Der Duft der Bücher. Jenny Schon

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Название Der Duft der Bücher
Автор произведения Jenny Schon
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373512



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      Jetzt laufen die Mädchen mit Pferdeschwanz herum wie Brigitte Bardot und Breuers Bärbel, da muss man aber blond sein. Theresa und ich sind aber nicht blond, und so haben wir jetzt einen Bubikopf.

      Mein Vater spricht nicht mehr mit mir, isch han schon ne Jung, hat er gesagt, ich bruch kenne zwei davon!

      Und Mutti, na ja, da sparste dir das Geld für die Dauerwelle, meinte sie, dabei hatte ich das letzte Mal zu meiner Konfirmation ne Dauerwelle.

      Ich habe ja auch angefangen, einen Roman zu schreiben, aber so was Trauriges, wie die Cécile erlebt, möchte ich eigentlich nicht schreiben.

      Aber es muss auch viel Liebe darin vorkommen. Und weil ich mich ja schon ein bisschen in Benno verliebt habe, spielt der Roman in Amerika, da bin ich ihm näher.

      Ich hab leider bei Edgar Wallace keine Mordmöglichkeit für seine Frau gefunden, so muss ich sie in den Roman hineinarbeiten. Ich habe erst mal das Buch Am Tag, als der Regen kam genannt, weil es ja in New York viel regnet. Im Augenblick haben sie dort einen Schneesturm. Ein Glück, dass wir Fernsehen haben, so kann ich manchmal auch was aus Amerika sehen. Denn vorstellen kann ich es mir nicht. Die hohen Häuser und die vielen Menschen, wahrscheinlich so viele, wenn wir Karneval in Köln feiern, da kommt man auch nicht durch in den Straßen.

      Jetzt können auch die Leute nicht sagen, ich mache Françoise nach, denn bei der spielt ja alles in Frankreich. Theresa kennt Frankreich ein bisschen, aber Französisch ist noch viel schwerer als Englisch. Und Englisch fällt mir schon nicht leicht. Ich mache immer noch den Schallplattenkurs, aber viel zu wenig, weil ich kaum Möglichkeit habe, in der Küche, wo der Plattenspieler steht, alleine zu lernen. Immer kommt jemand herein, außer samstags, aber dann muss ich manchmal die Wohnung saubermachen. Bei der Gelegenheit plappere ich einfach die englische Schallplattenstimme nach und wische den Staub von einer Ecke in die andere.

      Im Neuen Jahr war ich mal wieder bei Herrn Beyer. Er sagte, hübsch siehst du aus, kleine Französin. Auch er hatte den Film gesehen, aber solche Sachen wie Cécile machste nicht, das ist alles zu negativ.

      In den Weihnachtsferien war auch Karin aus Paris zu Besuch, auch sie hatte die kurzen Haare. Ansonsten freut sie sich, wenn die Zeit bald herum ist. Paris gefällt ihr nicht so gut, sie muss zu viel arbeiten, sagt sie.

      In der letzten Bravo war auch ein Bericht darüber, wie Elvis in Bremerhaven ankommt, um in Deutschland zur Armee zu gehen.

      Nee, sagte sie, dass ich mal für den geschwärmt hab! So in der Uniform gefällt er mir nicht.

      Ich dachte bei mir, an den Benno reicht er nicht heran, da kann er noch so ein Weltstar sein.

      Jennifer tanzt

      Im Frühjahr, ich bin schon im dritten Lehrjahr, sagt der Chef, jetzt endlich amortisierst du dich. Im ersten Lehrjahr haste nur Geld gekost, im zweiten waren wir quitt und jetzt krieg ich richtig Geld für dich. Du bist ja schon bilanzsicher, dat hät ich nach ersten Reinfällen mit dir nie gedacht, dat de dat mal schaffst. Dat Eva is nämlich schwanger, und fällt bald us, und ich muss mich schon mal nach einem neuen Lehrling umsehn. Ich hoffe ja, dat de, so lang dat Eva ausfällt, bei mir bleibst.

      Auf dem Heimweg ist mir nicht nach Stolz, denn es kommt mir in den Sinn, dass ich ja eigentlich all die furchtbare Zeit in seinem Büro durchgestanden habe, weil ich einmal die Woche nach Köln fahren durfte, und dann, wenn ich ausgelernt habe, ich zu Herrn Beyer gehe. Aber wir haben nie wieder darüber gesprochen und er hat auch einen Lehrling bekommen, einen Italiener aus Verona. Meine Mutter war letztes Jahr in Italien. Sie sagt, ja, sehr schön, als ich ihr erzähle, dass ich mit einem Italiener, der auf meiner Berufsschule ist, Kaffee trinken war. Das war gelogen. Pass aber auf, das sind Gigolos und dann gibt es Bambinos!

