Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey. Stefan Ernsting

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Название Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871162



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bereits 1933 die Treue geschworen hatten und nach dem Krieg trotzdem problemlos wieder in den Literaturbetrieb integriert werden konnten. 1957 starb er völlig verarmt im Schweizer Exil. Sein Gesamtwerk wartet noch immer auf eine Wiederentdeckung, die schon viel zu lange verpasst wurde.

      Stefan Ernsting,

      Berlin-Kreuzberg, Juli 2014

Foto von Alexander Moritz Frey

      Alexander Moritz Frey, ca. 1944 (Foto: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien)

      I. Der Geist der Utopien

      »Es werden sich nicht mehr allzu viele daran erinnern, denn es ist dreißig Jahre her: dass in den Münchener Schriftstellerkreisen, auch im damaligen Schutzverband, ein kleiner, zierlicher Herr sein stilles Wesen trieb. Er saß meistens am Rande und sprach nicht viel, ließ aber das auffallend klare, große Auge in dem kühlen, klugen Widdergesicht um so aufmerksamer schweifen. Die peinlich korrekt gekleidete Gestalt, das zurückgebügelte, damals sandblonde Haar deuteten auf einen Chirurgen, einen Juristen, gewiss nicht auf den Verfasser phantastisch-skurriler Erzählungen voll von Mystifikationen.« (Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 1957)

      August Alexander Moritz Frey wurde am 29. März 1881 in München geboren. Er besuchte eine evangelische Grundschule und durchlebte eine einsame Jugend. Die Eltern hatten sich erst spät zur Ehe entschlossen und waren bei seiner Geburt bereits verhältnismäßig alt. Frey wuchs als Einzelkind auf und begann schon früh zu rebellieren. Der Vater, Wilhelm Frey (1826-1911), war ein Schweizer Maler, der im Verlauf seines Lebens als Opernsänger reüssierte und in Mannheim lange Jahre den Tannhäuser sang. Von 1845 bis 1852 hatte er das Konservatorium in München besucht. Zwischen 1855 und 1870 wurde er quer durch Deutschland regelmäßig als Tenor gebucht bevor er sich wieder der Malerei widmete. In der Erzählung »Letzter Gang« beschrieb Frey später einen Maler, der alle Wesenszüge seines Vaters aufwies: »Er wunderte sich nicht über Einsamkeit, obwohl er eine Frau und einen Sohn besaß. Einen Sohn, der mit Anstand verbummelt war und kümmerlich lebte in irgendeiner großen Stadt - so weit weg, daß der Vater nur selten an ihn dachte - wie an etwas ganz Fernes, einst wohl Wichtiges, nun aber durch widrige Launen des Lebens belanglos Gewordenes.« (in »Mörder ohne die Tat«, S. 55 f.)

      Wilhelm Frey war in erster Ehe mit einer Schauspielerin verheiratet, der Schwester des Malers Hoguet, die 1878 verstorben war. Ein Jahr nach ihrem Tod heiratete er Sophie Block, die Wilhelm Block bereits seit zwanzig Jahren kannte. »Man ließ sich damals viel Zeit«, kommentierte Alexander Moritz Frey in seinen Erinnerungen. Sophie Block (1842-1918), Tochter eines Gutsherren aus Schwerin, stammte im Gegensatz zur evangelisch-künstlerisch geprägten Familie des Vaters aus einem straff geführten Militärhaushalt. In ihrer Dissertation über Alexander Moritz Frey von 1984 schrieb Katrin Hoffmann-Walbeck: »Den Vater beschreibt Frey als Optimisten, gutmütig, leichtlebig und etwas oberflächlich, mit einer starken Neigung zur Pedanterie, überaus geräuschempfindlich und zuweilen jähzornig. Das Porträt der Mutter fällt dagegen weit ungünstiger aus: ständig kränkelnd, ständig um irgend etwas besorgt, religiös bis zur Bigotterie, dabei herrschsüchtig, unzufrieden und in gesellschaftlichen Fragen betont konservativ, zeichnet er sie als engherzige und kleinliche Person, deren ›preußisch-pflichtbewußte Anschauungen ... ganz im Äußerlichen steckenblieben‹. Er muss sie später – weit über ihren Tod hinaus – regelrecht gehasst haben; das einzige, was er ihr zugute hält, ist, dass er ob ihrer Ungerechtigkeiten, ihrer Frömmelei und ihrem blassen Dünkel früh lernte, ›über Gott und die Welt‹ nachzudenken und an der Richtigkeit der konventionellen Anschauungen zu zweifeln.« (KHW, S. 77)

      Frey wuchs bis zu seinem 14. Lebensjahr in München auf, wo er eine protestantische Grundschule und später das Luitpold-Gymnasium besuchte. 1895 zogen die Eltern nach Mannheim, wo der Vater Direktor der Großherzoglichen Gemäldegalerie wurde und wieder mit der Malerei begann. Die Familie wohnte in einer Dienstwohnung im Mannheimer Schloss. »Wir lebten in himmelhohen, trohnsesselweiten Zimmern«, schrieb Frey später an Thomas Mann (KHW, S. 78). Alexander Moritz Frey fühlte sich weiterhin allein mit den alternden Eltern, deren Ehe nicht besonders glücklich verlief. Er ging nur widerwillig zur Schule und flüchtete sich in die Welt der Bücher. In der Erzählung »Erster Schiffbruch«, die Frey 1930 seinem Verleger Gustav Kiepenheuer widmete, erinnerte er sich an seine Kindheit als Zehnjähriger und wie viel Trost ihm in seiner Einsamkeit schon damals die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, gespendet hatte. Durch seinen Vater entwickelte Frey eine stille Liebe zur Malerei, zeigte aber nie Ambitionen, sich einer anderen Kunst als der Schriftstellerei zu widmen.

