Название | Der Duft der Bücher |
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Автор произведения | Jenny Schon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373512 |
dass wir sie verkörpern.
Albert Camus
Dieser Mann hatte Französisch gelernt, Vulgär-Französisch, ist ja klar, wo.
Er summt das Lied vom Deserteur. Monsieur le Président/Je vous fais une lettre. Von Boris Vian, das summten viele. Manche konnten auch den Text mitsingen, nicht aber er, er kann ja noch nicht mal richtig schreiben.
Die Rheinbrücke erzittert, als die Straßenbahn darüberfährt.
Mensch, zu blöd, der Sou gilt hier nicht. Die Franzosen haben ihn in Paris in den Zug gesetzt und in Bonn am Hauptbahnhof wird er ausgespuckt.
Ich muss zu Fuß nach Pützchen, flucht er.
Nein, er war kein Held, er hat gemordet. Auf Befehl. Er kannte Camus nicht, wusste nichts von Mythen, die Camus beschwor. Er lebte aus sich selbst, von einer Frau geboren, kroch er immer wieder in sie.
Die Mythen leben nicht aus sich selbst heraus, schreibt Camus, sie warten darauf, dass wir sie verkörpern. Alfons wird auch später nichts wissen von dem Unfall, bei dem Camus auf dem Weg nach Paris mit dem Auto einen Baum rammt, und stirbt. Alfons hat nichts gelesen, er wird auch nicht lesen. Auch nicht, dass dort, wo Camus als Junge Fußball spielte, er mordete. In Algerien, auf Befehl der Franzosen, als bezahlter Fremdenlegionär. Aber Alfons hat die Lieder gesummt, die Camus gesungen hat.
Er ist im Krieg groß geworden, der Krieg ist was Normales für ihn. Er findet es auch normal, dass ihm im Krieg Frauen zur Verfügung stehen, eigentlich immer.
Alfons wollte nicht in den Büchern des Algerienfranzosen Camus lesen. Auch nicht in anderen Büchern. Er wollte poppen, wenn er nicht den Arabern den Kopf abhackte, im Frauenhaus von Algier. Später, als sein Französisch schwindet, und die Sehnsucht nach dem Frauenhaus übergroß wird, wird er Laila singen, immer nur Laila, nur die eine Nacht erwähle mich, küsse mich und quäle mich, denn ich liebe nur dich, ohhhh Laila!
Alfons erzählt viel, auch wenn die Kinder dabei sind, Alfons singt viel, er hat eine angenehme Stimme, eben wie ein Mann, der vom Süden fasziniert ist, von Troubadouren, obwohl er selber nie einen gehört hat. So einer wie Alfons geht in keine Oper. In der magisch-hellen Tropennacht in dem Frauenhaus in Algier, da hat sie mir zugelacht, dem armen, kranken Legionär.
Er hatte sich gleich gemeldet, als die Franzosen junge deutsche Männer für die Fremdenlegion suchten, besonders bei ihm im Rheinischen, in Pützchen. Die Deutschen waren in der Legion in der Mehrzahl, da brauchte er sich nicht fremd zu fühlen. Eigentlich sollte er nach Indochina, aber da kam Algerien dazwischen.
Dann ist er krank geworden, die Franzosen entlassen ihn, einen Fresser und Nichtstuer können sie nicht gebrauchen, packen ihn aufs Schiff, nach Marseille, mit dem Zug geht es nach Paris, mit dem Zug nach Bonn. Hauptbahnhof. Nachts. Seine Kumpels kämpfen weiter. Irgendwie fühlt er sich wie ein Deserteur, aber seine Motive sind andere.
Er läuft an dem Haus seiner Eltern vorbei. In den drei Jahren, in denen er weg war, ist der Putz vollends abgebröckelt, er hat sie ganz einfach übersehen, diese Hütte, in der er geboren wurde. Scheiße, brummt er und rennt zurück, poltert an der Tür, obwohl schon Mitternacht vorbei ist, he, he, macht auf, ihr Penner.
Oben am Dach öffnet sich eine Fensterluke, ein wuscheliger Frauenkopf schüttelt Schuppen herunter. Was wollen Sie von uns?, ruft sie auf Hochdeutsch.
Jo, glövste, raunt er. Was wollen Sie von uns, sagt sie.
Dat is ming Hus, verstehste. Maach schon op.
Ein junges Mädchen, mit kurzem Haar, also nicht der Wuschelkopf aus der Dachluke, steht im Nachtkleid in der Tür und bibbert. Meine Mutter hat einen kranken Fuß und kann nicht runterkommen. Sie lässt Sie fragen, was Sie wollen.
