Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens. Helmut Schwier

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Название Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens
Автор произведения Helmut Schwier
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783374063826



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und der den brutalen und schmachvollen Kreuzestod starb; die Auferweckung durch Gott ist und bleibt die Auferweckung dieses Gekreuzigten.28

      Die Einsicht, dass hier der Unschuldige und Gerechte sterben musste und dass dies ein himmelschreiendes Unrecht war, bleibt sowohl bei den neutestamentlichen Kreuzesdeutungen als auch bei den Ostertheologien erhalten. Bei aller Varianz von theologischen Deutungen des Todes Jesu darf nie eine solche Spiritualisierung eintreten, die das brutale Unrecht übersehen oder unkenntlich machen würde. Bei aller Varianz von theologischen Deutungen des Todes Jesu ist systematisch zu sagen, dass es nur eine einzige maßgebliche und normierende Deutung des Todes Jesu gibt; und das ist Gottes Deutung der Passion: die Auferweckung Jesu.29 Der Auferweckte ist bleibend der Gekreuzigte und der Gekreuzigte ist bleibend der Auferweckte!30

      Diese doppelte Bestimmung vertreten alle Zeugnisse des NT, auch wenn sie unterschiedliche Sprachformen und unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die alten Formeln drücken das ebenso aus wie der Philipperhymnus, das Bild vom Lamm Gottes in der Apk oder die Darstellungen und Ankündigungen in den Evangelien, dass der Messias / Christus leiden müsse.

      Wie das Grab ist das Osterkreuz leer.31 Ein Symbol neuen Lebens, aber bleibend mit dem Zeichen des Todes verbunden! Systematisch gesehen war diese ungeheure Spannung von Tod und Leben, Hinrichtung und Auferweckung, absoluter Entehrung am Kreuz und höchster Ehre im gesamten Kosmos für die neue Lebens- und Weltdeutung, den religiösen Vollzug und die Theologiebildung ausgesprochen fruchtbar.

      In der Theologiebildung des NT wurden – mit einem gewissen Höhepunkt im Johannesevangelium – Kreuz, Auferweckung und Erhöhung ineinander gedacht und die Metapher des Aufweckens durch die des Aufstehens ergänzt, zum Teil ersetzt. Jesus ist im Joh nicht mehr eigentlich der Auferweckte (vgl. 21,14), sondern er ist der Auferstandene (vgl. 20,9): Johannes reflektiert das synoptische und paulinische Osterkerygma »in die Person selber, in sein lebendiges Sein (als fleischgewordener Logos) zurück«.32 Jesus bleibt in unlösbarer Beziehung zum Vater, ist mit ihm eins (Joh 10,30)33 und verherrlicht ihn; aber er hat auch das Leben in sich selber (5,26) und ist auferstanden. Das Leben in sich selber zu haben, ist die Wesenseigenschaft des Schöpfers. Er kann Leben schaffen und Tote lebendig machen. Dies gilt für Joh vom Vater wie vom Sohn. Jesus, logos vom Beginn der Schöpfung an (1,1) und damit umfassend »Leben« gebend (1,4), ist »mein Herr und mein Gott« (20,28) und schenkt den Glaubenden das »Leben« (5,21; 20,31), das auch vom ewigen Tod nicht beendet werden kann, weil Jesus selbst Auferstehung und Leben ist (11,25 f.).

      Das Fresko »Auferstehung« von Piero della Francesca (1463)34 – übrigens nicht für eine Kirche, sondern für einen Magistratssaal gemalt – zeigt den Auferstandenen bzw. Auferstehenden in großer Erhabenheit: die Siegesfahne mit Kreuz, statt eines weißen ein rötlich schimmerndes Gewand – dies sind u. a. Karfreitagssymbole (ebenso das Miteinander von abgestorbenen und grünenden Bäumen); die erhabene Haltung und das Aufgehen der Sonne zeigen die Auferstehung als Handlung Jesu. Er hat das Leben in sich selber, repräsentiert es als derjenige, der durch den Tod hindurchgegangenen ist.

      Der erhabene Auferstandene beauftragt und sendet seine Kirche. Er selbst ist – wie im NT im Philipperhymnus, bei Lk und der Apg, dem Hebr und der Apk und dem Johev. erwähnt – zu Gott erhöht. Bildlich, meist durchPs 110,1 angeregt, wird der Erhöhte als zu Gottes Rechter sitzend beschrieben.

