Название | Im Schatten des Löwen |
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Автор произведения | Linda Dielemans |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772546655 |
Weg. Alle weg. Die besten Jäger des Stammes. Die Jungen aus der Mutterhöhle. Der Bär hatte sie nicht erwischt. Aber dafür die Löwen.
Wie konnte das sein?
Mein Traum.
Es war ihr Traum gewesen, der sie in den Tod geschickt hatte. Aber sie hatte die Mammuts doch gesehen! Der Hirsch und der Löwenmann hatten ihr die Herde gezeigt! Was hatte sie falsch gemacht? Was hatte sie nicht verstanden? Sie musste Tukh sprechen. Bei Tira in der Wohnhöhle war er nicht gewesen. Vielleicht war er in seiner Lufthöhle am Fluss.
Normalerweise beruhigte sie das Geräusch dahinfließenden Wassers, aber diesmal nicht. Sie wollte, dass es aufhörte. Sie wollte, dass alles aufhörte. Ihretwegen waren die Jäger jetzt tot. Uma hatte recht gehabt. Sie wollte schreien, sie wollte brüllen, schlagen, treten.
«Tukh!», rief sie. «Tukh, wo bist du?»
«Junhi!»
Seine Stimme klang hohl.
«Tira kann dich hören. Wir hatten eine Vereinbarung!»
Er trat aus dem Schutz seiner Lufthöhle und musterte sie streng, aber als er ihr Gesicht sah, veränderte sich sein Blick und er schnellte zu ihr hin.
«Was ist passiert?»
«Dahs und Cramh sind zurück. Es gab keine Mammuts, sondern Löwen, Tukh, und es ist meine Schuld! Alle anderen sind tot! Es war mein Traum, und er war falsch! Was soll ich tun, Tukh? Was soll ich tun?»
Erst sagte er nichts. Seine Augen waren leer, während er die Nachricht in sich aufnahm.
«Ach, Mädchen», sagte er dann und zog sie an sich. Junhi ließ ihre Stirn auf seiner mageren Schulter ruhen.
«Ich bin dumm gewesen. Vielleicht … Ja. Es ist Zeit.»
Er nahm ihr Gesicht in seine beiden Hände und sah sie eindringlich an. Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Tukh …»
«Kein Aber. Du gehörst jetzt mir. Ich werde mit Uma sprechen. Und mit Tira. Hab keine Angst, Junhi. Ich hätte das schon früher tun sollen. Nicht du, sondern ich bin für den Tod dieser tapferen Jäger verantwortlich. Ich hatte beschlossen, Uma und Dahs deinen Traum zu erzählen, und sie davon überzeugt, ihn zu befolgen. Merke dir für den Rest deines Lebens, dass das hier nicht deine Schuld war. Versprich es mir.»
«Ich verspreche es.»
Sie sagte es so leise, dass es beinahe nicht zu verstehen war.
«Lauter.»
«Ich verspreche es», sagte sie.
«Lauter!»
«ICH VERSPRECHE ES!»
Ihre Stimme schallte über den Fluss.
«Sehr gut», sagte Tukh. «Ich muss jetzt zu Uma. Warte hier. Komm zur Ruhe. Ich werde Ren schicken, dich zu holen, wenn es Zeit ist. Bereite dich vor, Junhi. Du musst stark sein und darfst dich den bösen Worten und kalten Blicken nicht beugen. Wenn du stark bist, werde ich es auch sein, stark genug, um Uma und Dahs einsehen zu lassen, dass du deine Träume nicht einfach so stoppen kannst. Und dass du meine Hilfe brauchst.»
«Warum tust du das, Tukh?»
«Weil deine Träume gefährlich sind», antwortete er. «Für den Stamm und auch für dich.»
Dann drehte er sich um und eilte zur Wohnhöhle.
Tukhs Kuss brannte auf Junhis Stirn. Der Kuss des Träumers. Genau das hatte sich Junhi gewünscht, seit ihre Träume anfingen, seit sie ihre Eltern verloren hatte … Aber warum hatte Tukh mit seinem Kuss nicht gewartet? War das wirklich der richtige Moment, den Stamm noch mehr in Verwirrung zu stürzen und Uma und Dahs gegen sich aufzubringen, während sie alle so trauerten? Tukhs Worte geisterten ihr weiter durch den Kopf.
Deine Träume sind gefährlich.