      Alexander Moritz Fey machte 1903 Abitur und wollte eigentlich Medizin studieren. Er wurde aber von den Eltern und einem Onkel zum Jura-Studium gedrängt. Dreieinhalb Jahre saß er seine Zeit an den Universitäten von Heidelberg, Freiburg und München ab, studierte nebenbei Philosophie, beschloss aber von Anfang an, keinen Abschluss zu machen. Am Ende rasselte er spektakulär durchs Staatsexamen, indem er einen Stapel unbeschriebener Blätter abgab.

      In seinem, ca. 1939 entstandenen, »Curriculum Vitae« fasst der Autor sein Leben bis zur Flucht nach Basel knapp zusammen: »In München am 29. März 1881 geboren, stehe ich da als eine Mischung von süddeutschem und norddeutschem Wesen, von Rundschädel und Langschädel. Die Vorfahren meines Vaters, aus der Schweiz über den Rhein gewandert, waren im Badischen Steuerbeamte, Offiziere, evangelische Pfarrer; die meiner Mutter lebten droben im Mecklenburgischen, nahe der Küste: als Offiziere, Geistliche, Apotheker und Gutsbesitzer. Mein Vater schlug aus der Art: er wurde Maler, dann ging er zur Bühne als Opernsänger, dann malte er wieder. Schließlich starb er 84jährig als Galeriedirektor in Mannheim; dort hatte er fünfzig Jahre vorher den Raoul in den Hugenotten und denn Tannhäuser gesungen. – Bei einem Gastspiel an der kleinen Hofoper in Schwerin hatte er meine Mutter – 18jährige Tochter eines Gutsherren – kennen und lieben gelernt. Zwanzig Jahre später heirateten sie – man ließ sich damals viel Zeit – und riefen mich ins Leben. Ich blieb der Einzige dieser Ehe, ein Spätgeborener; meine Eltern waren zusammen 100 Jahre alt, als ich auf die Welt kam.

      Die doppelte Belastung mit evangelischen Geistlichen und preußischen Offizieren ist vielleicht daran schuld, dass ich beiden von Jugend auf aus dem Weg ging, so gut ich nur konnte. Die einen hatten mir zuviel Salbung und die anderen zuviel Schneid. Noch widerborstiger als in die Schule ging ich in die Kirche, und die einzige Karzer- und Kerkerstrafe, die mir jene Jahre eingebracht haben, musste ich absitzen, weil ich eines Sonntagabends die Andacht geschwänzt und die blöde Lüge erfunden hatte, die Kirche sei ›geschlossen‹ gewesen. Wer sich so unbegabt herauszureden versucht, wird zu recht eingesperrt.

      Die Schule war schlimm – wie sie eben schlimm war in jenen Jahren in Deutschland. Mit Lernkram überbürdet, waren wir Gymnasiasten die reinsten Packesel, angetrieben von den Stockschlägen der Lehrer, die darauf sahen, dass das ›Klassenziel‹ und schließlich das Endziel, die Matura, erreicht wurde, koste es, was es wolle. Mancher blieb am Wege – Wedekind hat es geschildert -, und die durch das Tor der Freiheit kamen, was taten sie? Sie warfen vor allem mal den Kram ab, der sie neun Jahre hindurch gedrückt hatte, er war zum kleinsten Teil inneres Gut, warfen ihn ab, und so war eigentlich die ganze Not umsonst gewesen.

      Bei mir ging der Druck weiter; unter dem Druck der Familie, besonders unter dem Einfluß eines juristisch hoch geklommenen Onkels, begann ich Jura zu studieren, obgleich mich die Sache ankotzte vom ersten Tag an. Ich wäre gern Mediziner geworden, man ließ mich nicht: das Studium sei überfüllt. So half ich denn die juristischen Hörsäle der Universitäten Heidelberg und Freiburg zu füllen, die nicht weniger überfüllt waren als die medizinischen Lehrräume, und beschäftigte mich, auf die Bänke gebeugt, damit, knappe lyrische Gedichte, mithilfe eines kleinen, gut schneidenden Taschenmessers, in Holz zu verewigen. Nach dreieinhalb Jahren fiel ich durchs Staatsexamen, ich war mit dem Entschluß hineingegangen, durchzufallen, der Entschluß fiel mir nicht schwer, ich konnte so gut wie nichts, ich gab mit großem Genuß weiße Blätter ab.

      Nachdem ich so meiner Familie die von ihr herausgeforderte Antwort erteilt hatte, ging ich ›heim‹ nach München. Man wollte mich noch zur Ablegung irgend eines Doktorexamens bewegen,