Der Duft der Bücher. Jenny Schon

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Название Der Duft der Bücher
Автор произведения Jenny Schon
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373512



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in der Kirchenzeitung steht was von unserer Konfirmandin Berta Pütz Zum Geleit.

      Ich bin richtig stolz auf mich. Vati hat gesagt: Kinderkram. Und Mutti, na ja, du mit deinen Märchen. Du bist jetzt erwachsen, Kind!

      Heute, Samstag: das Zeugnis erhalten und Schulfeier. Alles gut, hab mich verbessert bis auf Rechtschreiben, befriedigend. Dabei habe ich so viel gelernt im letzten halben Jahr, ich hatte ja Stubenarrest, die Kommaregeln, daß mit »Eszet«, Groß- und Kleinschreibung, weil ich ja jetzt auch Englisch lerne mit den Schallplatten, da ist auch ein Grammatikbuch dabei, da wird mir vieles klarer.

      Ein schöner Spruch steht vorne drauf auf dem Zeugnis, mit dem Wappen von Brühl, ganz feierlich:

      Wer ist Lehrling? – Jedermann.

      Wer ist Geselle? – Wer was kann.

      Wer ist Meister? Der was ersann.

      J.W. v. Goethe.

      Seinen Erlkönig haben wir auswendig lernen müssen und von seinem Freund, dem Schiller, die Glocke. Und noch viele andere Gedichte und Balladen, aber im Theater waren wir nie und es hieß, für den Werther wären wir zu jung. Den werde ich mir aber kaufen, wenn ich erst mal Geld verdiene, das soll so eine schöne Liebe sein.

      Zu jung. Immer ist man zu jung! Und die Alten sind zu alt! Und was ist dazwischen?

      Zum Schulabschiedsfest haben einige eine Bierzeitung gemacht, über mich steht da drin:

      Wer kennt nicht unsre Berta Pütz,

      die hatt’ zu Haus ne fette Wutz.

       Man nennt sie Miss Luftballon mit Ohren

      und als schöne Helena ist sie auch auserkoren.

      So ein Blödsinn. Am Nachmittag kommt Sonja vorbei.

      Haste ja dein Fett abgekriegt, giftet sie.

      Und bei dir steht, die Sonja hat nen Roller und dazu nen mächt’gen Koller, ist das besser, gifte ich zurück.

      Ich habe mein schönes Kleid an. Es ist hellblausilberdurchwirkt, und ich kann es auch als Cocktailkleid anziehen. Das ist sehr schick und so was steht jetzt in allen Frauenzeitschriften.

      Bis letztes Jahr, als meine Mutter noch nicht in der Fabrik gearbeitet hat, hat sie sich mit Sockengretchen Burda-Schnitte besorgt, und dann haben sie auf dem Tisch das Schnittmuster ausgeritzt mit einem Rädchen, auf den Stoff gelegt und ritschratsch, sich ein Kleid genäht. Gretchen hat einen anderen Stoff genommen, aber das Modell war das gleiche. Und bei den Schnitten war auch ein Cocktailkleid, und das hat Gretchen mir genäht und zur Konfirmation geschenkt. Obwohl sie ja katholisch ist. Die Firmungskleider für ihre Töchter Hedi und Biggi hat sie auch genäht, da war ich dabei.

      Sonja ist eifersüchtig auf mein Kleid. Du siehst jetzt aus wie deine eigene Oma, hat sie gesagt und sie kneift mir in den Hintern.

      Lass das, Sonja, habe ich gefleht.

      Ich glaube, ich werde Sonja nicht mehr wiedersehen. Sie hat ab 1. April eine Lehrstelle als Verkäuferin in Wesseling.

      Das letzte Wochenende als Schulmädchen, danach soll ich ein Backfisch sein, hat Tante Lena aus Endenich gesagt. So ein blödes Wort für ein junges Mädchen. Ich bin endlich wieder mal Fahrrad gefahren mit dem Kleid und Petticoat, das ich letztes Jahr auf der Kirmes trug, als ich mit Günter Rock’n Roll getanzt hab. Das flog im Wind. Hurra, ich bin erwachsen!

      Aller Anfang ist schwer

      Montag, 1.4. 1957, 8.30 Uhr

      Ich klingele bei Mertens. Es dauert. Jemand kommt die Treppe runter. Eine junge Frau öffnet.

      Guten Tag, ich bin der neue Lehrling.

