Im Schatten des Löwen. Linda Dielemans

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Название Im Schatten des Löwen
Автор произведения Linda Dielemans
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772546655



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gesorgt für …»

      Uma blickte seitwärts zu Dahs, aber der reagierte nicht.

      Stark sein, dachte Junhi.

      «Tukh befürchtet, dass er zu alt wird, um der Träumer des Stammes zu sein», fuhr Uma fort. «Dass er nach vielen Wintern seine Träume nicht mehr richtig deuten kann. Natürlich hat er Tira.»

      Die Stammesmutter zögerte.

      «Aber Tira ist … nicht genug. Sie braucht jemanden, der ihr hilft. Jemand, der stark ist und weiß, was es bedeutet, ein Träumer zu sein. Tukh erwählt dich.»

      Junhi schwieg.

      «Komm her», befahl Uma.

      Möglichst langsam kam Junhi näher. Uma griff sie am Mantel und zog sie zu sich. Sie umfasste Junhis Kinn und betrachtete Tukhs Kuss auf ihrer Stirn.

      «Vergiss nicht, Junhi: Du bist die Nummer zwei. Du bist nur dazu da, um Tira zu helfen. Wenn Tukh nicht mehr träumen kann, wird Tira die Träumerin des Stammes sein. Wage es nicht einmal zu denken, sie zu übergehen. Sonst bekommst du es mit schlimmeren Dingen als mit mir zu tun. Verstanden?»

      Junhi schluckte, doch dann fasste sie sich. Beuge dich nicht vor bösen Worten und kalten Blicken, hatte Tukh gesagt.

      «Ja, Uma. Ich werde es mir merken.»

      «Und du, Tukh», sagte Uma, ohne sich nach ihm umzudrehen. «Du auch. Tira ist deine Nachfolgerin. Vergiss das nicht.»

      «Natürlich nicht, Uma», antwortete Tukh ruhig. «Junhi ist nur dazu da, zu helfen.»

      «Sehr gut.» Sie ließ Junhi los und seufzte. «Wir haben nicht einmal Knochen, die wir begraben könnten.»

      Noch nie hatte Umas Stimme so traurig geklungen.

      «Ihr könnt gehen. Alle.»

      6

      Es gab Luft in der Wohnhöhle. Luft und Platz. Nachts konnte man sich ungestört hin und her wälzen. Tagsüber konnten die Kinder drinnen herumrennen. Es wäre schön gewesen, wenn es nicht eine so traurige Ursache gehabt hätte. Aber so wog die Luft schwer. Falls überhaupt jemand lachte, klang es hohl und eigenartig. Die Wohnhöhle, in der der Stamm so gern geblieben wäre, war voll mit den Geistern der Menschen, die da hätten sein müssen, die aber nicht mehr waren.

      Sie würden bald fortziehen. Junhi spürte es, sie wusste es. Unwillkürlich rieb sie sich über die Stirn, die Stelle von Tukhs Kuss. Es kribbelte dort noch immer, obwohl die Farbe längst von ihrer Haut verschwunden sein musste.

      Seit dem Kuss schien Tira ganz versessen darauf zu sein, Junhi möglichst viel zu beschäftigen. Offenbar wollte sie die Situation für sich ausnutzen, nachdem sie Junhi nicht mehr ausweichen oder davonjagen konnte. Sie ließ Junhi ihr Essen holen, ihre Kleidung flicken und ihre Farben mischen. Wenn sie zur Lufthöhle gingen, stützte sie sich so schwer auf sie, dass sie noch langsamer vorwärtskamen, als wenn Tira allein mit ihrem Stock unterwegs gewesen wäre.

      Tukh sagte nie etwas dazu. Manchmal ärgerte das Junhi, aber sie wusste, dass es vorläufig das Beste war, was er für sie tun konnte, ohne dass Uma und Dahs etwas dagegen einbringen konnten. Welche Pläne Tukh weiter hatte, verriet er nicht. Vielleicht ja überhaupt keine. Aber sie hatte versprochen, stark zu sein, und sie würde dieses Versprechen einhalten.

      Denn die Träume, die Träume … Junhi war nicht klar gewesen, wie sehr sie dagegen angekämpft hatte. Bis jetzt. Sobald sie nachts die Augen schloss, waren die Tiere bei ihr. In der Lufthöhle, mit dem Rücken gegen die Felswand, erstreckte sich die raue Ebene vor ihren Augen, begleitet von Tukhs melodiöser Stimme.

      Manchmal schwebte sie über den Herden und sah, wie diese sich bewegten, niemals in einer geraden Linie, sondern wirbelnd und wogend, besonders die Pferde und Rentiere.

      Dann wieder stand sie auf dem Boden, während die Tiere um sie herumrannten. Dann spürte sie das Donnern ihrer Hufe und die Hitze ihres Atems und ihrer Leiber.

