß in dem universellen Zusammenhang. Das Wunder wird dort zu einer verbotenen Aggression, die bedrohlich wirkt und die Sicherheit einer Welt zerbricht, in der man bis dahin die Gesetze für allgegenwärtig und unverrückbar gehalten hat. Es ist das Unmögliche, das unerwartet in einer Welt auftaucht, aus der das Unmögliche per definitionem verbannt worden ist.« (Zondergeld, Phaicon 1, S. 48) Caillois kommt einer Definition mit seinem »Riß in der Wirklichkeit« näher als viele seiner Kollegen, beschreibt aber trotzdem nur einen Teil der Phantastik. Für das frühe Werk von Alexander Moritz Frey trifft diese Definition trotzdem durchaus zu. Es fehlt in seinem Falle nur noch der Hinweis auf das humoristische Element. Rein A. Zondergeld schrieb über Alexander Moritz Frey: »Seine Position ist eine durchweg eigene: viele seiner Texte bewegen sich in einem Grenzbereich zwischen traditioneller phantastischer Erzählung, Groteske und Satire, und der Begriff des Skurrilen trifft im allgemeinen genau ihren Charakter.« (Lexikon der phantastischen Literatur, S. 97)
Frey war ein glänzender Satiriker und jeder seiner Texte ist von einem feinen Humor durchzogen, den das Gros der deutschen Phantastik-Autoren vermissen ließ. Frey unterschied sich damit von seinen bekannteren Zeitgenossen Paul Scheerbart (1863-1915) oder Gustav Meyrink (1868-1932), die sich ebenfalls von den klassischen Schauergeschichten fortbewegten, die man nur als ablenkende Unterhaltung verstanden wissen wollte. Scheerbart, dessen skurriler »Mondroman« ironisch die Kriegstreiberei der Erdenbewohner entlarvte, gelang dies auf spielerische Art. Gustav Meyrink ging zunächst ähnlich wie Frey satirisch zur Sache, verlor sich aber mit seinen »Magischen Romanen« in mystischen Spinnereien. In seinem mehrfach verfilmten Erfolgsroman »Der Golem« (1915) verband Meyrink die Gegenwart mit der jüdischen Sagenwelt und in »Das grüne Gesicht« (1916) gelang ihm eine bedrückende Schilderung des Amsterdamer Ghettos, die er mit der Legende vom »ewigen Juden« verband. Seine beiden letzten Romane beschäftigten sich allerdings nur noch mit dem Geheimbund der Rosenkreuzler und ließ den engagierten Geist der frühen Werke des »Simplicissimus«-Mitarbeiters vermissen.
1913 erschien Freys erstes Buch im Münchener Delphin-Verlag, eine Sammlung gesammelter Erzählungen aus der »Licht und Schatten« mit dem Titel »Dunkle Gänge. 12 Geschichten aus Nacht und Schatten«. Die Kurzgeschichten in »Dunkle Gänge« standen weitestgehend in der Tradition von Edgar Alan Poe, den Frey schon als Jugendlicher verehrt hatte. Sein eigener Stil war noch nicht ganz ausgeprägt, aber bereits deutlich zu erkennen. Dr. J. A. Beringer schrieb in der »Neuen Badischen Landeszeitung«: »Frey behandelt in seinen Erzählungen Begebnisse ›aus Licht und Schatten‹, Begegnungen im Reiche der vierten Dimension, dort wo Wirklichkeit und Träume sich berühren, wo Realitäten zu Schemen werden, wo der wissenschaftliche Forscher vor den Rätseln von Raum und Zeit, von Zufall und Schicksal, von Geschehnis und Geisterwelten steht. Frey hat mit einer seltenen Feinfühligkeit für den oft dämonisch-geisterhaften, oft geheimnisvoll-angreifenden Charakter seiner Stoffe den Ton getroffen und einige der Geschichten sind geradezu Meisterstücke ruhiger und doch bezwingender und im Banne haltender Erzählungskunst.« (KUD, S. 285) Der expressionistische Schriftsteller Paul Zech (»Villon«) schrieb über »Dunkle Gänge«: »Zu den wenigen jüngeren Schriftstellern, die das Erbe Edgar Poes mit dem richtigen Instinkt aufnahmen und damit wucherten, gehört A. M. Frey. Er stellt sich mit seinem Erstling gleich in die vorderste Reihe der Erzähler dieser exponierten Gattung von Belletristik.« (BLDUPL) Gero von Wilpert nannte Frey einen »weitgehend unterschätzten Erzähler skurriler phantastischer Nachtstücke, Spukgeschichten und Traumgesichter in der Nachfolge E.T. A. Hoffmanns« (von Wilpert, S. 396).
Frey spielte noch mit den Möglichkeiten und Konventionen der Phantastik. Vor allem die lebenden Toten hatten es ihm angetan. Versuchsweise nahm er den Umweg über die klassische Gespenstergeschichte (»Das unbewohnte Haus«), aber meist ging er mit drastischer Direktheit zur Sache. Zwar hielt er sich noch an die unterhaltenden Elemente des phantastischen Genre, aber er fand immer wieder einen Weg um mit den Erwartungen des Lesers zu brechen. In »Die beiden Masken«, einer Hommage an »The Masque of the Red Death« aus der Feder Edgar Alan Poes, versucht eine lebenslustige Frau beim Maskenball einem anderen Gast seine Maske zu entreißen. Die Maske des flüchtenden Unbekannten enthüllt ein schwarzes Loch als Gesicht und die Frau bricht röchelnd zusammen. Ein weiterer Gast erklärt, es handele sich hierbei um eine Parabel: Während die junge Frau ihre Verzweiflung hinter einer gesellschaftlichen Maske des Frohsinns verborgen hatte, repräsentierte der maskierte Unbekannte die falsche Oberflächlichkeit und Hohlheit der Gesellschaft, die sie täglich zu bekämpfen hatte.
Die düstere Ironie von Alexander Moritz Frey kommt in dieser Geschichte voll zum tragen. Auch der Rest der Sammlung seines Schaffens aus der »Licht und Schatten«-Zeit ist von makabrem Pessimismus geprägt. In »Weltuntergang« wird die Welt über Nacht von Dunkelheit eingehüllt. Sonne und Mond scheinen erloschen. Die Geschichte beginnt mit der Beschreibung einer »Riesenstadt«:
»Es war um Mitternacht. Ich schritt durch die Hauptstraßen einer Riesenstadt, durch ihr unaufhörlich schlagendes Herz. Gleich seinem Blutstrom pulste ein Wirrwarr von Menschen und Wagen an mir vorüber, einmal durch helle Lichtkreise wimmelnd, dann in braune Dämmerung verwoben, dann von der schwarzen Leere der Seitengassen aufgeschluckt. Bunte Geräusche, in eine ewig brandende Woge verflossen, quollen aus engen Häuserzeilen empor und verebbten in der Dunkelheit. Weiße Augen rasten die Straßen entlang - glotzten ganz aus der Nähe - schlossen sich plötzlich. Bläuliche Lichter schwebten groß und ruhig über Fahrdämmen, fahlgrüne stachen