Название | Im Schatten des Löwen |
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Автор произведения | Linda Dielemans |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772546655 |
Je weiter sie ging, desto tiefer wurde die Dunkelheit. Bald würde ihr Lämpchen nicht mehr stark genug sein, das Dunkel zurückzudrängen. Sie erzitterte trotz der milden Luft, die sie umgab. Dann wäre ihr das steinerne Brenngefäß fast aus der Hand gefallen. Das Mammut, das vor ihr auftauchte, war gigantisch. Seine Stoßzähne krümmten sich nach vorn, und die Wölbung seines Rückens war dunkel in den Schatten, die das Lämpchen auf die Felswand warf. Es sah aus, ab ob es sich bewegte.
Junhi blinzelte mit den Augen, aber das Mammut lief weiter. Seine Beine bewegten sich im Rhythmus ihres flackernden Lichtscheins.
Träume erwachen zum Leben, dachte sie, sie leben tatsächlich.
Sich die Lampe über den Kopf haltend ging sie weiter.
Mit der Herde mit, dachte sie, genau wie in meinen Träumen. Ich muss ihnen folgen.
Die Tiere führten sie tiefer in die Höhle hinein. Nicht nur Mammuts, sondern auch Hirsche, Wisente, sogar Bären … Wenn sie genau darauf achtete, konnte sie sie hören. Ihr Schnauben und Brüllen, ihre dröhnenden Schritte und schnellen Hufe. Wenn Junhi ihre Lampe hoch genug hielt, konnte sie die Decke sehen. Auch da waren Tiere, in Rot und Schwarz, versteckt in den Falten des Felsens.
Die Wirklichkeit existierte nicht mehr, die kalte Außenwelt war verschwunden, die Stimmen der Jungen verschwammen zu einem Rauschen. Die Tiere flüsterten ihr Dinge ins Ohr. Sie sahen sie an, liefen ihr voraus oder folgten ihr.
Fast hätte sie es überhört. Dieses Geräusch war anders. Und es war nah. Es klang, als ob sie aus einem tiefen Schlaf erwachte. Die Höhle wurde wieder still und die lebenden Träume kehrten an ihren Ort auf der Wand zurück. Junhi war allein mit dem unbekannten Geräusch. Es kam aus dem entlegensten Teil der Höhle. Es bewegte sich. Es kam näher. Ein Brummen, ein Schnauben. Tritte auf dem Steinboden. Klauen. Es waren Klauen.
Aber ich sehe nichts, dachte Junhi, wo ist es? Wo ist es?!
Ein ohrenbetäubendes Kratzen sorgte dafür, dass Junhi fast ihr Licht fallen ließ. Es klang, als würde ein Dutzend Jungen gleichzeitig lange Striche in die Felswand ritzen. Der Geruch eines großen Tieres kam in Stößen auf sie zu. Ein feuchtes Fell, wie eine frische Rentierhaut, die irgendwo zu lange aufgerollt gelegen hatte. Ein grollendes Brummen hallte durch die Höhle. Bebend hielt Junhi ihr Lämpchen in Richtung des Geräuschs, während sie so schnell sie konnte rückwärts schlurfte. Wieder scharrten die Klauen auf dem Felsboden, schneller diesmal. Als sie das Tier endlich sehen konnte, wusste Junhi schon, was es war.
Die Augen des Bären glänzten grün, während er sich auf die Hinterbeine stellte und sie somit turmhoch überragte. Noch nie hatte Junhi einen Bären aus einer solchen Nähe gesehen. Sie fühlte seine Wärme. Als er sich wieder auf seine vier Pfoten fallen ließ, schien die Erde zu beben.
«Was ist da los?», rief eine Stimme in der Ferne.
Sie wagte nicht, etwas zurückzurufen. Und sie wagte es nicht, ihren Blick von dem Bären abzuwenden. Er griff nicht an. Hatte ihn das Geschrei der Jungen aus seinem Winterschlaf geweckt? Dann war er sicher durcheinander. Und hungrig. Junhi wusste, dass diese Bären nur Pflanzen fraßen. Aber es gab genug Jäger, die auf einen schönen, dicken Bärenpelz aus gewesen waren und das nicht überlebt hatten. Bären hatten Zähne und Klauen, sie waren schnell und stark. Das hätte genügen müssen, um Junhi zur Flucht zu bewegen.
Aber sie bewegte sich nicht. Der Bär kam langsam auf sie zu. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, roch den üblen Gestank von getrocknetem Speichel und langem Schlaf. Er beschnüffelte sie, seine Schnauze berührte ihre Haare, ihre Wangen. Junhi hielt das Lämpchen eng an sich gepresst. Der Bärenkopf schien in der Dunkelheit vor ihr zu schweben. Langsam streckte sie ihre freie Hand aus. Ihre Fingerspitzen berührten sein borstiges Fell.
