Die Nann. Anna Croissant-Rust

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Название Die Nann
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711460832



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grossen Buben beruhigen wie ein kleines Kind. Sie selbst war sehr gewachsen in der letzten Zeit, sie war fast so gross wie Anderl, aber überall sahen ihr die Knochen heraus, die Kleider schlotterten an ihr herum, und den ganzen Tag war sie müde. Am liebsten wäre sie immerfort sitzengeblieben und hätte immerfort auf die weisse Öde ringsum gestarrt, die tagein, tagaus sich glich, stumm, weit und ohne Erbarmen. Aber sie musste ja mit Anderl Schnee holen, Eis aufhacken, kochen; wenn es nur endlich tauen wollte! –

      Endlich, endlich fing es an in grossen Flocken zu schneien, die wie weisse Vögel geflogen kamen; sie freuten sich beide, jetzt gab’s Tauwetter! Und es schneite, schneite, dass sie kaum einen Schritt weit sahen; es schneite am Morgen, am Mittag und am Abend, und wieder am Morgen, am Mittag und am Abend. Als sie ins Bett gingen, war der Schnee so hoch gekommen wie das Fenster. Das beunruhigte besonders die Juli so, dass sie kaum schlafen konnte. Wenn es so weiterschneite, waren sie in ein paar Tagen begraben!

      Während der Nacht entstand auf einmal ein furchtbares Getöse – ein langandauerndes Krachen war’s, ein Splittern und ein Poltern –, die Kuh wollte nicht aufhören mit Brüllen, und die Geiss meckerte dazwischen; es war ein beständiges Klirren der Ketten, ein immerwährender Lärm im Stall – die Juli fuhr im grössten Schrecken auf, ihr Herz klopfte so, dass sie nichts andres sonst hörte. Doch der Lärm wiederholte sich nicht, nur die Unruhe im Stall, das Klagen der Tiere dauerte an. Aber die Angst vor etwas Unheimlichem, das da draussen vorgehen mochte, verliess die Juli nicht. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und verrammelte die Türe mit dem Tisch und mit Stühlen, damit ja nichts zu ihnen dringen könne. Anderl hatte sich in seiner Todesangst vollständig vergraben im Bett, er war nicht einmal dazu zu bewegen, eine Antwort zu geben. Ohne Laut, in stummem Schrecken hielt er sich die ganze Nacht unter den Kissen verborgen.

      Die Juli hörte wohl das Stossen gegen den Barren im Stall, hörte das Klagen der erschreckten Tiere, wagte es aber erst aufzustehen, als es hell wurde, und da stand sie mit Zagen auf, es war ihr, als müsse etwas Schreckliches auf sie da draussen warten. Nach vielem Zureden und Betteln und Bitten und Schelten und Zanken gelang es ihr, Anderl auf die Beine zu bringen; er hielt sich immerfort hinter ihr und dazu noch an ihrem Rocke fest, als sie ihn nach dem Stall mitnahm. Zweimal versuchte sie dort die Türe zu öffnen und fand nicht den Mut dazu, das drittemal machte sie gleich herzhaft weit auf.

      Was war denn da geschehen?! Das war ja, wie wenn sie ins Freie gingen! –

      Oben zum Stalldach schaute der blanke Himmel herein, auf dem Boden lagen grosse Haufen Schnees, Balken und Holzschindeln von dem durch den Schnee eingedrückten Dach durcheinander, das Vieh stand, steif vor Frost, mitten drinnen.

      „Jess’s Maria, des aa no!“ schrie sie. Hatte sie es nicht dem Vater gesagt, das Dach sei schlecht, und hatte er es nicht ausbessern sollen? Nun war er im Haus herumgesessen, hatte gefaulenzt und war gegangen, ohne nur einen Nagel da oben einzuschlagen! Und sie begann in Verwünschungen auszubrechen gegen diesen Vater, der sie verhungern und verkommen und elend zugrunde gehen liess, der sie allein da heroben wusste und nicht kam und nicht bei ihnen blieb – es war ihr ganz aus dem Sinn gekommen, dass sie es nicht hatte erwarten können, bis er aus dem Haus ging!

      „Jetz hammer’s, jetz hammer’s!“ jammerte sie und lief wie eine Verrückte hin und her mit Schaufel und Körben und schaufelte und schleppte; aber obgleich sie beide mit aller Kraft arbeiteten, sah man gar nicht, wo sie angefangen hatten! Wo sollten sie denn die Kraft hernehmen, den vielen Schnee wieder wegzuschaffen?

      In der Stube schrie die Nann, neben ihr begann Anderl zu heulen, vor ihr klagte die Kuh, da fing auch die Juli bitterlich zu weinen an.

      „Was tuan mir, Anderl! Was tuan mir?“ jammerte sie.

      Da hatte Anderl einen guten Gedanken, einen so guten, dass er viele Jahre lang, wenn er gescholten und für tapsig und blöd erklärt wurde, nie vergass, ihn aufzutischen.

