Название | Der Duft der Bücher |
---|---|
Автор произведения | Jenny Schon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373512 |
Er hat Spucke im Mund, so aufgeregt ist er.
Ich gehe in mein Zimmer und heule. Dann nehme ich meine Bücher und glätte die Seiten und tu sie in den Karton unter meinem Bett. Arme Anne, armer Heinrich, armer Franz, ach ihr Armen, jetzt müsst ihr im Dunklen schlafen.
Nach der Schule in Köln fahre ich zu Herrn Beyer in die Buchhandlung und gebe ihm den Vertrag zurück. Ohne Worte, schaue ihn nur an.
Aha, es hat Ärger gegeben?
Ja, ich muss beim Steuerberater bleiben.
Na, gut, dann mach die Lehre dort zu Ende, danach sehen wir weiter. Du kannst aber jederzeit zu mir kommen und Bücher ausleihen, wenn du willst.
Nein, ich kann die Bücher nicht mit nach Hause nehmen, mein Vater macht sie … Ich stocke, Tränen kommen, ich kann sie nicht zurückhalten, mein Vater …
Na gut, dann sitzte hier und liest hier. Er zeigt in die Ecke, da in dem Sessel biste immer willkommen. Verstehste?
Er drückt mir die Hand. Ich bin so dankbar, endlich ein Erwachsener, der nicht herumschreit.
Das Probehalbjahr ist rum, ich kann jetzt nicht mehr weg, noch zweieinhalb Jahre muss ich aushalten, mich mit Zahlen rumschlagen, mit dem Steuerrecht, mit den schmutzigen Abschreibungen der Reichen unserer Stadt, die über den Marktplatz laufen, als seien sie die Könige. Nach einem halben Jahr habe ich schon einiges mitbekommen. Ich musste nämlich den Schweigeeid leisten, dat de von heh nix nach draußen verzällst, hat Herr Mertens gesagt, als er mir den endgültigen Vertrag in die Hand drückte, den ich meinem Vater abends zeigte.
Na siehste, ät jeht doch! meinte er stolz. Dun den Vertrag in de Mapp mit de Zeugnisse, so wat hät man für dat Leben!
Im Laufe des Oktobers kriege ich endlich eine Schreibmaschine und einen kleinen Tisch, damit ich darauf schreiben kann und für den Winter eine Heizspirale, damit ich auch im Winter üben kann, denn in der Küche geht das ja nicht. Da wird ja alles gemacht und vor allem, wenn Vati nach Hause kommt, muss erst mal Ruhe sein, weil er sich aufs Sofa legt. So was wie ein Wohnzimmer, wie bei Karin, haben wir nicht. Nur die Küche für alles, auch fürs Waschen morgens und abends. Ich muss aber aufpassen, dass mein Vater nicht in der Nähe ist. Dann kommt meine Mutter mit einem Badetuch angerannt.
Nach einiger Zeit gehe ich wieder mal bei Herrn Beyer vorbei und erzähle ihm von meiner Schreibmaschine und dass ich jetzt übe, und dass es eine Schreibmaschine sei mit einer Ledertasche, damit ich sie mitnehmen kann.
Wohin willst du sie denn mitnehmen?
Ja, wenn ich mal von zu Hause wegziehe. Vielleicht verreise ich auch mal, dann kann ich sie immer dabei haben.
Ach, du willst wie Hemingway werden, in die weite Welt damit? Eine Reiseschreibmaschine also? Und Whisky willste auch trinken?
Ich schüttele heftig den Kopf und er erzählt von Hemingway und seinem aufregenden Leben als Reiseschriftsteller.
Ja, das möchte ich auch werden, rufe ich begeistert.
Er nimmt aus dem Regal ein Buch. Schon ein bisschen abgegriffen, sagt er, daran siehst du, dass der Vorbesitzer es geliebt hat.
Oh, danke, sage ich.
Auch wenn es Der alte Mann heißt, es spielt auch ein netter Junge mit, der den alten Mann versorgt.
In drei Nächten habe ich den Alten Mann und das Meer verschlungen. Unter der Bettdecke mit dem Licht der Taschenlampe, immer in der Angst, mein Bruder würde wach und mich verpetzen.
In der nächsten Woche fahre ich wieder bei Herrn Beyer vorbei und will ihm das Buch wiedergeben. Er winkt ab.
Nein, nein, sage ich, ich habe doch kein Bücherregal. Mein Vater will keine Bücher sehen, ich muss sie unter dem Bett verstecken.
