Название | Im Schatten des Löwen |
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Автор произведения | Linda Dielemans |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772546655 |
Da erst, nachdem alle standen, fiel Junhi die Stille auf. Keine Vögel, kein dahinfließendes Wasser. Und kein Wind. Die Luft war ruhig, fast schwül. Wenn sie die Augen schloss, hörte sie nur ihren eigenen Atem und das Pochen ihres Herzens.
Bald schon wurde der Gang schmaler, sodass die Jungen nah hintereinander gehen mussten, Lichtchen für Lichtchen. Ein großer Stein blockierte fast den gesamten Weg und sie zwängten sich einer nach dem anderen an ihm vorbei. Leise folgte Junhi, und einen Moment war sie wie gefangen im Stein, kühl und massiv an Bauch und Rücken. Es war ein merkwürdiges Gefühl, beängstigend und beruhigend zugleich.
«Sind wir schon da?», fragte einer der Jungen. Sie hielten ihre Lämpchen hoch und erleuchteten so die Felswände.
«Noch etwas weiter», sagte ein anderer.
Dann: «Seht mal hier!»
Plötzlich waren alle Lämpchen zusammen.
«Und hier!»
Junhi schlich näher an die orangegelben Gesichter, die in die Höhe starrten.
«Wir sind fast da, noch ein bisschen weiter, kommt!»
Bevor Junhi selbst etwas hatte sehen können, waren die Lichter schon wieder fort. Aber sie konnte erraten, was es da gab. Ein Kitzel durchzog ihren Körper. Die Zeichnungen. Die lebenden Träume. Fast konnte sie sie im Dunkeln sehen. Durfte sie die Wand denn berühren? Oder würde sie die Zeichnungen damit verschmieren und verderben? Einen Augenblick lang zweifelte Junhi, aber sie musste. Die Felswand war ihr einziger Halt.
«Es muss hier irgendwo sein», murmelte einer der Jungen. «Schaut ihr mal auf der anderen Seite.»
Zwei Lichter spalteten sich von der Gruppe ab und bewegten sich vorsichtig zur anderen Seite der Höhle. Dort, im Schein der Lampen, waren sie deutlich zu sehen. Handabdrücke.
Junhi hielt den Atem an. Rote Farbe hatten die Träumer auf die Felswand gespien. Hier hatten Tukh und die Träumer vor ihm zum ersten Mal ihren Atem der Mutter geschenkt. Hier würde Tira ihre Hand verewigen, wenn sie keine Schülerin mehr war, sondern eine echte Träumerin.
Einer der Jungen streckte vorsichtig die Hand zu einem der Handabdrücke aus, um ihn zu berühren, um zu sehen, ob es passen würde …
«Nein, nicht!», rief Junhi, bevor ihr klar war, was sie tat, und sprang hervor, um den Jungen wegzuschubsen. Niemand durfte sie anfassen! Erst recht keine Jäger wie er!
Ein Chaos mit Geschrei, Gerufe und Geschubse folgte. Junhi zog den Jungen am Ärmel und er fiel rücklings hin. Seine Lampe schlug auf den Boden und die Flamme erlosch sofort. Er zog sie mit sich, knurrte wie ein wütender Hund und sie spürte eine Faust im Magen. Sie stöhnte vor Schmerz, schlug aber fest zurück. Dann waren da weitere Hände, die sie hochzogen und von ihrem Widersacher trennten. Keuchend ließ sie sich festhalten.
«Was machst du denn hier?»
Einer der Jungen hielt ihr seine Lampe so nah ans Gesicht, dass sie die Augen zukneifen musste.
«Lass das!»
«Kian darf tun, was er will!», sagte der Junge, der sie festhielt, hochmütig. «Du bist ein Eindringling! Du gehörst nicht hierher!»
«Und ihr vielleicht?», schnaubte Junhi. «Ihr seid in der Mutterhöhle! Nur Träumer dürfen hierherkommen. Wartet nur, bis ich es Uma erzähle.»
Mit einem Schlag waren sie still.
«Das wirst du nicht wagen», sagte schließlich ein anderer Junge. «Alle wissen, dass Uma dich auf dem Kieker hat! Anstelle von uns wird sie dich bestrafen!»
«Meinst du wirklich? Möchtest du es ausprobieren?»
Wieder Stille. Junhi riss sich los.
«Ihr müsst hier verschwinden. Wie könnt ihr es wagen, die Hände der Träumer zu berühren?»
