Die Nann. Anna Croissant-Rust

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Название Die Nann
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711460832



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Juli klatschte in die Hände dazu und fing an zu lachen. Aber auch sie gab’s bald wieder auf. Wie denn? Sie hatten doch lustig sein wollen, tanzen und sich freuen, und nun gingen sie still an ihre Arbeit, fast so still wie früher, fast so scheu wie früher. Erst allmählich gewöhnten sie sich daran, dass sie allein waren, dass sie arbeiten konnten wie sie wollten und sich Rast vergönnen durften.

      Anderl hatte es ganz verlernt, sich um die Nann zu kümmern, er machte sich gar nichts mehr aus ihr, ja er hatte sogar einen versteckten Groll auf sie, den er der Juli feige verbarg, denn er fühlte heraus, dass der Vater immer ‚so viel zornig‘ gerade wegen der Nann war und dass er viel davon entgelten musste. Bei der Juli war es umgekehrt; je erbitterter ihr der Vater geschienen, desto mehr behütete und beschützte sie instinktiv die Kleine.

      Jetzt konnte sie sie endlich heraustragen, im Gras liegen lassen, wo sie vor Vergnügen krähte, oder sie mit der Wiege unter einen Baum stellen und ihrer Arbeit nachgehen. Seit der alte Kuchler der Malseinerin die Türe gewiesen, kam auch Hansi nur flüchtig und nur verstohlenerweise herauf. Er musste jetzt schon tüchtig bei der Arbeit anpacken, denn da kannten Vater und Mutter keinen Spass, und des Abends nach Feierabend, wenn er Zeit gehabt hätte, kam auch der Kuchler-Anderl wieder zurück.

      Das hatte der Alte allerdings sonst nie getan; sonst übernachtete er stets auf den Höfen, wo er arbeitete, aber jetzt war ihm der Gang von Malsein her und später sogar von der Alm herunter nicht zu weit und zu beschwerlich.

      Wie sollte denn das im Winter werden? Die Juli zerbrach sich den Kopf. Wo sollte sie denn die Nann unterbringen? Die Kammer war nicht zu heizen; wenn sie das Kind auch untertags in der Stube haben konnte, was sollte sie des Nachts damit anfangen? – –

      Es wurde Herbst, sie brachten das Grummet heim und bereiteten auf den Winter vor, der Vater kam noch jede Nacht heim. Er redete keins mehr an, er zankte keins, er schlug sie nicht mehr, aber er jagte Anderl aus der Kammer und schlief allein dort, und jede Nacht riegelte er sich ein. Doch was Juli das ärgste war und was sie mit aller List vor Anderl zu verbergen suchte: der Vater betrank sich, was sie nie vorher bei ihm gesehen. Sie fand oft die leeren Schnapsflaschen, sie merkte es, wenn er zur Türe hereintrat, dass er torkelte, und sie fürchtete ihn mehr denn je, wenn er mit den glasigen Augen in irgendeinem Winkel hockte.

      Anderl richtete schon seinen Holzschlitten her, denn die ersten Fröste waren gekommen, und die Blumen standen schon lange, von den Fenstern weggenommen, im Erker und in der Kammer, der Himmel war grau und schwer, wie wenn er Schnee bringen wollte, der Vater kam noch immer heim, ja er ging zuletzt auch am Morgen nicht mehr weg, sondern blieb sitzen und schaute zu, wie’s unaufhörlich leise und langsam zu schneien begann. Wie ein weisser Vorhang, immer dichter fielen die Flocken vor den Fenstern herunter.

      Und so schneite es drei Tage fort, fast bis zu den Fenstern ging der Schnee. Dann riss der Wind auf einmal einen kleinen Fleck blauen Himmels auf, ein Zacken, eine weisse Spitze schauten grell beleuchtet, ganz unwirklich, ganz geisterhaft aus dem Grau; in der Nacht trat starker Frost ein, der Wind orgelte ums Haus, der Himmel war auf einmal wie ausgekehrt und die Mondsichel stand scharf und weiss über den Bergen.

      Die Juli hörte, dass der Vater in der Nacht aufstand und herumkramte. Sie hatte die Nann zu sich ins Bett genommen und getraute sich nun nicht zu schlafen, aus Furcht, sie zu erdrücken; gegen Morgen schlief sie aber doch ein und wurde erst durch ein lautes Klopfen an der Kammertüre geweckt. Der Vater? – „Steh auf, Suppen kochen!“ schrie er draussen. Im Nu war sie auf, und bald brannte ein tüchtiges Feuer in der Stube und stand die Schüssel dampfend vor dem alten Kuchler.

      Die Fenster waren bis hoch hinauf gefroren, und die Stube wollte lange nicht warm werden. Während der Nacht hatte der Vater gepackt, einen grossen Wochensack voll, sein Handwerkszeug, Schneereifen und Steigeisen lagen bereit. Ging er jetzt endlich fort? Und für lange? Nachdem er seine schwere Joppe genommen, legte er etwas Geld auf den Tisch. „I geah furt,“ sagte er.