Er streicht über mein Haar. Armes Mädsche, sagt er.
Das Buch hat schon alt geduftet, sage ich, aber es ist ja noch nicht so alt.
Aber antiquarisch, erwidert Herr Beyer, auch Bücher ohne Lederrücken kommen in die Jahre und ziehen Staub an. Und wer weiß, wo es überall war. Er lächelt.
Und? Vom Inhalt?
Spannend, ich habe gehofft, der alte Mann schafft es.
Er hat es doch geschafft, er hat nicht aufgegeben, das ist das Wichtigste im Leben. Auch wenn zum Schluss der Fisch von den Haien aufgefressen wird: er hat nicht aufgegeben.
Ich habe lange darüber nachdenken müssen, auf dem Weg nach Hause mit der Bahn, die immer am späten Nachmittag sehr voll ist. Aber es ist mir im Kopf geblieben, trotz des Gedränges.
Er hat es geschafft, er hat nicht aufgegeben.
Nein, ich gebe auch nicht auf.
Das Tagebuch zwei
Es ist Winter, ich fahre nicht Fahrrad und bin viel zu Hause am Abend und tippe. Meine Mutter ist stolz auf mich. Sie lauscht an der Tür, wie die Maschine klick klick macht, denn ich habe sie mal erwischt, als ich schnell aufs Klo musste.
Ja, Kind, sagte sie, du machst das, was ich gerne auch gemacht hätte: Schreibmaschineschreiben.
Es hat bei mir im Krieg nur zum Morsen gereicht. Und sie tippt mit den Fingern auf den Tisch dit, doh, Schweigen.
Dit dit doh dit dit. Sie scheint ganz weit weg zu sein.
In der Berufsschule hat man mir gesagt, dass ich nicht auf die Tasten gucken soll. Ich soll einen Pappkarton darüber tun, damit ich die Tasten nicht sehe. Das ist sehr schwer, ich würde am liebsten lostippen und so schreiben wie Hemingway oder Anne Frank, denn man hat uns so blöde Bögen gegeben, nach denen wir tippen sollen, aber manchmal schreibe ich eben doch einfach drauf los.
Zum Tagebuchschreiben bin ich kaum noch gekommen, deshalb hab ich das Heft ganz vergessen zwischen meinen Schlüpfern.
Aber wieder steht eines Abends mein Vater hinter der Tür und klatscht mir das Heft um die Ohren.
Wat steht da drin. Datte weg willst, weil die Eltern so schrecklich sind!
Dat de geknutscht hast im Film in Köln.
Nein, schreie ich, nein. Du hast nichts in meinen Schlüpfern zu suchen. Und ich renne in mein Zimmer und packe meine Schlüpfer und stopf sie in die Waschmaschine und stelle die Maschine an auf Kochen!
Mein Vater sitzt grinsend auf seinem Stuhl beim Ofen, und macht sein abendliches Fußbad, als Mutti rein kommt.
Wieso ist denn die Waschmaschine an!
Dinge Tochter, sagt er, hät ne Waschtick.
Ich knalle die Tür, gehe in mein Zimmer und werfe mich aufs Bett.
Als meine Mutter kommt, es ist ja nicht üblich bei uns, wie bei Karin, dass angeklopft wird, baut sie sich vor mir auf und sagt: Du spinnst ja, so was zu schreiben. Sie gibt mir mein Tagebuch zurück, der Vati hat die Wörter rot unterstrichen, die ihm nicht gefielen.
Nämlich, dass ich mit der Kölner Schulfreundin im James Dean Film war und so geweint habe, dass der Junge, der neben mir saß, mich gestreichelt hat, und ich in mein Tagebuch geschrieben hab, dass ich ihn gerne geküsst hätte, weil er so aussieht wie James Dean, aber der Junge leider nicht draußen gewartet hat, als der Film zu Ende war. Was für ein Glück, ich war ja auch verheult.
Was ist denn da dran schlimm?, frage ich meine Mutter.
Das nicht, aber dass du andere Eltern …, in ein Internat willst, um von zu Hause wegzukommen. Schuftet denn Vati nicht, damit wir ein warmes Zuhause haben?
Schufte ich nicht auch, schreie ich zurück, ich mache eine Lehre nach eurem Willen, wo ich in Köln so einen lieben Chef hätte, der mir Bücher schenkt und mich mag.