Die Nann. Anna Croissant-Rust

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Название Die Nann
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711460832



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gewesen, und er hatte mit Bangen und Grausen darauf gewartet und gewettert und geflucht, wenn ihn Schnee und Eis schon früh abschlossen vom Tal drunten, dass er nicht mehr auf Arbeit gehen konnte.

      Er hatte das Winterende nie erwarten können und war brütend im Haus herumgesessen oder hatte mit seinem ersten Weibe gehadert. Nun ging er den ganzen Tag in den Zimmern umher. Alles wollte er der jungen Frau schöner und besser machen, weil sie alles freute, in der Küche und in den Stuben. Und erst als er an die Wiege kam! Die sollte ein Prachtstück werden! War ihm denn je eingefallen, seinen andern Kindern eine neue Wiege zu machen? Da war immer die alte lange gut genug! Aber als die Marietta unter dem alten Gerümpel herumkramte und eifrig an dem staubigen, wackeligen Ding herumputzte, nein, das konnte er nicht sehen. Für ihr Kind sollte sie eine neue, schöne Wiege kriegen. Nicht genug konnte er sich tun, den halben Winter schnitzte er daran herum, und ihre glänzenden Augen freuten ihn noch mehr als das Prachtwerk, das er geliefert hatte. Ja, das wusste er noch alles!

      Aber dann – pfui Teufel! – wieder spuckte der Anderl aus und zertrat mit den schweren, nägelbeschlagenen Schuhen die Stelle, pfui Teufel, ja! Auch wenn das ganze Tal nicht gehetzt hätte, er sah’s doch mit eignen Augen, dass das sein Kind nicht war und dass sie ihn belogen und betrogen hatte! Wieder musste er stehen bleiben, sich den Schweiss abtrocknen und verschnaufen.

      Er war jetzt hoch über den steilen Abhang heraufgekommen in der Mittagsglut, und vor ihm lag schon sein Häuschen, dicht an der jäh abfallenden Felswand. Drunten gurgelte der Bach, der vom Gletscher kam, zwischen Geröll und niederem Gestrüpp. Dunkel und wild schaute das Tal selbst an diesem sonnensprühenden Tage aus. Die Wände stiegen fast senkrecht in die Höhe, nur mehr mit spärlichem, zerzaustem Wald und mit struppigen Legföhren bewachsen. Drüber schauten die Gletscher, von Zeit zu Zeit von einem schleierartigen Nebel umzogen, der wieder zerflatterte. Über die Steilhänge kletterten Alpenrosen herab, fast bis an sein Haus kamen sie in breiten roten Streifen, und ihr strenger, würziger Harzduft vermischte sich mit dem Geruch des Heues, das, in Schwaden niedergemäht, an den Berglehnen trocknete.

      Zerstreut lagen die Höfe im Tal, meist von den Felswänden gegen die Stürme geschützt, sein kleines Haus am höchsten, es hatte nur von einer Seite Schutz. Unter ihm, in der Richtung gegen Jodok zu, standen ein paar Häuser beisammen, weiss und schmuck, mit steinbeschwerten Dächern, Wäsche hing am Zaun und blinkte hell im grellen Sonnenschein. Weiter herauf, auf einem Vorsprung, mitten unter Wiesen, lag der Malseinerhof, das grösste und reichste Gehöft im Tal.

      Der Malseiner war eigentlich sein Nachbar, wenn er auch fast dreiviertel Stunden von ihm entfernt war.

      Die von Malsein waren fast alle bei der Leiche gewesen, die mochten alle die Marietta gern und waren die einzigen im Tal, die es ihm verdachten, wie er zu ihr gewesen, und die’s ihn auch merken liessen.

      Der Malseiner hatte ihn gleich gar nicht angeschaut bei dem Begräbnis, und die Frau kaum. Sie waren noch nicht daheim; als er vorhin an ihrem Hof vorbeiging, hatte er nur den Hansi sitzen sehen, aber auch der schaute nicht auf und schnitzte an einem Holz weiter. Noch setzt konnte er ihn auf der Bank vor dem Haus sehen, und wenn der Wind gerade recht ging, hörte er ihn sogar singen.

      Und wie er sang! Wie ein Vogel, voller Freude und Lust. Ja, die hatten gut singen in Malsein! Und noch dazu der Bub, so ein Teufelskerl, wie der war! Überall schon voran mit der Arbeit trotz seiner zwölf Jahre, gross und schlank und kräftig, und was er anpackte, geriet, und der Malseiner schmunzelte nicht umsonst, wenn er von seinem einzigen Kinde sprach.

      Wenn sein eigner Bub so gewesen wäre, der Anderl! Wie ein lahmer, verschlagener Hund war er, und jetzt gar, wo die Grossen wieder an ihm herumzuschimpfen und zu stossen hatten!

      Die Marietta hatte es noch am ersten verstanden, etwas aus ihm herauszubringen. Ein Kreuz war’s! Jetzt, wo er fünfzehn Jahre alt wurde und recht anpacken sollte, ging’s genau so langsam wie früher. Kaum die Hälfte von dem leistete er, was der Hansi leisten konnte. Dafür hatte der aber auch einen unbändigen Stolz, und der Hochmutsteufel steckte ihm im Blut, er hätte nicht von Malsein herstammen müssen!