      Karl Barth hat in seiner Auslegung des Glaubensbekenntnisses auf den einfachen, aber schnell übersehenen Sachverhalt pointiert aufmerksam gemacht, dass nach all den Perfekt-Bestimmungen des Wirkens Jesu nun das Präsens kommt, also das, was gegenwärtig gilt und alle betrifft:

      »›Er sitzt zur Rechten Gottes des Vaters‹: die Höhe ist erreicht, die Perfecta liegen hinter uns und wir treten ein in den Bereich der Gegenwart. Das ist es, was von unserer Zeit zu sagen ist: das ist das Erste und das Letzte, was von unserem Sein in der Zeit gilt. […] Was auch geschehen mag in unserem Raum an Aufstieg und Niederlage, was da werden und vergehen mag, da ist eine Konstante, ein Bleibendes und Durchgängiges: dieses sein Sitzen zur Rechten Gottes des Vaters.«35

       Der belebende Geist

      So wie das Wirken des Geistes auch bei der Schöpfung mitunter beschrieben wird, ist er auch als lebendig machender Geist bei der Auferweckung präsent. In dem kompakten Abschnitt Röm 8,9–17, also innerhalb des großen, von der Schöpfung und Erlösung bis zur Neuschöpfung reichenden achten Kapitels, erwähnt Paulus, dass der Geist Gottes Jesus von den Toten auferweckt hat (V.11) und dass dieser Geist auch in uns wirkt und uns lebendig macht,36 unser Handeln steuert (V.13) und uns in den Raum der Freiheit und Herrlichkeit stellt (V.16 f.).

      Jedes Vaterunser37 erinnert daran, dass der Geist in uns wohnt und uns als Gottes freie und geliebte Kinder (V.14 f.), nicht als seine Knechte, beten und handeln lässt: gegen die Todesfurcht und gegen die Lebensangst, aber mit Gewissheit und Osterfreude. Jürgen Moltmann beschreibt dies in seiner Pneumatologie folgendermaßen:

      »Das wesentliche Hindernis der charismatischen Erfahrung unserer Lebensmöglichkeiten liegt nicht in der aktiven, sondern in der passiven Sünde, nicht darin, verzweifelt man selbst sein zu wollen, sondern darin, verzweifelt nicht man selbst sein zu können und also aus Lebensangst und Todesfurcht hinter dem eigenen Leben zurückzubleiben. Die Charismen des Geistes sind da gegenwärtig, wo der Glaube an Gott diese Lebensängste vertreibt und wo die Auferstehungshoffnung die Todesfurcht überwindet. Nach den urchristlichen Zeugnissen löste der Osterjubel über Christi Auferstehung den Strom der Charismen in den Gemeinden aus. Die Pfingstbewegung beginnt zu Ostern.«38

      Die österlich-pfingstliche Bewegung ist die Kirche aller Zeiten in der Vielfalt ihrer Konfessionen und all der Menschen, die hier ihre Gaben entdecken und einbringen.

       … und die Wirklichkeit?

      Ostern zu denken, bedeutet eine theologische Revolution: Gottesrede, Christologie, Pneumatologie und das gesamte Verständnis von Leben und Wirklichkeit sind radikal verändert. Die Zeugnisse des NT sind sich einig, dass hier der befreiende und neuschöpfende Gott ein für alle Mal gehandelt und sein Ziel gültig offenbart hat. Hermeneutisch wird damit eine große Herausforderung deutlich, denn gemessen an den von Ernst Troeltsch klassisch formulierten Kategorien ist Ostern kein historisches Ereignis, da es analogie- und korrelationslos erscheint und schon gemäß der neutestamentlichen Texte allein auf Gottes Handeln zurückzuführen ist. Angesichts dieser Problemkonstellation sind dann beispielsweise die drei maßgeblichen theologischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts zu profilieren, die darauf existential, offenbarungsorientiert oder universalgeschichtlich antworten.39

      Fragen wir hier nicht geschichts- und erkenntnistheoretisch weiter, sondern nach der Auswirkung des Osterglaubens! Diese lässt sich konzentrieren in der Aussage, dass unsere traditionelle Weltsicht und Alltagsontologie dadurch einen Riss erhalten.40

      Wolfgang Drechsel hat diesbezüglich in seminaristischen und kollegialen Diskussionen immer wieder darauf hingewiesen, dass er das besonders im Isenheimer Altar abgebildet sieht. Ist der Wandelaltar geöffnet, sieht man zuerst das große Kreuzigungsbild und in der Predella den ins Grab gelegten Jesus: die historische Wirklichkeit, die grausame Wirklichkeit von Leid, Unrecht, Sterben und Tod! Dann hebt Wolfgang Drechsel aber die Überraschung hervor: Wer nah an das Bild herantritt, erkennt plötzlich einen Spalt entlang des Kreuzesstamms; hier kann das Altarbild noch einmal geöffnet werden, so dass die bekannten Bilder von Weihnachten und Ostern sichtbar werden.

      Dieser Spalt, dieser Riss ist das, was Ostern unserer Wirklichkeit schon jetzt hinzufügt. Wir können noch nicht hindurchschauen, aber darauf setzen, dass unsere Wirklichkeit nicht letzte Gültigkeit besitzt, sondern verwandelt wird. Gottes Leidenschaft zum Leben, die durch und an Jesus deutlich und wirksam wurde, will die Menschen zum Leben begeistern. Dem hat auch das kirchliche Handeln in Seelsorge und Diakonie, in Gottesdienst und Bildung zu dienen: in Theorie und Praxis ein wunderbarer Beruf!

       Osternacht