      Guten Morgen, komm hoch, der Chef telefoniert. Ich bin Fräulein Meier.

      Ich stehe im 2. Stock im Flur und warte, bis der Chef zu Ende telefoniert hat.

      So, du kommst also auch schon.

      Guten Morgen, wieso, ich bin doch noch vor 9 Uhr hier.

      Wie kommste denn da drauf?

      Na, alle die im Büro arbeiten, fangen doch um 9 Uhr an.

      Mir nit! Wann fangen wir an, Eva?

      Fräulein Meier antwortet: Um 7.30 Uhr.

      Und warum, fragt der Chef.

      Weil wir Samstag frei haben, antwortet sie.

      Dat kannste dir also ausrechnen, bei einer 45 Stunden-Woche, wie viel Stunden man am Tag arbeiten muss, wenn man nur 5 Tage arbeitet. Du bist doch gut im Rechnen, also rechne.

      Neun Stunden, sage ich.

      Und das ist von?

      Von acht bis fünf, oder von neun bis sechs.

      Ja, rechnen kannste! Aber da wir eine Pause machen müssen, hat die Gewerkschaft vorgeschrieben, fangen wir um 7.30 Uhr an, verstanden?

      Du bist um 7.15 Uhr da, weil du den Ofen anmachen musst, bevor die Angestellten kommen. Unten im Keller sind die Klütten. Und wenn nicht geheizt wird, dann musste immerhin den Kaffee machen, den spendiert das Haus, so großzügig sind wir, nicht Eva? Und jeden Morgen staubwischen auf den Schreibtischen, und den Papierkorb runterbringen in den Keller musste auch. Hast du auch gemacht, Eva, nicht, und? Biste dran gestorben?

      Nein.

      Fräulein Meier war bis gestern Lehrling. Sie hat die Prüfung in Köln mit gut abgelegt, also halt dich an sie. Übrigens, eine Viertelstunde schenk ich dir, weil du die fürs Frühstück kriegst und mittags eine ¾ Stunde Mittagspause, wo du nach Hause gehen kannst, damit du an die frische Luft kommst. Aber Fahrradgefahren wird nit, Leute aus dem Büro fahren nit mit dem Fahrrad zum Dienst, verstehste? Dat dun nur Arbeita.

      Hast du den Vertrag? Und das neue Zeugnis?

      Ich gebe ihm beides.

      Nun, das Zeugnis sieht ja noch besser aus als das letzte, alles Zweien, nur nicht in Rechtschreiben. Und Englisch haste nicht?

      Ich hab privat einen Schallplattenkurs in Englisch, ich möchte auf jeden Fall Englisch lernen, das braucht man heute.

      Ach, wie altklug dat is, nit Eva?

      Sie nickt.

      Eva zeig ihr, wie et die nächsten Monate die Zahlen, die in Bleistift sind, in Tinte schreiben soll, aber in Schönschrift.

      Und noch wat, damit du meine Großzügigkeit siehst, das machen andere Steuerberater in Bröl nit! Du fährst einmal die Woche nach Köln in die Steuerfachschull, ich will, dat minge Lehrlinge ordentlich ausgebildet werden. Den Tag schenk ich dir, da brauchste nachmittags nicht hier zu arbeiten, kannste dich in Köln rumtreiben! Frag dat Eva nach der Adress, angemeldet biste schon.

      Innerlich hüpfe ich vor Freude, einmal in der Woche nach Köln, ganz offiziell, da wird mein Vater sich aber wundern!

       Ostern 1957

      Wir sind nach Bonn gefahren, mit Opa und Onkel Franz war ich in der katholischen Kirche wie früher auch schon mal, wenn dort Feste sind.

      Die sind ja viel feierlicher.

      Onkel Franz hat mir tatsächlich die Leiden des jungen Werthers geschenkt, weil ich ihm bei der Konfirmation den schönen Spruch von Goethe gezeigt hatte.

      Und jetzt kommt es, nachmittags bei Kaffee und Kuchen, alle sitzen am Tisch, Silentium, ruft er, Ruhe, wichtige Mitteilung: Der Ingenieur Franz Schwendner gedenkt zu heiraten, und zwar schon zu Pfingsten!

      Da war ich ja platt.

      Er will eine früh verwitwete Geschäftsfrau aus Siegburg heiraten, Pfingsten soll die kirchliche Hochzeit sein und er wird auch nach Siegburg ziehen und den Betrieb übernehmen, irgendwas mit speziellen Apparaten.

      Da