      Wenn ein paar Buben beisammen waren, auch ältere drunter, hatte der Hansi das grosse Wort. Er gab an, er schaffte an, und gerade wie wenn’s so in der Ordnung wäre, folgten sie ihm alle. Wie ihn das schon gegiftet hatte! Wie oft er den Anderl gehöhnt, angestachelt hatte, sich ihm zu widersetzen! Aber natürlich der Anderl! Der tat blindlings, was der Hansi verlangte! Es hätte ihm auch nur einer widersprechen sollen! Trotzig und wild und ungebärdig war er wie ein junges Ross. Wenn der einmal Bauer wurde! Da musste eine Bäuerin vom Himmel fallen, denn weit und breit war keine gut genug und reich genug und stolz genug! Denn das gehörte dazu, das Stolzsein!

      Des Kuchler-Anderls Augen nahmen einen hässlichen, gehässigen Ausdruck an, wie er so hinunter auf das stattliche Gehöft blickte. Der ganze Groll des Kleinhäuslers gegen den Bauern, der ganze Hass des Nichtbesitzenden gegen den Besitzenden sprach daraus.

      Jawohl, der Bub wusste schon, dass er einmal die Gulden im Sack konnte klingen lassen, das stieg ihm zu Kopf und machte ihn hoffärtig.

      Warum sie nur alle da unten so gut mit der Marietta gewesen? Wohl nur aus Trotz gegen ihn, der sich nie freundlich oder gar untertänig gezeigt hatte, wie’s die Sippschaft haben wollte. Die Marietta dagegen hatte für jeden ein freundliches Gesicht und ein gutes Wort gehabt, und das hatte denen gefallen, natürlich. Der Hansi konnte ja nicht genug Blumenstöcke heraufschleppen, weil sie die Marietta gar so freuten. So lange trug er zu, bis die Fenster beinah so voll standen wie auf Malsein. –

      Dicht vor seinem Haus blieb der Anderl nochmals stehen und zog sein blau und weiss kariertes Tuch. Es war, als zögere er einzutreten. Das war eine Hitze! Die Felswand glühte fast, und die paar roten Federnelken, die wie hingespritzte Tropfen das graugelbe Gestein fleckten, hatten die Blätter ordentlich zusammengerollt vor Hitze. Der kleine Garten blühte mit blauem Rittersporn, brennender Liebe und den bunten Kerzen der Levkoien. Der Kuchler lehnte sich an den Zaun und schaute auf die Beete. Salat und Rettich, Lauch und Zwiebel und Schnittlauch, alles noch fein säuberlich in der Reihe, wie sie es gesetzt hatte; aber das Unkraut ging schon überall heimtückisch auf. Sah denn das keine? Wofür waren sie denn zurückgekommen? Lieber lungerten sie auf der Bank vor dem Hause herum oder zupften an den spärlichen Beeren, die der verkrüppelte Johannisbeerstrauch trug.

      Und da schau einer her! Die Blumen vor den Fenstern liessen alle die Köpfe hängen, und es war doch eine Pracht, die dicken roten und weissen Geranien, die vielen Nelken und die gelben Büschel der Hirtentaschen zu sehen. Das Gesindel! Nicht einmal danach schauten sie! Mit einem Fluch stiess er gegen die Haustüre – sie gab nicht nach, und in wütender Ungeduld schlug er mit der Faust auf den Drücker, doch niemand kam, ihm zu öffnen. Hatte er nicht der Kathl gesagt, sie müsse dableiben? Die sass jetzt gewiss bei den andern in der kühlen Wirtsstube in Jodok und tat sich gütlich!

      Was war denn auch in ihn gefahren, dass er da herauf musste bei der Bärenhitze? Hätte er nicht sitzenbleiben können, bis der Talwind kam, zu essen und zu trinken fand er heute doch nichts zu Hause, und das Viertel Roten, das er getrunken, brannte ihm wie Feuer im nüchternen Magen.

      Scheltend ging er ums Haus. Richtig hatten sie auch noch die Stalltüre nicht zugeschlossen. Zu stehlen gab’s freilich nichts beim Kuchler, aber sie wussten es genau, dass er so etwas nicht duldete. Da stand die Kuh vor dem leeren Barren, brüllte kläglich und hatte fort und fort zu tun, sich die Mücken mit dem Schwanz abzuwehren, die in ganzen Schwärmen auf ihr sassen und um sie herumbrummten.

      Dazwischen hörte er ein dünnes Stimmchen – Herrgott, das Kind! Hatten sie’s rein mutterseelenallein im Haus gelassen, und zu trinken hatte die Kleine gewiss auch nichts mehr, sie konnte ja gar nimmer weinen! Der Kuchler klinkte die Stubentüre auf, richtig, da stand sie mitten in der Sonne, und ein Schwarm Fliegen sass auf den Händchen und dem Gesicht und hatte sich an die Flasche festgeklebt, die neben ihr in die Kissen hineingefallen war. Freilich, am Morgen, als die Juli die Wiege dorthin stellte, war’s kühl und schattig dort gewesen, und die Kathl – na, wart nur! Komm du nur heim! Dass er sie auch nicht gesehen hatte! Bei der Leiche und beim Leichentrunk war sie sicher nicht gewesen, solange er dort war, das wusste er. Die sollte sich nur freuen, wenn sie ihm zwischen die Finger kam!

      Er