Название | Im Schatten des Löwen |
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Автор произведения | Linda Dielemans |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772546655 |
Manchmal machte Junhi Pläne, zur Mutterhöhle zurückzugehen und nachzuschauen, ob der Bär noch lebte oder vielleicht doch entkommen war, oder irgendwo in einer Ecke verendet dalag und nichts mehr war als ein stinkendes Gerippe. Tukh musste einfach davon wissen, er musste in der Zwischenzeit in der Mutterhöhle gewesen sein. Weshalb sonst sollte er ihr die Bärenfigur geschenkt haben?
Sie wünschte, sie hätte mit ihm darüber reden können. Zu wissen, dass er ihr zwar helfen wollte, es aber nicht konnte, war schwer. In der Wohnhöhle spürte Junhi fortwährend Umas misstrauische Blicke. Seit die Stammesmutter ihr das Träumen verboten hatte, war Junhi einige Male wie befohlen zu ihr gegangen. Dann erfand sie einen Traum über Wisente und Rentiere und hörte sich brav Umas Erklärungen an, die immer darauf hinausliefen, dass das alles nichts zu bedeuten hatte und sie sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchte. Daraufhin nickte Junhi und sagte: «Hab Dank für deine Weisheit, Uma», woraufhin sie sich schnellstmöglich wieder aus dem Staub machte. Natürlich nahm Uma Junhi ihre plötzliche Unterwürfigkeit nicht ab. Die Stammesmutter wusste, dass Junhi etwas vor ihr verbarg, etwas Wichtiges. Aber Junhi war stolz darauf, dass Uma nicht herausgebracht hatte, was das war.
Das verdankte sie auch Ren. Junhi hatte nächtelang wach gelegen und überlegt, wie sie ihn ins Vertrauen ziehen konnte. Nur zu gut erinnerte sie sich an Dahs’ Warnung. Er würde immer einer sein, der sie beobachtete. Ren war der Einzige, den sie bitten konnte, ihr zu helfen. Er war jung, aber er hatte sie nicht verraten, als sich die Gelegenheit dazu bot. Sie vertraute auch Cramh, aber der war mit zur Jagd. Außerdem setzte er sich nur dann für sie ein, wenn es ihm passte.
Einige Tage nach dem Aufbruch der Jäger hatte sie Ren zu dem entlegenen Ort am Fluss mitgenommen, der sich hinter einem Berg aus Steinen und einer einsamen Kiefer mit niedrig hängenden Ästen verbarg. Die Einbuchtung war fast so tief wie eine Wohnhöhle, allerdings mit einer geraden Wand, die in den blauen Himmel aufragte.
Ren war erst erstaunt gewesen, dann böse, dann ängstlich, aber zuletzt hatte er versprochen, Junhi zu helfen. Vielleicht, weil er Angst vor ihr hatte. Oder weil er neugierig auf ihre Träume und Zeichnungen war. Es war einerlei, solange er ihr nur half.
Immer wenn Junhi zu ihrem geheimen Ort wollte, begleitete Ren sie, und beide erzählten den Übrigen, sie gingen Fallen aufstellen oder Knochen sammeln. Ren tat das dann auch wirklich und ließ Junhi in ihrer Lufthöhle allein. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war, kam er zurück und schaute stumm zu, wie sie ihre Träume der Felswand anvertraute.
Pferde, Wisente und Rentiere füllten Junhis Kopf mit Freiheit und Kraft. Und immer fühlte sie diese starke Bindung innerhalb der Herde, die über alles ging, die wichtiger war als die Tiere selbst, immer und überall. So, wie ihr Stamm sein sollte. Sie hätten für sie sorgen müssen. Besonders die Stärksten wie Uma und Dahs, aber stattdessen hatten sie sie verraten, sie einsam gemacht.
Sie träumte nicht mehr von dem steinernen Stamm und dem Mann auf dem Boden, aber sie dachte noch oft daran zurück. Warum war dieser Traum gekommen? Warum jetzt? Sie konnte ihn nicht zeichnen. Es war kein Traum der Mutter, der ihr etwas von der Welt und dem Stamm und dem Leben zeigte. Er hatte keine Tiere enthalten, nur Menschen.
In letzter Zeit hatte sie gar nicht mehr so viel an ihren Vater gedacht. Es hatte keinen Sinn, jemanden zu vermissen, der ja doch nicht wiederkam. Das hatte sie mittlerweile gelernt. Musste sie dennoch wieder und wieder erleben, wie sie ihn verloren hatte, vor so vielen Wintern? Sie hatten es geschehen lassen, Dahs und Uma, sie hatten ihren Vater auf dem Boden sterben lassen, als hätten sie darauf gewartet, als hätten sie es gewollt. Und niemand hatte Junhi getröstet, niemand hatte ihr gegenüber jemals noch etwas dazu geäußert, als hätten alle geglaubt, sie würde es vergessen, solange sie es nur nicht erwähnten. Die Leute wollten ohnehin nicht viel mit ihr reden oder ihr zu nahe kommen, als wäre sie krank und ansteckend mit ihrer Einsamkeit.