«Nein. Wir gehen hier nicht weg. Du musst verschwinden, sonst sagen wir es Uma.»
«Na klar», fauchte Junhi. «‹Uma, Junhi war in der Mutterhöhle, aber woher wir das wissen, sagen wir nicht.› Nein, ich bleibe. Um dafür zu sorgen, dass ihr nichts Falsches tut.»
«Was weißt du denn davon? Tukh redet nicht mit dir. Aber wohl mit uns!»
«Hat Tukh euch hierhergeschickt?»
Das konnte doch nicht wahr sein! Das würde er niemals tun!
«Na ja … vielleicht. Er hat gesagt, wir sollten die Mutter um Glück bei der Jagd bitten. Und wo könnten wir das besser als hier?»
Einen Moment lang schwieg Junhi.
«Also gut», antwortete sie zuletzt. «Tut, was ihr wollt. Aber ich bleibe, damit ihr nichts Verbotenes anstellt. Im Tausch dafür werde ich Uma nichts sagen.»
Die Jungen im Schein ihrer Lampen wechselten einen Blick miteinander. Junhi wusste, dass sie gewonnen hatte. Ihnen blieb keine Wahl.
«Einverstanden», sagten sie dann. «Aber du darfst uns nicht stören!»
«Meinetwegen. Wenn ich eine Lampe bekomme.»
Unter großem Ächzen und Stöhnen trat ihr einer der Jungen seine Lampe ab. Er sagte nichts, guckte aber ziemlich wütend.
«Es tut mir leid», sagte Junhi.
«Ach was!», erwiderte er und ging, um sich den Übrigen anzuschließen.
Aus einiger Entfernung schaute Junhi zu, während die Jungen mit ihren Lampen den Boden ableuchteten, flache Steine sammelten und sich kniend um sie scharten. Aus Taschen, die ihr in der Dunkelheit noch nicht aufgefallen waren, holten sie Feuerstöcke und getrockneten Dung hervor. Bald schon brannte ein kleines Feuer auf dem Boden, dessen Flammen einen Teil von Wand und Decke sichtbar machten.
Sie schüttelten etwas aus einem Lederlappen und begannen es auf einem der flachen Steine zu zermahlen. Das Geräusch hallte durch die Höhle. Hatten sie Farbe von Tukh gestohlen? Oder hatte er sie ihnen gegeben?
Während manche beim Feuer sitzen blieben, nahmen die Übrigen ihre Lampen und gingen damit zur Wand. Einer von ihnen hatte ein Stück Stein in der Hand. Bedachtsam besah sich der Junge den kahlen Felsen vor ihm, auf der Suche nach der besten Stelle. Dann drückte er die Spitze des Steins gegen den Felsen und begann zu ritzen.
Es klang noch schlimmer als das Mahlgeräusch für die Farbe. Der Stein quietschte und kratzte, als ob der Felsen selbst seinen Schmerz hinausschrie. Junhi hätte ihm am liebsten den Stein aus den Händen gerissen, aber sie beherrschte sich. Einige Jungen lachten.
«Willst du das Mammut schon umbringen, bevor wir es gesehen haben? Hört nur, wie es kreischt!»
Aber der Zeichner schwieg und ritzte unbeirrt weiter.
«Die Farbe ist fertig!», rief jemand beim Feuer. «Wir haben nicht so viel, also seid sparsam damit.»
Der Farbmischer verteilte flache Steine mit einem roten Staub darauf an alle. Die Jungen spuckten hinein und verrührten ihn mit den Fingern zu einem Brei. Sie ließen ihre roten Finger über die Felswand streichen, über Vorsprünge und die dünnen Steinpfeiler, die sich hier aus dem Boden erhoben.
Junhi schauderte. Wie konnten sie so arglos draufloszeichnen? Aber jedenfalls ließen sie die Handabdrücke in Ruhe. Kindische Spielereien waren es, sonst nichts. Sie seufzte. Diese Höhle hatte Besseres verdient. Die Mutter hatte Besseres verdient. Aber wenn diese nichts dagegen unternahm, würde es wohl in Ordnung sein.
Junhi hob ihre Lampe hoch und drehte sich vorsichtig um. Die Höhle führte noch tiefer in die Erde. Langsam entfernte sie sich von den Jungen und ihrem lärmenden Unsinn. Junhis Schritte waren leise und behutsam, während sie die sie umgebende Schwärze