Rin will isch, in ming Hus, poltert die drei Stufen zur Haustür hinauf, schiebt das Mädchen beiseite, knallt die Tür zu. Wenn de in mingen Hus wohnst, zieh mich de Stiefel us. Er platscht auf einen Schemel und hält dem Mädchen seine staubigen Militärstiefel hin. Treck, befiehlt er. Das Mädchen zieht, er gibt ihr einen Tritt, sie fällt, einen Stiefel haltend. So, nun mach wigger, der zweite auch. Isch will innet Bett. Das Mädchen zieht, fällt hin, hält den zweiten Stiefel. Er steht auf, stößt die Stiefel in die Ecke, klatscht ihr über den Hintern, so und nun komm!
Nein, kreischt eine Frauenstimme, Ria ist noch ein Kind. Lass sie, ich komm mit.
Ich denk, du häst ne kapotte Fuß?
Aber keine kapotte Müsch, kontert sie.
Geh wieder ins Bett, Ria. Die Frau folgt dem Mann ins Schlafzimmer. Wie heißt du, fragt er. Manja, antwortet sie.
Ria bleibt auf der Treppe stehen. Ina steht in der Tür der zweiten Schlafkammer, komm Ria, ruft sie. Sie zittert, so einen Mann hat sie noch nie gesehen, sie hat Angst vor diesem Mann. Nach wenigen Minuten hören die beiden Mädchen das Schreien von Manja, du Tier, du …!
Da sie auf dem Land wohnen, können sie beruhigt schlafen gehen. Tiere gibt es hier genug.
Der andere Weg
Ich habe in dem dreibändigen Lexikon, das mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hatte, viele Fremdwörter einfach auswendig gelernt und auch einige lateinische Sinnsätze. Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann, außer Herrn Beyer. Auch Theresa interessieren so schwierige Themen nicht, von denen Camus schreibt:
So führt denn der absolute Nihilismus, der den Selbstmord zu legitimieren bereit ist, noch leichter zum Mord aus Überlegung.
Mord aus Überlegung, ich dachte an die Frau von Benno, nur so, aber im Grunde doch in böser Absicht.
Ich bin seit einiger Zeit Freitagabends in der Gemeinde und bereite mich darauf vor, Kindergottesdiensthelferin zu werden. Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich. Das begleitet mich schon seit meiner Kindheit und hat mich die Attacken meines Vaters überleben lassen, weil ich ja wusste, auch er war mal ein Kind Gottes. Später hat er mir ja auch sein Neues Testament zur Konfirmation geschenkt. Das wiederum hatte ihm in der schwierigen Zeit der Nazis 1934 der Pfarrer Großer, der im Widerstand war, geschenkt.
Das hat mich vieles ertragen lassen, was so an Menschenhass aus meinem Vater spukte. Ich verstehe es nicht, ich denke, er hat im Krieg Schreckliches erlebt, dass er so geworden ist. Mutti hat immer erzählt, er sei in Trautenau, wo wir damals lebten, ein ganz lieber Ehemann gewesen. Wenn er vom Flugplatz am Wochenende zu Besuch kam, ein liebevoller Vater, mir, dem Mädchen, gegenüber. Und es gibt Fotos, wo er mich auf dem Arm trägt und glücklich aussieht.
Diese Widersprüche im Menschen beschäftigen mich. Ich lese immer noch im Testament und suche bei Jesus Antworten.
Ich erzähle Herrn Beyer davon, dass ich im Zwiespalt bin, ob ich diesen neuen Weg des Nihilismus von Camus gehen soll oder den von Jesus, der das Gute im Menschen sieht. Oh nein, widerspricht Herr Beyer, denk an die Pharisäer, die hat er gefressen, diese falschen Schleimscheißer, die vorgeben gut zu sein, aber es nur aus Berechnung tun.
Bei der Vorbereitung für den Kindesgottesdienst ist auch der Junge, der mir den Kafka aufgehoben hatte und der auf dem Schulhof auf dem Mäuerchen saß und las.
Hast du den Kafka ausgelesen, fragt er mich, als er sich neben mich setzt.
Ich musste erst überlegen, denn er ist hübscher geworden. Er trägt eine moderne Brille.
Wir gehen gemeinsam raus.
Darf ich dich begleiten, fragt er.
Ich nicke.
Ich bin Hagen Westermann, ich bin mitten im Abitur, habe eigentlich keine Zeit, hier mitzumachen, aber meine Mutter möchte gerne, dass ich Theologie studiere und ich soll doch schon mal gucken, ob mir das gefallen würde.
Und Dein Vater? frage ich.
Der hat ja schon einen Nachfolger,