Cramh beschützte sie, wahrte jedoch Abstand. Dahs und Uma sprachen mit ihr, aber nur, wenn sie etwas Falsches getan hatte. Nur die Kinder, die zu jung waren, um sich an Junhis Vater zu erinnern, setzte sich manchmal zu ihr und baten sie dann um Geschichten oder ein Spiel. Aber auch sie bemerkten, dass etwas mit Junhi war, etwas Eigenartiges, wovon sie nichts verstanden. Junhi hob den Kopf und studierte ihre Lufthöhle. Da war Platz genug für neue Träume. Die Herde der Pferde wurde immer größer, hinzu kamen ein Bär und ein Hirsch. Aber wo waren die Mammuts? Sie hatte erwartet, dass sie von keinem anderen Tier träumen würde, seit die Jäger fort waren. Dass die Mutter sie einen Schimmer von dem auffangen ließe, wie es ihnen erging. Oder ihr erzählen würde, wo die Mammuts waren; in der Nähe oder weit weg. Letzteres würde erklären, warum die Jäger noch nicht zurück waren, warum noch niemand etwas von ihnen gehört hatte. Es dauerte schon viel zu lange.
Sie litten keinen Hunger, noch nicht. Es gab genügend Kleintiere, die sie fingen: Vögel und Hasen und Fische, auch zeigten sich mit dem anbrechenden Frühling schon die ersten Kräuter und Blumen. Aber das genügte nicht, um den Stamm bis zum nächsten Winter zu ernähren. Normalerweise wären sie der Rentierherde nach Osten gefolgt. Wisente kamen nicht hierher, und Pferde waren zu unvorhersagbar. Das eine Jahr zogen sie wohl durch das Tal, das andere Jahr nicht. Aber durch Junhis Traum, ihren Traum, hatten Uma, Tukh und Dahs sich dafür entschieden zu bleiben. Was sollten sie tun, wenn die Jäger nicht heimkehrten? Was sollten sie tun, wenn Tukh den Mammuttraum falsch verstanden hatte? Würden sie dann verhungern? Mussten sie dann weiterziehen? Dann würden die Jäger sie nie mehr finden.
Junhi blickte noch einmal auf die Felswand vor ihr und seufzte. Heute gelang es nicht. Gedanken an ihren Vater saßen ihr schon seit Tagen im Weg, wehrten die Tiere aus ihren Träumen und blockierten ihre Hand. Sie packte ihre Sachen ein und begab sich auf die Suche nach Ren.
Der Fluss war ungestüm heute. Das Wasser schoss mit weißen Schaumkronen an den Felsen vorbei. Was hatte Ren noch mal vorgehabt? Sie schirmte die Augen gegen die Sonne ab. Eine Silhouette erschien oben auf der Felskante. Der Löwenmann?
Junhi sah nochmals genau hin.
«Cramh!», rief sie, und gleichzeitig erschien ein zweiter Schatten, der sich langsam und stockend bewegte.
Sie rannte zu einem Stück, wo die Felswand weniger steil war, und kletterte so schnell sie konnte hinauf. Ihr Magen verknotete sich. Die Jäger waren zurück, aber irgendetwas stimmte nicht.
Als sie näherkam, sah sie es. Der zweite Schatten war Dahs. Er stand neben Cramh mit einem stumpfen Blick in den Augen, und seine Armen hingen schlaff an seinem Körper herab. Junhi verlangsamte ihren Schritt.
«Junhi, Mädchen», seufzte Cramh, und zu ihrer Verwunderung umarmte er sie. Er roch nach Schweiß und Blut.
«Was ist passiert?», fragte Junhi.
«Sie sind alle tot. Es gab keine Mammuts, wir konnten sie nicht finden. Aber stattdessen gab es Löwen. Ein ganzes Rudel. Und sie hatten Hunger.»
Sie fühlte, wie Cramh erschauerte, dieser starke Mann, ein erfahrener Jäger.
«Wir konnten nichts tun. Die Löwen haben uns von den anderen getrennt; sie wussten, dass wir die Stärksten waren. Sie haben geschrien, Junhi, die armen Jungen. Sie wurden zerrissen, zusammen mit den Männern, die versuchten, sie zu retten. Ich musste Dahs mit meinem Speer bedrohen, damit er zusammen mit mir die Flucht ergriff. Er wollte sie nicht zurücklassen, aber es war schon zu spät. Zu spät …»
«Ach, Cramh …»
«Weine, so viel du willst. Meine Tränen sind alle.»
«Ich bringe euch nach Hause», sagte Junhi mit zugeschnürter Kehle. «Ihr seid jetzt in Sicherheit.»
Sie nahm Cramh an der Hand und führte ihn zu der Wohnhöhle. Dahs folgte ihnen schweigend, abwesend wie ein Geist.
Sobald sie eingetreten waren, war sie sie los. Leute sprangen auf und bestürmten Cramh und Dahs mit Begrüßungen und Fragen. Schon bald folgten Ausrufe der Trauer. Die beiden Jäger wurden zu Uma geführt, wo der Dämmer sie verschluckte. Junhi blickte verloren um sich. Direkt