Название | Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens |
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Автор произведения | Helmut Schwier |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783374063826 |
Die hier favorisierte wissenschaftliche Exegese, die man »polyvalente Exegese« nennen kann,74 bietet Anschlussmöglichkeiten zu den pluralen engagierten Lektüreformen, zu den kerygmatheologischen Anwendungen, die die Hermeneutik über lange Zeit dominiert hat, zum interdisziplinären Vorgehen75 und auch zu den Ansätzen einer »Neuen Biblischen Theologie«, in der die Differenzen und Kontinuitäten nicht begrifflich eingeebnet werden, sondern die ihrerseits zu verständlicher Sprache und systematischer Orientierung verhelfen soll.76 Die polyvalente Exegese lässt sich ihrerseits durch Neues provozieren, hält aber selbst engagiert daran fest, dass ihr wichtigstes Ziel, das Verstehen, im Grunde zweckfrei ist, einen Wert in sich darstellt.77
3 Fazit: Das Programm einer pluralen Praktischen Theologie
•PT als Wahrnehmungswissenschaft hat verstärkt die Bibel wahrzunehmen. Das erfordert eine Differenzierung unterschiedlicher Funktionen und unterschiedlicher Zugangsweisen zur Bibel. Die Differenzierung führt nicht zu einem System, sondern zur Beschreibung eines Netzwerkes mit entsprechenden Interdependenzen.
•In ihrer wissenschaftlichen Ausgestaltung und Selbstbesinnung sollten der PT biblische Reflexionen mindestens ebenso wichtig sein wie historische, systematische und empirische Bezugnahmen.
•Biblische Reflexionen nötigen die PT zur kritischen Aufnahme wissenschaftlicher Exegese, engagierter Lektüreformen und deren spannungsvoller Wechselbeziehungen. Die hier vorfindliche und wachsende Pluralität ist nicht zu vermindern, sondern korrespondiert mit der notwendig pluralen Gestalt von PT, wird ihr kreative Impulse liefern und die Fähigkeit zum Dialog fördern und einüben.78
•Besonders eine polyvalente Exegese bewahrt die PT vor der Degradierung zur bloßen Anwendungswissenschaft; denn einfache Deduktionen sind hier nicht mehr möglich. Vielmehr hat auch die PT Differenzen und Kontinuitäten in Traditionen sowie Wahrscheinlichkeiten in Auslegungen zu berücksichtigen und zu interpretieren. Dies führt zwar weder zu Leitkategorien wie »Verkündigung« oder »Mitteilung des Evangeliums« noch zu abstrakten Theorien, wird der PT aber stattdessen Sprachgewinn und neue Reflexionsimpulse in den einzelnen Handlungsfeldern ermöglichen.79
•Sprachgewinn und Reflexionsimpulse bieten der PT die Möglichkeit zur ökumenischen Verständigung.80 Gleiches kann in säkularen Kontexten gelingen, wenn die Bibel argumentativ ins Gespräch gebracht wird. Da sich ihre Rolle als allgemein anerkannter Wahrheitslieferant philosophisch, theologisch und populärwissenschaftlich längst erledigt hat, kann sie eher wie ein »fremder Gast«81 auf Interesse und neue Aufmerksamkeit stoßen.
•Die Funktionen der Bibel als Erbauungs- und als Quellenbuch ermöglichen und erfordern Lektüren und wissenschaftliche Exegesen. Diese führen zu Einsichten, Erkenntnissen und Argumentationen, die die Bibel als Bekenntnisbuch benötigt, um sich als gegenwärtig präsent, sperrig und überzeugend erweisen zu können.
Zusammenfassung: Der Beitrag reflektiert die Beziehungen zwischen Praktischer Theologie (PT) und Bibelfrömmigkeit sowie Exegese. Dabei wird die dreifache Funktion der Bibel als Bekenntnis-, Erbauungs- und Quellenbuch beschrieben und in Auseinandersetzung mit der Theorie W. Stecks analysiert. Daran schließen sich Optionen für künftige Gestaltungen in verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern an. Der II. Teil votiert für eine neue Sachbezogenheit im Verhältnis von pluraler, polyvalenter Exegese und PT. Sechs Thesen zu einer pluralen PT in biblischer Orientierung, die traditionskritisch für die Tradition einsteht, ziehen das Fazit.
