Die Nann. Anna Croissant-Rust

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Название Die Nann
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711460832



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klopfte es so stark an das Fenster, an dem die Juli sass, dass die mit einem Schreckensruf in die Höhe fuhr und Anderl sich unter dem Tisch zu verkriechen suchte.

      Der Alte stand auf, nahm den Bergstock aus der Ecke, und bald hörten die zwei den Riegel, dann die Haustüre knarren, ein paar Schreie und flüchtende Schritte an den Fenstern vorbei, hörten alsbald den Vater rings ums Haus gehen, zweimal, sie hielten den Atem an – nichts – dann knarrte weit weg ein Riegel – „die Schupfentür“ wisperte Anderl; nun kam der Vater durch den Stall zurück, und wieder knarrte der Riegel, dann schloss er die Küchenfenster, schloss die Haustüre, lehnte den Bergstock in die Ecke und trieb die Kinder mit einer herrischen Gebärde auf.

      „Geht’s ins Bett“, sagte er rauh, „der Bua schlaft da in der Kammer, und du geahscht jetzt aufer mit der Nann, und da oben bleibt sie, ich will sie nie mehr sehen da unten.“

      So wurde die kleine Nann von ihrem Vater aus der Stube verbannt und musste ins obere Stockwerk wandern.

      Juli trug das Kind, das durch das Aufheben erwacht war, an dem Vater vorbei, wie wenn sie ein Unrecht tue, und es fiel ihr schwer auf die Seele, dass das Kind wieder zu weinen anfing. Als sie das weinende Kind droben aufs Bett gelegt und ihr Stümpfchen Kerze angezündet hatte, kam ihr ihr zukünftiges Leben so schwer vor, dass sie zu heulen und zu beten anfing. Was sollte sie denn mit dem kleinen Kinde anfangen? – Und die Mutter, die doch so gut war, die war jetzt tot, und nur der böse Vater blieb, und niemand half ihr mehr ...

      Keiner sagte ihr etwas – –. Sie schaute die Nann an – so blass sah sie aus; wenn sie starb, wer war dann schuld? Die Juli. Wenn sie schrie, wer war dann schuld? Die Juli. Und das Kind wimmerte fort und fort. Sie nahm es auf den Arm und trug es herum, es weinte weiter, sie legte es nieder und nahm’s gleich wieder auf; der Arm wurde ihr lahm, sie musste sich aufs Bett setzen und das Kind in den Schoss nehmen, aber ruhig wurde es auch da nicht. Sie redete der kleinen Nann zu, sie sang ihr leise etwas vor, dann horchte sie wieder, ob sich im Haus etwas rühre, ob der Vater noch auf sei und sie hören könne – es war alles ruhig. Unermüdlich ging sie auf und ab, und unermüdlich weinte das Kind, nichts wollte helfen. Ob’s am Ende gar Hunger hatte? Wie ein Dieb schlich sich die Juli hinunter, mit Herzklopfen, es gab ihr jedesmal einen Stich, wenn die Stufen knarrten; sie tappte sich durch den Gang nach der Küche, da war ja noch warme Milch! Eilig schüttete sie etwas Wasser daran, wie die Mutter immer getan, und tastete sich gegen die Stube, das kleine Stümpfchen Licht vor dem Erlöschen schützend. Sie musste ja auch das ‚Flascherl‘ haben. Beinahe hätte sie Milch und Kerze fallen lassen, denn drinnen in der Stube sass der Vater noch auf, die Ellbogen aufgestützt und das Gesicht mit den Händen verdeckt, und als er sie jäh zurückzog, sah sie, dass er weinte.

      In die Erde hätte sie sinken mögen, Angst und Scham schnürten ihr den Hals zu, sie wusste nicht, was sagen oder tun. „’s Flascherl!“ stiess sie endlich heraus, und als sie’s hatte, flog sie wie der Wind über die Treppe.

      Sie war so verwirrt, dass sie kaum der Nann die Nahrung reichen konnte. Der Vater weinte. Warum weinte er? – Er hatte doch keine Träne vergossen, solange die Mutter schwer krank war, keine, als sie tot drinnen lag, keine während der Leiche! Er kam ihr sonderbar und fremd vor, und doch stand er ihr wieder näher, er tat ihr leid, und trotzdem scheute sie sich wieder hinunterzugehen zu ihm. –

      Die kleine Nann hatte gewaltig an ihrer Flasche geschluckt, nun schlief sie fest. Die Juli aber war noch lange wach, auch nachdem das Licht ausgegangen war, und allerlei Gedanken und Sorgen rumorten in ihrem jungen Kopfe.

      Ans Fenster gekauert, sah sie angestrengt auf den hellen Fleck vor dem Hause, der Vater hatte die Lampe immer noch nicht gelöscht. Endlich hörte sie ihn aufstehen, der lichte Fleck verblasste, nun war’s fast ganz dunkel. Undeutlich nur sah man das Gezack der Berge gegen den Himmel stehen, die kleinen weissen Häuser wie Flecke an der Lehne kleben und den Schnee in den Schroffen, da säumten sich plötzlich die Gipfel mit einem hellen Streifen, ein weisser Schein breitete sich über den Himmel aus, und langsam kam der Mond wie hinter einer Riesenmauer vor.