Tukh hatte ihr den Kuss nicht gegeben, weil er ihn ihr gönnte oder es gewollt hatte, sondern weil er musste. Weil sie sonst mit ihren Träumen noch mehr Tote verursachen würde. Das sorgte nicht dafür, dass sie sich besser fühlte.
Mit einer Fingerspitze betastete sie vorsichtig die Stelle direkt über ihren Augenbrauen. Verwundert betrachtete sie anschließend die rote Farbe an ihrem Finger.
«Nicht berühren», klang plötzlich eine Männerstimme. «Nicht, bevor alle dich gesehen haben!»
«Cramh! Wo ist Ren? Er sollte mich holen kommen.»
«Ren ist aus der Fassung. Ich wollte ihn so nicht gehen lassen.»
Cramh starrte auf Junhis Stirn.
«Tukh erzählte mir, was er getan hat. Ich weiß nicht, ob es eine vernünftige Idee ist, aber ob Uma und Dahs so vernünftig sind, weiß ich auch nicht. Also wer weiß.»
«Wie geht es … allen?»
«Wie du dir wohl vorstellen kannst. Alle sind traurig, böse und durcheinander. Tukh hat noch nie jemanden in den Tod geschickt. Keiner versteht, wieso das geschehen ist. Und Dahs hat noch nichts gesagt, seit er zurück ist, auch nicht zu Tira. Sie ist in Panik.»
«Können wir noch etwas warten, bevor wir zurückgehen, Cramh?»
Cramh schüttelte den Kopf. «Tukh bat mich, dich sofort mitzubringen. Bestimmt hat er einen Plan. Auch bat er mich, dich an dein Versprechen zu erinnern. Ich weiß nicht, was das beinhaltet, aber denk an dein Versprechen, Junhi. Und jetzt gehen wir.»
Stark sein. Sie sollte sich nicht schuldig fühlen und stark sein. Sie hatte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde, sich an dieses Versprechen zu halten. Aber Tukh wollte eine Träumerin aus ihr machen. Sie musste jetzt zeigen, was sie wert war. Sie musste zeigen, dass sie nicht nur gefährlich war, sondern eine gute Träumerin sein und dem Stamm in schwierigen Zeiten helfen konnte, wenn Tukh einmal nicht mehr war.
Ich werde für den Stamm sorgen, wie dieser nie für mich gesorgt hat.
Noch nie hatte der Vorhang zur Wohnhöhle so bedrohlich ausgesehen. Cramh schob ihn mühelos zur Seite. Er sagte nichts, sondern bedeutete ihr durch Gesten, einzutreten. Mit geschlossenen Augen überschritt Junhi die Schwelle. Als sie die Augen wieder öffnete, war Cramh verschwunden. Alle starrten sie an. Als ob ihnen erst jetzt wieder klar geworden wäre, dass es Junhi gab. Langsam ging sie weiter in die Höhle hinein, zu den Schatten, durch die sie nicht hindurchsehen konnte, wo Uma war, und Tukh und wer weiß wer noch. Sie fühlte, dass sich der Dämmer hinter ihr schloss, sie vor den Augen des Stammes verbarg. Vielleicht würden sie gleich den Kopf schütteln und vergessen, was sie gesehen hatten, als wäre Junhi mit dem roten Kuss nur ein Traum gewesen.
«Junhi.»
Umas Stimme war kalt.
«Uma», antwortete Junhi.
«Es stimmt also. Er hat dir den Kuss gegeben.»
«Ja, Uma.»
Junhis Blick gewöhnte sich langsam an die Dunkelheit, und sie sah Umas umfangreiche Konturen, den Kopf bedeckt mit einem feinen Netz mit kleinen Felsmuscheln. Unter den Augen waren mit schwarzer Holzkohle Striche angebracht; das Zeichen der Trauer. Tukh stand neben ihr, Dahs an der anderen Seite. Er schaute mitten durch sie hindurch.
«Tukh hat uns alles erzählt», fuhr Uma fort. Junhis Herz stand für einen Moment still. «Ich hatte dich gebeten, nicht mehr zu träumen. Danach hatte ich dir befohlen, nicht zu träumen. Aber hörst du auf mich? Nein. Du träumst einfach weiter, du besuchst Tukh und erzählst mir irgendwelche Ausreden.»
«Uma –»
«Halt! Ich will deine Stimme nicht hören.»
«Es tut mir leid», sagte