      Und jetzt kommt der Hammer. Mein Vater, weil er es auf der Lunge hat von der schweren staubigen Arbeit, war in Kur. Und jetzt, liebes Tagesbuch, ich muss dich mal wieder hervorholen, hat er mir ein Buch mitgebracht.

      Weißt du noch, liebes Tagebuch, wie er dich aus dem Schrank gestohlen und mir um die Ohren gehauen, die Bücher aus dem Regal gerissen hat? Die würden mir nur den Kopf verdrehn? Erinnerst du dich, Tagebuch?

      Und jetzt bringt ausgerechnet er mir ein Buch aus der Kur mit.

      Jennifer tanzt. Ein Mädchenbuch für Zwölfjährige. Ich schreibe Liebesromane und er bringt mir ein Mädchenbuch mit. Und soll ich noch etwas erzählen, liebes Tagesbuch. Es hat mir sogar gefallen, wie Jennifer nicht aufgibt, um Tänzerin zu werden. Und da fiel mir wieder Herr Beyer ein, der zu dem alten Mann in dem Hemingway Buch gesagt hat, er hat es ja geschafft, er hat nicht aufgegeben, das ist das Wichtigste im Leben.

      Feine Gesellschaft

      Breuers Bärbel habe ich mal mitgenommen nach Köln in den Jazzkeller, die hat sich gar nicht mehr eingekriegt, dass ich so interessante Leute in Köln kenne, und sie als Gastwirtstochter nicht. Wie häste denn dat geschafft?, war ihre doch recht einfältige Antwort, denn sie war eben Gastwirtstochter und ging auf die Berufsschule für Hausmädchen in Brühl, in die die Mädchen bis zum achtzehnten Lebensjahr müssen, die keinen Beruf erlernen, sondern im Haushalt, also für ihre späteren Ehemänner, arbeiten werden.

      Mädchen sollen eine gute Partie machen, heißt es.

      Die Geschäftsleute, für die das Büro Mertens die Steuer macht und von denen ich eine Menge Geheimnisse kenne, tun fürnehm, wie sie sagen, ihre Töchter müssten gesellschaftliche Aufgaben übernehmen, dazu müssten sie z.B. auch auf die Tanzschule, evver nit Rock’n Roll, schimpfte Breuers Pitter, der Vater. Bärbel, hürste de, Walzer.

      Dafür würde mein Vater nie Geld ausgeben, würde ich auch nie hingehen, Breuers Bärbel aber. Da tanzen auch die Söhne der Geschäftsleute, da würde sich sicher was finden. Bärbel geht auch in den Französischkurs der Volkshochschule, denn die feinen Leute sprechen Französisch.

      Und nun trifft sie in Köln im Jazzclub die Kölner feinen Leute, von denen Theresa einige kennt und mit ihnen tanzt, und mit mir auch und Bärbel auch.

      Was war die platt, als wir im Morgengrauen in die KBE stiegen und nach Brühl fuhren. Dat glövt minge Vatter nie, dat ich mit einem getanzt hab, der wor ne Doktor.

      Das erzähle ich Herrn Beyer. Ja, früher, antwortet er, waren diese Klassengegensätze noch sehr stark, und in Brühl ist ja alles noch von gestern.

      Du bist die große Ausnahme, das habe ich gleich gespürt. Es wäre natürlich schön, sobald du den Englischkurs zu Ende hast, dass auch du Französisch lernst, denn es ist eine sehr schöne Sprache und Frankreich hat die Aufklärung und die Revolution hervorgebracht und viele Denker und Schriftsteller. Und er gibt mir Albert Camus. Lies, sagt er: »Der Mensch in der Revolte«. Du hast ja auch Kleists Michael Kohlhaas gelesen und den Jungen Werther und Schillers Räuber und Kafkas Verwandlung, dessen Metamorphose auch ein Protest gegen die Zustände in der Welt ist.

      Und lass dir Zeit, das ist schwierig. Frankreich hat jetzt schwierige Zeiten mit dem Algerienkrieg und ich erzähl ihm von dem Mann meiner Tante, der im Algerienkrieg war und der sehr brutal ist. Und dass ich mich schäme, so einen in der Verwandtschaft zu haben und dass wir keinen Kontakt mehr haben, obwohl es die Schwester meiner Mutter ist, die nach dem Krieg in der Ostzone viel Schweres mitgemacht hat. Und der eigentlich das Leben egal war, sie wollte nur überleben.

      Und Herr Beyer ist ganz begeistert über meine Unterscheidung von Leben und Überleben.

      Verkörperungen –

      in memoriam Albert Camus (1913–1960)

      Zu Hause setze ich mich hin und schreibe die Geschichte auf. Als ich wieder bei Herrn Beyer bin, überlasse ich ihm meine Geschichte.

      Mein Camus-Exkurs, sage ich, oder Nihilismus ohne nihil.

      Und Herr Beyer antwortet: Nihil est, quod deus efficere non possit.