      Hatte sie nicht etwas gehört? Leise Tritte? – Sie drückte den Kopf nahe ans Fenster – da schlichen zwei ums Haus, in die Fenster spähend, vorsichtig an den Türen rüttelnd, wie Wölfe, die in der Nacht auf Raub ausgehen; sie kamen, verschwanden im Schatten, kamen wieder – ein heiseres Geflüster, die Steine am Weg krachten, eilige Tritte in der Ferne, dann wurde es still.

      Und nun schaute der Mond heraus, eine weiche Helle lag über dem Tal und den Gletschern, in einem fernen Gehöft bellte ein Hund, da kroch die Juli endlich zitternd ins Bett. Es war kühl geworden, und der Wind wehte leichte Nebel an den Zacken der Berge hin. Julis letzter Gedanke war, als sie müde und zerschlagen unter den Laken lag: ‚Morgen gehst du zu der Malseinerin, dass sie dir’s sagt wegen der Nann.‘

      Als die Malseiner Knechte am frühen Morgen – kaum graute der Tag, und die Berge sahen noch finster aus gegen den glasigen Himmel – aufs Mähen gehen wollten, fanden sie in dem Schupfen die Kuchlerdirnen, die eine im Unterrock, die andre ohne Leibchen, fest in eine Schürze gewickelt. Sie lagen und schnarchten und schliefen wie die Murmeltiere, selbst das Gelächter der Knechte weckte sie nicht. Erst als sie einer gehörig rüttelte, wachten sie auf. Moidl setzte sich in die Höhe, rieb sich die steifen Arme, – sie hatte ihr Leibchen der Kathl gegeben – und lachte die Männer an. Sie war keineswegs verlegen, – halb verschlafen wie sie war, rüttelte sie sich und konnte sich nicht entschliessen, aus dem warmen Stroh aufzustehen. Kathl dagegen, mürrisch und zornig wie immer, hatte sich zuerst umgedreht und aufs Gesicht gelegt, dann war sie aufgesprungen und hatte versucht, sich mit Ellenbogenstössen Platz zu machen, um durchzukommen. Doch die Knechte standen fest und konnten nicht genug kriegen, sich an dem Aufzug der beiden und an Kathls Wut zu weiden. Selbst als der Bauer unter die Haustüre trat, gingen sie nicht auseinander. Der Malseiner hielt die Hand vor die Augen, denn die ersten feurigen Streifen kamen am Himmel herauf und blendeten ihn. Er war in Hemdärmeln, trotzdem es so kühl war, dass man seinen Atem sah. „Was is?“ rief er hinüber, ohne einen Schritt vorwärts zu machen, „was gibt’s?“ Er war hoch gewachsen, breit in den Schultern, mit einem braunen krausen Vollbart, die kurzgehaltenen Haare seitwärts gescheitelt, während sie im Nacken weit hinuntergewachsen waren. Stattlich und bewusst, mit kräftigen Beinen, stand er vor dem Hause. Die Stimme klang scharf und kurz, aber man sah’s den braunen Augen an, dass sie nicht nur unwillig schauen konnten, wie jetzt.

      Michel, der älteste Knecht, ein grober, wüster Kerl, hatte eben die Moidl am Arm gepackt und versuchte sie in die Höhe zu zerren: „Bringsch’n ja nit wach, den Duifl,“ schrie er, „hat no sein’n Rausch von geschtern, scheints!“

      Moidl widerstrebte, halb aus Zorn, halb aus Vergnügen an der Sache, die ihr ganz lustig vorkam. So zerrten sie hin und her, die Knechte lachten und schrien, und Moidl schrie und zeterte. Die Dirnen kamen nun auch alle aus dem Haus, laufend und so neugierig, dass sie sich nicht einmal Zeit liessen, sich vollends anzuziehen, sondern noch im Gehen die Röcke und Schürzen einhakten. Sie drängten sich vor die Männer und waren im Spotten und im Geschrei und Gelächter die ärgsten. Keine war dabei, die Kathl oder Moidl beigestanden hätte, umsonst versuchte Kathl bei ihnen durchzukommen. Erst als der Bauer näherkam, weil ihm keiner Antwort gab, und die Dienstboten anrief, erst als die sich nach ihm umdrehten, gelang es ihr, mit einem Puff bei den Dirnen eine Lücke zu stossen und wegzulaufen.

      Moidl hockte, noch immer blöd lachend, auf dem Boden und schaute den Bauern hilflos an.

      „Ha, die Moidl!“ sagte er, „wo kimmscht denn du her?“ Alle schwiegen; das Gelächter hörte sogar auf, nur die Dirnen wisperten hinter dem Rücken der Knechte. Jetzt, nachdem sich der Malseiner an das Halbdunkel des Schupfens gewöhnt hatte, sah er erst, wie Moidl ausschaute. „Geht’s an die Arbeit!“ herrschte er die Dienstboten an. „No – Marsch, sag’ i!“

      Zögernd entfernten sie sich, die Weiber sich dicht beieinander haltend und tuschelnd. Immer wieder drehten sie die Köpfe herum und versuchten noch etwas zu hören.

      „Jetzt sag’, Moidl, was ischt mit dir?“

      Statt aller Antwort fing sie an zu heulen und liess sich nicht beschwichtigen, sondern heulte immer lauter.

      „Hat