Название | Der Duft der Bücher |
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Автор произведения | Jenny Schon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373512 |
Die Gymnasiasten reden hochdeutsch, tragen eine Aktentasche, die an ihren dünnen Ärmchen zieht, weil sie schwer ist vor lauter Wissen. Manchmal sehe ich auf dem Schulhof einen Jungen ganz alleine auf dem Mäuerchen sitzen und lesen. Er trägt eine Brille.
In der Schule ist eine Berufsberaterin angekündigt.
Konfirmation
Der Pfarrer Großer ist schon lange pensioniert, aber er war doch noch bei unserer Konfirmation als Gast. Er hat mir die Hand gegeben, und ich habe ihm das Neue Testament meines Vaters gezeigt und gedankt.
Dass dat die Bombenangriffe überlebt hat, sagt er. Ich weiß doch, dinge Oma war ausgebombt und musste in die Berufsschule in die Notunterkunft. Wo ist sie denn?
Zuhause, sie kann nicht mehr laufen, überall sind Treppen, sagt sie, das schafft sie nicht mehr.
Ja, das verstehe ich, grüß sie herzlich von mir.
Wir haben mit allen Verwandten, und alle von meiner Mutter sind ja katholisch, die von überall herkamen, zu Hause gefeiert. Dazu hat Vati die Betten auseinandergeschraubt und in die Mitte des Schlafzimmers einen großen Tisch für die vielen Gäste aufgestellt. Auch die Mühlen-Oma kam nicht mehr unsere Treppen hoch. Ich hab sie und die Brühler Oma am nächsten Tag besucht. Sie haben mir Geld geschenkt. Von den anderen Verwandten habe ich Bücher bekommen und vom Bonner Opa eine Kamera. Meine Eltern haben mir eine Armbanduhr geschenkt.
Sonja kam vorbei und schenkte mir eine kleine Schallplatte. Mozart, Kleine Nachtmusik. Da kann ich gar nichts mit anfangen, sie weiß doch, dass ich Elvis über alles liebe. Aber ich sage, danke. Ich bringe Dir in den nächsten Tagen mein Geschenk vorbei, sage ich, ich habe Geld bekommen, da kann ich was Schönes für dich kaufen.
Ich will nichts, sagt sie patzig, und geht.
Meine Mutter hat die Platte gehört. Mozart, sagt sie. Aus Wien, da haben wir Walzer getanzt in Trautenau, Vati und ich, wir warn so jung und sie kriegt einen seltsamen Glanz in die Augen. Vati und Mutti jung, darüber habe ich noch nie nachgedacht.
Ich habe jetzt eine Menge Bücher, Vati, sag ich. Gib mir mal bitte deinen Bohrer, ich möchte ein Regal über meinem Bett, damit ich all die Bücher bei mir habe.
Nix da, in meiner Wohnung werden keine Löcher in die Wand gebohrt.
Meine Mutter hilft mir dann doch beim Regalanbringen, ich hab einfach in den Schrank zwei Löcher gebohrt und das Brett dran befestigt. Der Schrank steht jetzt quer zur Wand und mein Bett dahinter, so dass ich jetzt nicht mehr zu sehen bin, wenn die einfach so ohne Anklopfen in der Tür stehen.
Oh, meine Bücher, meine Anne Frank und die Ilse Macket, die Heidi, Rübezahl und die Märchenbücher. Und dann hat der Onkel Franz mir den Michael Kohlhaas geschenkt und gesagt: für die kleine Rebellin. Und der Onkel Josef die Räuber von Schiller und gesagt, zum Abgewöhnen, damit du keine Diebin wirst. Tante Änne hat mir Nesthäkchens Backfischzeit geschenkt und gesagt, für den Backfisch, jetzt biste ja flügge und dann hat sie mir noch einen in altes Seidenpapier gewickelten Gedichtband geschenkt, der war schon ziemlich gebraucht, und sie zeigte mir ein Gedicht darin von einem, der Novalis heißt. Und ich lese laut:
Getrost, das Leben schreitet
Zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
Und lichte Sterne seyn.
