Название | Im Schatten des Löwen |
---|---|
Автор произведения | Linda Dielemans |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772546655 |
«Warum hasst du mich so?», fragte Junhi. Es war ihr herausgerutscht, bevor sie wusste, wie.
Tira blieb stehen und starrte Junhi eisig an.
«Für das, was du meinem Vater antust, jedes Mal, wenn er dich sieht», antwortete Tira.
«Was ich ihm antue? Ich tue ihm nichts an! Er schlägt mich, er schreit mich an, er demütigt mich. Er tut mir Dinge an!»
«Du denkst immer nur an dich selbst. Und jetzt will ich einfach weitergehen. Ich habe keine Lust, dich noch zu sehen. Lass mich in Ruhe.»
«Sehr gern. Dann sieh zu, wo du bleibst.»
Und Junhi rannte los. Es tat gut, den Wind wieder einmal im Gesicht zu spüren. So gut, dass sie an der Wohnhöhle vorbeisauste, den Fluss entlang, an ihrer geheimen Lufthöhle vorbei, und die Felswand hinaufkletterte. Sie rannte weiter über den Hang bis zu dem höchsten Punkt, wo sie stehen blieb und ihren Mantel von sich warf, sodass der Schweiß auf ihrer Haut schon bald zur dünnen Eisschicht gefror. Sie zitterte.
Das Land vor ihren Füßen wölbte sich hier zu einer Ebene herab, die so endlos war wie der Himmel; ohne Bäume, ohne Büsche, nur Gras und Moos, betupft mit Blumen und Kräutern. Sie rannte hinab. Ihren Mantel ließ sie auf dem Hang zurück, trotz der Kälte, die in nicht allzu langer Zeit ihre Muskeln steif werden und ihren Kopf leicht machen würde. Sie wollte es spüren. Nicht den Schmerz von Erinnerungen und Träumen, sondern richtige Schmerzen, die alles andere übertönten.
In einem Feld mit weißen Blumen legte sie sich flach auf den Rücken. Die Blätter und Stängel kitzelten sie an Ohren und Wangen. Sie merkte erst, wie stark sie zitterte, als sie mit den Zähnen klapperte und sich aus Versehen auf die Zunge biss. Das Blut schmeckte warm und süß.
Noch etwas, dachte sie, nur noch etwas.
Sie setzte sich auf und schloss die Augen, begrüßte die Kälte wie einen guten Freund.
Ich muss stark sein, dachte sie, stark sein und alles ertragen. Ich werde lernen, was meine Träume bedeuten. Ich werde lernen, wie ich die Mammuts finden kann. Ich werde herausbekommen, wer der Löwenmann ist. Und dann wird er mich nie mehr verlassen. Dann bin ich nie mehr allein.
7
Jetzt war es Ernst, und alle wussten es. Sie würden aufbrechen. Lange hatte der Stamm vom Wegziehen geflüstert, den rasch abnehmenden Vorräten und der mageren Ausbeute der Jagd in letzter Zeit. Aber auch von der umhergeisternden Trauer und dem Wunsch, die hinter sich zu lassen.
An diesem Abend war Uma aus dem Schatten getreten. Zur Verwunderung aller hatte sie sich mit ans Feuer gesetzt, hatte sich unterhalten und gelacht, obwohl ihr schon bald dicke Schweißperlen auf die Stirn traten und ihre Wangen röter wurden, als Junhi sie je gesehen hatte. Aber es fühlte sich an, wie es sollte. Sie waren die Kinder und Uma war die Mutter des Stammes, fürsorglich und voller Geschichten und Weisheit.
So hätte es immer sein müssen, dachte Junhi. Wenn Uma öfter ans Feuer käme, wäre sie sicher auch weniger kalt und streng. Die Wärme tat ihr gut.
«Wir müssen gehen», sagte Uma, als die Klänge des letzten Liedes an diesem Abend verklungen waren. «Ich weiß, dass es schwierig ist. Und ich weiß, dass die Rentiere schon so weit weg sind, dass wir sie nicht mehr einholen werden. Aber wir können hier nicht länger bleiben. Es gibt nicht genug zu essen, und der Stamm ist zu schutzlos ohne seine Jäger, die nicht mehr da sind. Gemeinsam mit Tukh und Dahs habe ich beschlossen, dass wir nach Süden ziehen. Da ist es wärmer, und da gibt es mehr Stämme. Wir müssen sie um Hilfe bitten. Wir brauchen Männer und Jungen. Es ist Zeit für eine Verbindung.»