      „Bleibt der Voda lang aus?“

      „I woass es nit.“

      „Wo soll ma’ Poscht hintun, bald was g’schieht?“

      „Braucht’s nit.“

      Und ohne ‚Behüt Gott‘ stolperte er fort, in den grauen Morgen hinein.

      4

      Es blieb viele Tage hartes Frostwetter, dann kam’s zum Tauen und fror wieder, so dass grosse Eiszapfen vom Dach des Häuschens herabhingen; so ging es mit stets härter werdendem Frost gegen Weihnachten zu.

      Schon war der Bach in allerlei wunderlichen Formen gefroren, kein Laut kam in die weisse Einsamkeit herauf, nur wenn ein Baum die Schneelast abschüttelte oder Krähen um den Schupfen flogen, rührte sich etwas. Beim Tauwetter hatte Anderl die Wintervorräte von Jodok im grossen Rückenkorb heraufgebracht, hatte sich aber nicht nach Malsein hineingetraut, um dort zu sagen, dass der Vater fort sei. Von dort kam niemand zu ihnen, und die Kinder wussten, es würde auch nicht leicht jemand kommen, ausser es musste sie etwas von höchster Wichtigkeit dazu treiben. So waren die Kinder wie gefangen, und die Tage gingen langsam hin. Anderl war nicht böse über die stille Zeit; hatte er seine Arbeit getan, gefüttert, den Stall gerichtet oder Holz gemacht, so schlief er meistens auf der Ofenbank, und es gefiel ihm vorderhand ganz gut so. Juli machte sich daran, nach und nach das Haus zu säubern und zurechtzuflicken.

      Die kleine Nann fing schon an zu lachen und nach dem Licht zu greifen, sie versuchte, sich überall aufzurichten und in der Stube umherzukriechen. Wunderlich genug sah sie aus in den Kitteln, die ihr die Schwester zusammenzauberte, wie ein Kind fahrender Leute. Sie ass und schlief tüchtig und machte der Juli wenig Sorgen.

      Als der Frost nicht nachliess und ein Tag wie der andre grau und trübselig dahinging, legte sich die grosse Einsamkeit lähmend auf die Kinder, sie wurden mürrisch und wortkarg, doch hatten sie sich schon an vielen stillen Abenden zuvor beraten, sie wollten Weihnachten feiern. Gleich am Abhang beim Haus stand eine kleine Fichte, die schlug Anderl, und nun freuten sie sich Tag für Tag auf den Heiligen Abend. Juli hatte altes Seidenpapier gefunden, dazu ein paar Lichtstümpfchen im Schrank der Mutter; damit putzten sie das Bäumchen, die Juli legte noch Äpfel und Nüsse darunter, die der Hansi im Herbst gebracht und die sie sorgsam gehütet. Als sie die Lichter angezündet hatten, standen sie vor dem Bäumchen und warteten auf die Freude, die nicht kommen wollte, und wurden traurig und trauriger; es kam ihnen vor, als seien sie ganz allein und verlassen auf der Welt und verloren in Schnee und Eis.

      „Die Muatter,“ sagte die Juli und sah’s dabei auch dem Anderl an, dass er sich nicht fassen konnte vor Heimweh. Nur die Nann, die noch nichts wusste von Sehnsucht und Verlassenheit, freute sich an den brennenden Lichtern. –

      In der Nacht raste, ganz plötzlich erwacht, der Sturm durchs Tal, fegte den Schnee hier weg und blies ihn dort fast haushoch zusammen. Alles war verändert ringsum, man kannte sich am Morgen fast nicht mehr aus, und die Kinder schauten mit grossen, fast furchtsamen Augen auf die neuen Hügel und Täler, die entstanden waren. Später entdeckten sie erst, dass der Brunnen durch den starken Frost eingefroren war, nun hatten sie kein Wasser mehr und wussten, dass eine saure und harte Arbeit ihrer warte, denn jetzt hiess es Schnee holen, viel Schnee, und ihn dann schmelzen, um Wasser für den Haushalt zu bekommen.

      Anderl sträubte sich, was er nur konnte, gegen diese Plage; das Liegen auf der Ofenbank und das Rauchen, das er nun angefangen mit alten Pfeifen und altem Tabak vom Vater, gefielen ihm viel besser. Aber sein Widerstand half nicht viel, die Juli war viel zu schwach, die schwere Arbeit allein zu tun, und schalt so lange, bis er sich endlich zur Hilfe entschloss. Aber er war böse auf Juli, dass sie ihn in seiner Musse störte, ganz wie wenn sie Schuld daran trüge, dass der Brunnen eingefroren. „Wirscht a Duifl wie der Voda,“ sagte er, doch die Juli war viel zu müde, um ihm zu antworten. Zu müde vom Arbeiten, zu müde von dem trüben Einerlei der Tage. – Um sechs Uhr krochen sie manchmal schon in ihre Betten. Sie mussten Licht sparen, wer weiss, wie lange sie noch gefangen blieben! Auch am Morgen standen sie nicht zu frühzeitig auf, so hatten sie eine lange, lange Nacht und mussten oft beide wachen. Sie schliefen jetzt alle der Wärme halber in der grossen Stube. Anderl war in den langen dunklen Nächten so furchtsam geworden, dass er schon aufschrie, wenn ein