So schön kannst du lesen, sagte sie und ich zeigte ihr den Rattenfänger von Hameln.
Änä, dat de dat noch hast. Dat is ja noch von der Porta Westfalica, dat is jo auch schon hundert Johr her, dat isch do wor.
Ja, sagte ich, mein erstes Buch. Da war ich fünf Jahre alt.
Steuerberater
Die Berufsberaterin hatte kurzen Prozess mit mir gemacht, nachdem sie meine Noten betrachtet hatte. In Rechnen ne zwei, da hab ich ein Angebot vom Steuerberater. Also klingele ich am Haus, wo gegenüber Karin wohnt.
Mertens, Georg, Steuerberater, steht an der Klingel, Tür wird geöffnet, Qualm pafft mir entgegen. So, du willst also in die Lehre. Komm rein, er gibt mir die Hand. Die Stimme ist angenehm, aber er stinkt.
Setz dich. Eine Frau bringt mir Limonade.
Haste dein Zeugnis dabei?
Ich reiche ihm mein Zeugnis.
Ist das neue noch nicht fertig?
Nein, erst Ende des Monats.
Ist das auch so gut?
Ich denke schon, vielleicht besser.
Aber in Rechnen ein Gut, das bleibt?
Ja.
Und in evangelischer Religion eine Eins, auch?
Ja.
Stört dich das, dass wir katholisch sind?
Nein, meine Verwandten, bis auf meine Oma und meinen Vater und meine Tante hier in Brühl, sind alle katholisch, in Bonn bei meinen Verwandten geh ich manchmal auch in die katholische Kirche.
Die Frau kommt rein. Wir haben drei Kinder. Verstehst du dich mit kleinen Kindern?
Ich habe auch einen kleinen Bruder.
Es kann nämlich sein, dass du manchmal auf die Kleinen aufpassen musst, wenn ich mit meinem Mann zu den Kunden muss. Ist dir das recht?
Ich habe für die Kinder in unserem Haus Kasperle gespielt. Das macht mir nichts aus.
Herr und Frau Mertens sagen, einen Augenblick, bitte, und gehen raus.
Er kommt zurück und lächelt. Am 1. April kannste bei uns anfangen, bis dann, Tschüss.
Und er begleitet mich aus dem Haus, auch die Frau gibt mir die Hand.
Und am Abend gebe ich meinem Vater den Ausbildungsvertrag, den er unterschreiben muss. Und da noch Platz ist, setzt auch meine Mutter ihre Unterschrift darunter, obwohl das nicht nötig ist. Ich hab sie geboren, das ist doch auch was, oder?
Vati holt eine Flasche Bommerlunder aus dem Schrank und er gibt mir auch ein kleines Gläschen: Auf dich, prostet er, jetzt biste erwachsen! Und Hausarrest jibt ät nit meh, du musst jo arbeiten jonn!
Ich schüttele mich, das Zeug schmeckt schrecklich. Danziger Goldwasser ist viel leckerer, das nasche ich manchmal, aber ich sage einfach nur: danke.
Ich hab, als ich in Bonn war, im Kinderheim alle meine Spielsachen abgegeben. Ich bin ja jetzt erwachsen. In Brühl ist ein Waisenhaus geplant, aber noch nicht fertig.
Die Märchenbücher und die zwei Puppen und die Spiele, auch Trotzkopf, Nesthäkchen und Heidi, nur den Rattenfänger nicht, weil es mein erstes Buch war, und Rübezahl, mein zweites Buch, nicht. Das ist aber sowieso in Bonn bei den Großeltern. Keiner ist so arm auf der Welt wie die Waisenkinder, hatte Mutti gesagt.
Aber mein Bücherregal sieht jetzt geschrumpft aus. Ich hab ein Spitzentaschentuch drüber gelegt und einen Kerzenständer aus Silber, den ich auch zur Konfirmation geschenkt bekommen habe.
Ich habe dem Oskar von der Kinderseite des Kölner Stadt-Anzeigers mein Märchen Die goldene Forelle geschickt. Er hat es heute, am Samstag, veröffentlicht.