Ein aufgeregtes Gemurmel folgte, aber Junhi konnte nichts mehr sehen und kaum mehr atmen. Ihr Herz verlagerte sich in ihren Kopf und hämmerte von innen gegen ihren Schädel, als wäre er eine Trommel. Eine Verbindung!
Es war lange her, dass Junhi eine Verbindung miterlebt hatte. An einem solchen Tag hatte ein Mann von einem anderen Stamm ihre Mutter geraubt. Und ihr Vater hatte sich geweigert, das zuzulassen. Beide waren verloren. Beide weg. Seither hatte sie Verbindungen gemieden, war sie geflohen von den Feuern und erst am nächsten Morgen wiedergekommen, um zu sehen, wer diesmal wieder verschwunden war. Männer kamen und gingen, Frauen kamen und gingen, aber nie mehr war Blut geflossen. Niemand hatte miterleben müssen, was sie erlebt hatte.
Uma begann die Namen der Mädchen aufzuzählen, die diesmal gewählt werden durften. Junhi hörte nicht wirklich zu. Sie war jetzt eine Träumerin in Ausbildung. Das hieß, keine Verbindung für sie.
«… und Junhi.»
Junhi fuhr aus ihren Gedanken hoch und suchte Umas Blick. Die Stammesmutter nickte und lächelte ihr zu, als ob sie Junhi eine große Gunst gewährte.
«Aber …», begann sie, und sofort fasste sie jemand an der Schulter. Cramh hielt sich den Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf.
«Lass mich los!», fuhr sie ihn an. «Cramh, ich gehöre Tukh, ich darf nicht gewählt werden! Ich gehöre Tukh!»
Sah sie Mitleid in seinen Augen? Davon hatte sie nichts! Sie wollte aufstehen, Umas Entschluss anfechten, aber Cramh hielt sie nur noch fester an der Schulter.
«Mach es nicht schlimmer als es ist. Alle jungen Frauen dürfen diesmal gewählt werden. Sogar Tira. Es ist nicht zu ändern, Uma hat entschieden», sagte er.
Einen Moment lang wich Junhis Wut ihrem Erstaunen. «Tira?»
Tira saß etwas außerhalb der Gruppe, wie immer in letzter Zeit, halb verborgen in der Dunkelheit. Aber Junhi sah deutlich, dass sie lächelte, ein seltener Anblick. Tira blickte in ihre Richtung und ihr Lächeln wurde noch breiter. Freute sie sich wirklich so, gewählt werden zu dürfen? Wahrscheinlich hatte sie nicht erwartet, dafür jemals in Betracht zu kommen. Vielleicht war es ja das, was sie immer gewollt hatte.
Junhi erwiderte ihr Lächeln, aber währenddessen spürte sie einen Knoten im Magen. Wenn ein Mann sie wählte, konnte sie keine Träumerin mehr sein. Sie würde seinem Stamm zugeschlagen im Austausch für einen Jungen von dort, oder ihr neuer Mann würde bei ihr bleiben. Wie auch immer würde Uma einen neuen Jäger im Stamm willkommen heißen. Junhi würde Kinder bekommen. Und sie konnte nicht gleichzeitig träumen und Mutter sein. Das war nicht gestattet.
Ihre Augen suchten Tukh, aber er war nicht da. Sicher war er hinaus ins Freie entwischt und wie gewöhnlich in seiner Lufthöhle. Ob er einer Meinung mit Uma war? Ob er bereit war, seine beiden Schülerinnen zu verlieren, gerade nachdem er sich so um Junhi bemüht hatte? Sie glaubte es nicht. Und sie würde ihn danach fragen.
Feuer brannten. Junhis Hand lag in der starken Hand des Menschen neben ihr. Sie schaute hoch. Es war ihre Mutter. Ihr Gesicht war verschwommen, als ob Junhi durch einen Nebel schauen müsste, aber sie sah das nervöse Lächeln, das ihre Mutter ihr schenkte. Die Leute ringsum unterhielten sich und lachten, aber ihre Mutter stand totenstill da, als ob sie etwas hörte, das sie nicht einordnen konnte. Etwas Unerwartetes trug sich zu. Ein schneller Schemen fasste den Arm ihrer Mutter und riss ihre Hand aus der von Junhi. Sie schrie, und die Unterhaltungen und das Lachen verstummten. Die Menschen verwandelten sich in Stein, die Augen aufgerissen und die Hand vor dem Mund. Junhi rannte dem Schatten und ihrer Mutter hinterher,