      Er nahm die Kuh an der Kette, führte sie stolz über den Gang nach der Küche und holte auch die Ziege nach. Dann zündete er im Herd ein gutes Feuer an und brachte den erfrorenen Tieren Futter. Die Ziege fing gleich, obzwar immer noch mit anklagendem Meckern, zu fressen an, aber die Kuh schnupperte nur so am Futter herum und gab ihr heiseres Brüllen nicht auf.

      Auch in der Stube machte Anderl ein grosses Feuer und wärmte Milch für die Nann, denn die Juli war ganz aus der Fassung gebracht, ganz verwirrt, und anstatt wie sonst den Anderl anzutreiben, liess sie nun alles geschehen, was er tat, sie wusste sich keinen Rat mehr.

      „Wenn d’ nur nach Malsein geahn kunntscht! Geah nach Malsein, dass sie uns helfen!“

      Malsein, Malsein, Malsein! das war ihr ewiges Lied.

      „Mir kinnen nit awer, schau decht ausser!“

      Aber sie liess nicht nach mit Quälen. Da nahm er denn in Gottes Namen die Schaufel und begann vor dem Haus den Schnee auszuschaufeln. Nein, das waren ja Berge! Er kam keine drei Schritte weit, keine Rede davon, dass er allein nach Malsein käme! Und doch fing sie wieder an:

      „Du muscht nach Malsein!“

      Sie stiess ihn beiseite und fing selbst an zu schaufeln und zu graben, dass ihr der Schweiss herunterlief, aber auch sie kam nicht vorwärts und schaute sich wieder hilflos nach ihm um.

      Mit einem tiefen Seufzer holte Anderl seine dicke Joppe, die Schneereifen und die Steigeisen. Vielleicht ging’s so.

      Die Luft war frisch, aber die Berge standen zum Greifen nah, ganz wie wenn Tauwetter zu erwarten wäre. Anderl wollte ja gern vorwärtskommen, wenn er noch so lange brauchen sollte, wenn’s nur überhaupt ging! Schon nach den ersten Schritten aber stolperte er; dann sank er ein, raffte sich wieder auf, kam eine Strecke weiter, sank wieder ein und arbeitete sich wieder heraus. Und der Schnee schien immer weicher zu werden, das Vorwärtskommen wurde immer schwerer, und zuletzt stand er vor einem hohen weissen Hügel, einem fremden Hügel, den er nicht kannte, der sich da aufgetürmt hatte, daneben ging die Wand in die Höhe, und auf der andern Seite fiel der Felshang ab. Keine Möglichkeit, da hinüberzukommen, Anderl machte gar keinen Versuch. Wenn es gegangen wäre, würde er am liebsten heulend zurückgerannt sein. So musste er denselben mühseligen Weg wieder Schritt für Schritt zurücklegen.

      Ausser Atem, keuchend, die Kehle von Jammer zugepresst, kam er droben wieder an. Jetzt würde die Juli schön auf ihn losfahren!

      Aber die Juli redete kein Wort, blieb nur sitzen und machte grosse Augen; gerade wie der Vater sah sie aus. Sollte denn das den ganzen Tag so fortgehen und wollte sie sich nicht entschliessen, endlich aufzustehen und etwas zu kochen? Er hatte jetzt gearbeitet genug und getan, was er nur tun konnte, der Magen brannte ihm, vorderhand war ihm das Essen die Hauptsache. Sah sie ihm denn das nicht an?

      „So koch decht amal a Supp’n!“ mahnte er vorwurfsvoll.

      Als er gesättigt war und die Sonne plötzlich schien und alles warm und behaglich machte, fasste er frischen Mut und redete auch der Juli kräftig zu. Vis der Abend kam, hatten sie richtig Schnee und Schindeln ausgeräumt, sogar die schlechten Teile auf dem Dach entfernt und begonnen, neue Bretter einzufügen. Es kam ihnen jetzt recht zustatten, dass sie dem Vater oft zugesehen hatten, und wenn sie’s auch nicht so machen konnten wie er, so ging’s doch leidlich, und das Arbeiten oben in der Sonne war auch nicht so hart, als sie gedacht; doch waren sie beim Dunkelwerden ganz zerschlagen und elend und krochen wie abgehetzte Tiere in die Betten. Sie nahmen sich keine Zeit mehr, sich zu waschen oder zu kämmen, auch die Nann blieb liegen, wie sie war; sie fühlten sich beide am Morgen noch todmüde von der ungewohnten Arbeit und mussten doch gleich wieder beginnen. Wie notwendig das war, sahen sie, als sie in den Stall kamen. Über Nacht war wieder Schnee gefallen, zwar nicht sehr viel, aber doch genug, um die Juli mutlos zu machen.

      „Es ischt für niacht, es ischt für niacht,“ klagte sie, während dicke Tränen Rinnen in ihr schmutziges Gesicht zogen. Ihre Augen brannten, und sie sah grau und elend aus; doch ermannte sie sich noch einmal, und nun begann ein wildes Arbeiten: „Es muass, es muass fertig werden bis auf die Nacht.“

      Sie war ganz ausser sich, sie hörte nicht, sie sah nichts wie die Arbeit, wie ein Fieber war’s. Ganz nass von Schweiss schaufelte sie den Schnee weg, schleppte