«Junhi!», klang eine Jungenstimme plötzlich ganz nah. Dann sah er den Bären und schrie. Der Bär öffnete das Maul und brüllte so laut, dass es Junhis Haare nach hinten wehte. Der Gestank aus seinem Maul ließ sie beinahe würgen. Eine Faust umfasste ihr Handgelenk und zog sie zurück.
«Los, wir verschwinden!»
Ihr Lämpchen fiel zu Boden, die Flamme erlosch sofort. Der Junge riss sie mit sich. Junhi stolperte, stieß sich den Ellbogen und den Kopf, aber er ließ nicht los.
Der Bär brüllte noch einmal, und durch das Echo schien er überall gleichzeitig zu sein. Der Junge schrie in Panik und rannte noch schneller, zurück zu den Händen der Träumer, zum Feuer, um das die andere Jungen standen, den Rücken den Flammen zugekehrt und mit ängstlichen Blicken.
«Was war das? Ist die Mutter böse auf uns?»
«Wir müssen weg, sofort! Es ist ein Bär, und er ist uns auf den Fersen!»
Aber die Jungen bewegten sich nicht. Sie starrten an Junhi und ihrem Retter vorbei, als ob sie Luft wären. Junhi drehte sich um. In der Glut des Feuers erschien ihr der Bär noch größer, schwer wie ein Felsblock, mit Beinen dicker als Baumstämme. Er schüttelte den Kopf, als wäre das helle Licht der Flammen ihm zu viel. Einer der Jungen schrie. Da griff der Bär an.
Mit dröhnenden Schritten rannte er auf sie zu, das Maul drohend aufgerissen. Junhi und die Jungen stoben zur Seite. Die meisten Lampen gingen aus, und der Bär donnerte quer durch das Feuer hindurch. Funken sprühten zu allen Seiten hin auf. Alle Jungen riefen und schrien.
Junhi kreischte, als sie wieder eine Faust ums Handgelenk spürte, und wieder wurde sie mitgezogen. Wo war der Bär? In der Nähe. Er schnaubte und knurrte. Sie wollte rennen. Die Jungen wollten rennen. Aber das ging nicht, denn sonst würde es die letzten Lampen auswehen, und ohne Licht würde sie der Bär sicher zu fassen bekommen. Also gingen sie so schnell sie konnten, die kostbaren Flämmchen ängstlich mit ihren Händen umschließend.
«Wo ist er? Wo?», fragte ein Junge.
«Nicht daran denken. Weitergehen!», sagte ein anderer.
Er wirkte ruhig, aber Junhi wusste, dass sein Herz hämmern musste, dass ihm der Atem bei jedem kleinen Geräusch im Hals stockte, dass er das Lämpchen umklammerte, als ob es das Einzige wäre, was ihn am Leben hielt.
«Da! Der Stein! An dem kann er bestimmt nicht vorbei!»
Natürlich kann er das, dachte Junhi, er ist doch auch in die Höhle hineingekommen!
Aber sie schwieg. Nacheinander zwängten sie sich an dem Stein vorbei. Ihre Hände hinterließen Schweiß und rote Farbe. Während sie wartete, bis sie an der Reihe war, blickte Junhi rückwärts ins Dunkel. Hörte sie den Bären noch schnauben? Fühlte sie seine Wärme?
Das Brüllen, das folgte, klingelte ihr in den Ohren. Der Bär richtete sich auf und ließ sich gegen den Stein fallen, sodass der Boden erbebte und kleine Felsbrocken herabgerieselt kamen. Junhi schrie und gab dem letzten Jungen, der an dem Stein vorbeimusste, einen Schubs.
«Beeil dich!», rief sie.
«Junhi!»
«Lass sie doch zurück!»
«Nein! Dann wissen alle, was wir getan haben!»
Der Bär wandte sich ihr zu. Er brüllte wütend, spannte seine Muskeln an und sprang. Das Licht war gerade ausreichend, ihn ankommen zu sehen, ein Bündel aus Kraft, das Maul weit aufgerissen …
«Junhi!»
Ein Ruck an ihrem Arm und ihr Gesicht schrammte über die Felswand, ihr Fuß knickte um, ein Schlag, ein Schrei, und dann war wieder Platz.
Keuchend sank Junhi zu Boden. Ihr Knöchel tat weh. Als sie mit der Hand über ihre Wange fuhr, fühlte sie warmes Blut. Der Bär brüllte noch ein letztes Mal, und es dauerte lange, bis die letzten Echos verhallt waren. Danach hörten sie nichts mehr.
«Er ist weg», sagte einer der Jungen. «Warum konnte er nicht durch?»
«Der Stein muss zu Anfang des Winters heruntergefallen sein», antwortete Junhi. «Wenn es keinen anderen Eingang gibt, kommt er hier nicht mehr heraus.»
Einen Moment herrschte Stille,