      Der Löwenmann war jetzt fast immer bei ihr. Auch wenn sie ihn nicht sah, wusste sie, dass er da war. Er schwieg nach wie vor, wie oft sie ihn auch fragte, warum er ihr die Mammuts gezeigt hatte. Warum sagte er ihr nicht, was er gemeint hatte, was sie falsch gemacht hatte? Als sie schließlich in all ihrer Verzweiflung einmal versuchte, ihn umzuwerfen, während sie ihn anschrie, wie nutzlos er sei, weil er nie etwas sage, hatte er sie an der Hand genommen und war zusammen mit ihr über die Ebene spaziert, während die Herden verschwammen. Sie wusste nicht, was es bedeutete, aber beim Aufwachen fühlte sie sich getröstet.

      An diesem Tag hatte sie nicht ein Pferd in die Lufthöhle gezeichnet, sondern eine ganze Herde, mit wilden Mähnen und schwarzen Mäulern. Sowohl Tukh als auch Tira hatten atemlos zugeschaut, während sie arbeitete. Aber Junhi hatte sie erst bemerkt, als sie mit Schweiß auf der Stirn und lauter schwarzen Streifen im Gesicht dem letzten Pferd sein Auge gegeben hatte. Seit diesem Tag stellte Tira noch höhere Anforderungen an sie.

      Jetzt saßen sie in Tukhs Lieblings-Lufthöhle, nicht weit von der Mutterhöhle entfernt. Dort erzählte er seine Geschichten am liebsten. Die untergehende Sonne machte ihre Schatten lang, und die Tiere an der Wand schienen zu atmen.

      «… und die Wisente umzingelten das Löwenjunge und zertraten es, bevor es zu ihrem größten Feind heranwachsen konnte.»

      «Aber warum stand ich inmitten dieser Herde?», fragte Tira an Tukh. Einer ihrer Träume hatte Tukh dazu inspiriert, die Geschichte des Löwenjungen zu erzählen.

      «Bin ich das Löwenjunge? Und wer versucht dann, mich zu zertreten?»

      Sie bedachte Junhi mit einem kurzen, giftigen Blick. Tukh schwieg eine Weile und schaute Tira an.

      «Das kann ich nicht sagen», sagte er dann. «Denk nach; erinnere dich, wie du dich in dem Traum gefühlt hast. Vielleicht bist du selbst die Herde, und die Mutter wollte dich fühlen lassen, wie es ist, das Junge zu sein, das du zu zertreten versuchst. Sieh dich um, hör zu, gib acht. Versuche, deine nächsten Träume mit diesem hier zu verbinden. Nur so wirst du seine Bedeutung in Erfahrung bringen.»

      «Warum spricht mein Vater nicht mehr mit mir?»

      Die Frage kam so unerwartet, dass sowohl Tukh als auch Junhi den Atem anhielten. Nur der Ruf einer Eule in der Ferne zerbrach die Stille. Tiras Augen schimmerten im Schein der Steinlampen, ihre Unterlippe bebte.

      «Überhaupt nicht?», fragte Tukh leise.

      «Nein», antwortete Tira. «Er blickt mich zwar an, aber er sieht mich nicht. Er kommt mir niemals nahe. Er sitzt allein bei seinem Feuer, und wenn ich zu ihm gehe, läuft er weg. Ich bin nicht schnell genug, ihm zu folgen.»

      Sie schwieg und senkte den Blick. Tränen tropften auf ihren Mantel.

      «Er war immer stolz auf mich, er half mir und lachte mit mir, obwohl ich … bin, wie ich bin. Ich will meinen Vater wiederhaben, Tukh!»

      «Du hast uns noch, Tira. Mich und Junhi. Wir werden dir helfen. Dahs ist … Er ist verletzt. Nicht äußerlich, sondern im Inneren. Er hat jetzt auch Träume, aber nicht so wie wir. Er träumt von brüllenden Löwen, in Stücke gerissenem Fleisch, von splitternden Knochen und angstvollem Todesgeschrei.»

      Ich habe auch solche Träume, dachte Junhi, den Traum von dem steinernen Stamm.

      «Er träumt davon, am Boden angenagelt zu sein, während seine Jäger seine Hilfe brauchen», fuhr Tukh fort. «Er träumt davon, endlos zu rennen und nicht von dem Wimmern sterbender Menschen wegzukommen.»

      «Aber ich kann helfen! Ich kann zuhören.»

      «Er will es dir nicht antun. Er will nicht, dass du die Schreie auch hören, dass du das Blut auch riechen wirst. Er beschützt dich.»

      «Ich will nicht beschützt werden.»

      «Sage das einem Vater. Dahs braucht Zeit zu gesunden. Wir müssen ihm diese Zeit