Leidenschaft zum Leben
Eine kleine Zusammenschau neutestamentlicher Ostertheologien in praktischer Absicht
Ein Blick auf die theologisch-literarische Chronologie
Die Rede von der Auferstehung in Form von Bekenntnissen, Erzählungen, Andeutungen oder theologischen Argumentationen lässt sich in gewissen Grenzen auch diachron zuordnen. Dabei ist zu beachten, dass die frühere, meist liberalprotestantische Auffassung, nach der es eine lineare Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen, von niedriger zu hoher Christologie gab und Paulus natürlich immer im Zentrum steht, zu grob und zu einfach ist. Dass sich die Christologie erst nachösterlich entwickelte, ist davon unbenommen.1 Außerdem ist hinsichtlich der Grenzen die methodisch bedingte Unsicherheit zu berücksichtigen, die Texte genau datieren oder mündliche Vorformen einwandfrei erheben zu können.
Geht man von den unzweifelhaften schriftlichen Zeugnissen aus, so bieten 1Thess2 und vor allem 1Kor etwa Anfang der 50er-Jahre elaborierte Auferstehungsrede. Dabei ist 1Kor 15,3b–5 ein durch V.3a explizit ausgewiesenes Traditionsstück, das zum Bekenntnisgut des frühen Christentums gehört, damit zeitlich auf die 40er-Jahre und geographisch wohl auf das hellenistische Milieu Antiochias verweist, das Paulus in der Frühzeit geprägt hat. Von dieser Basis ausgehend lassen sich dann auch andere alte Texte und Formeln erkennen: Eng verwandt wegen der Protophanie vor Petrus sind die kleine Doppelformel in Lk 24,34 (»Der Herr ist wirklich auferstanden und Simon erschienen«)3 sowie die unterschiedlichen Kontrastformeln, die das menschliche und das göttliche Handeln kontrastieren: Ihr habt Jesus getötet – Gott hat ihn auferweckt.4 Diese gehören als Umkehrruf in die frühe judenchristliche Gemeinde, vielleicht nach Jerusalem.
Wir haben also historisch betrachtet sehr früh nach der Kreuzigung Jesu (um 33) schriftliche Belege für den Auferstehungsglauben, und zwar in Gestalt von Umkehrrufen, Glaubens- und Bekenntnisformeln und in Gestalt der meist partizipial konstruierten Gottesprädikationen,5 die vor und spätestens mit Paulus zur Theologie- und Christologiebildung führen – im Kern: Gott ist als derjenige grundsätzlich zu bestimmen, der Christus von den Toten auferweckt hat. Alle diese Formeln zielen der Sache nach auf die Weckung des Glaubens oder sie führen sogar, wie man an Paulus sieht, zu Lebenswende und Beauftragung. Ostern ist auch historisch das »Urdatum«6 des Christentums und gleichzeitig hat es »als das ursprüngliche und endgültige Offenbarungsgeschehen […] zu gelten«.7 In Übereinstimmung mit unseren historischen Kenntnissen und den Einsichten in die Literaturentwicklung gibt es keine Ostererfahrung und Beschreibung des Osterereignisses seitens sog. neutraler Zeugen. Ostererfahrung ist Begegnung mit dem Auferstandenen in Vision oder Audition und als Offenbarung zu verstehen, also als Gottes eigene Erschließung und Selbstkundgabe. Sie ist ursprünglich und endgültig: Von hier aus wird nicht etwas, sondern alles neu gesehen, neu gedeutet und vor allem – es wird neu und anders gelebt.8
Diese grundlegende neue Wirklichkeitsperspektive spiegelt sich dann in den literarischen Zeugnissen seit den 50er-Jahren wider. Nicht erst am Ende der neutestamentlichen Christologie, sondern schon vor und seit Paulus ist Christus der lebendige kyrios (1Kor 8,6) und damit der auferweckte Herr der Welt, dem zu glauben ist (Röm 10,9 f.). Der Gekreuzigte ist mit dem Philipperhymnus, den Paulus zitiert, redigiert oder selbst verfasst hat, der Herr aller Herren und Empfänger der Proskynese und Anbetung (Phil 2,10 f.) und etwas später im Kol (ca. 60–70) der Erstgeborene der Schöpfung und der Erstgeborene aus den Toten (Kol 1,15.18).9 Schon hier wird also sog. hohe Christologie greifbar, die sich dann spätestens ab den 90er-Jahren im Eph, Hebr und in der Apk mit neuen Ausdrucksformen und Metaphern verbindet.10
Nur wenig früher, bzw. dann etwa zeitgleich mit diesen Texten, wird die Erzählüberlieferung entwickelt. Natürlich ist es möglich, dass die Geschichte vom leeren Grab schon zur mündlich