1870/71. Tobias Arand

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Название 1870/71
Автор произведения Tobias Arand
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955101763



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Juni 1867 in Queretaro hingerichtet. Édouard Manet, der große französische Impressionist, hat die dramatische Erschießung Maximilians in mehreren Bildversionen verewigt. Auf der bekanntesten Version tragen die Schützen des Erschießungskommandos Uniformen, die denen der französischen Armee sehr ähneln. Ein Soldat am rechten Bildrand trägt die Züge Napoleons III. Die kaiserliche Zensur verbietet die Zurschaustellung des Gemäldes, versteht sie doch Manets Vorwurf nur zu gut. Dieser Mord ist Napoleons Menetekel an der Wand.

       Abb. 3: Édouard Manet, Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko, 1868

      Der von Napoleon in seinen deutschen Plänen 1866 nicht einkalkulierte Sieg Preußens in Königgrätz, das damit verbundene vorläufige Scheitern aller linksrheinischen Ansprüche und das Debakel in Mexiko haben das Ansehen des Kaisers in kurzer Zeit untergraben. Das politische Zwittersystem aus pseudodemokratischen Volksabstimmungen und autoritärer Herrschaft mit liberalen Anteilen war so lange tragfähig, wie die Wirtschaft florierte und militärische Erfolge Napoleons Regime legitimierten. Das Jahr 1866 jedoch reißt Napoleon die angemaßte Feldherrnmaske seines Onkels vom Gesicht und zeigt ihn als das, was er ist: als einen zögerlichen, im Grunde seines Herzens weichen Spieler, der sich ›verzockt‹ hat und sein Regime angesichts sinkender Wirtschaftsdaten, außenpolitischer Misserfolge und unübersehbarer Korruption auf allen Ebenen nicht mehr unter Kontrolle hat. Hinzu kommt, dass Napoleons Gesundheit zunehmend Anlass zur Sorge gibt. Blasensteine bereiten ihm große Schmerzen, Schlaflosigkeit schwächt ihn zusätzlich. Eigenmächtigkeiten seiner Minister beschleunigen darüber hinaus den dramatischen Machtverfall Napoleons und des Second Empire, das allmählich in Agonie verfällt.

      »Rache für Sadowa« – Der Weg in den Krieg

      Nach dem Debakel in Mexiko benötigt Napoleon wieder einen außenpolitischen Erfolg. Der Versuch, Luxemburg für Frankreich zu erwerben, endet in einem von Bismarck bereiteten Fiasko.

      Luxemburg wird in Personalunion von Wilhelm III., dem König der Niederlande und zugleich Großherzog von Luxemburg, regiert. Anders als die Niederlande ist Luxemburg bis 1866 Teil des ›Deutschen Bundes‹, der dort sogar eine Bundesfestung unterhält. Auch nach der Gründung des ›Norddeutschen Bundes‹, dem Luxemburg nicht beitritt, sind in über 20 Forts mehrere Tausend Mann preußischer Besatzung in der Festung stationiert. Seit 1842 ist Luxemburg obendrein noch Mitglied des Deutschen Zollvereins.

      Die ›Luxemburg-Krise‹ ist ein typisches Beispiel für das Spiel mit Menschen und Macht, dem sich die Herrscher und Diplomaten des 19. Jahrhunderts immer wieder hingeben. Kriege sind dabei als mögliche Lösungswege stets vorgesehen. Wie bereits gezeigt, hatte Bismarck vor dem Krieg Preußens und seiner Verbündeten gegen Österreich, Napoleon III. Hoffnungen auf Landerwerb links des Rheins gemacht. Noch vor Abschluss des von Frankreich vermittelten Vorfriedens von Nikolsburg am 26. Juli 1866, der den Waffenstillstand zwischen Österreich und Preußen besiegelt, droht Napoleon die Kontrolle über seine Minister und engsten Berater zu entgleiten. Napoleon will sich mit Preußens Versprechen, die Mainlinie zu respektieren, zufriedengeben. Er hofft, dass die bislang freien deutschen Südstaaten als ›Drittes Deutschland‹ gemeinsam mit Frankreich Preußens Zuwachs eindämmen würden. Doch die Kaiserin und der Kriegsminister raten ihm in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1866, mit 80 000 Mann den Rhein zu überschreiten, in den Konflikt einzugreifen, um doch noch Landgewinne erzielen zu können. Schließlich kann Napoleon seine Berater und Eugénie mühsam überzeugen, dass der Plan eines Kampfes gegen Preußen und Italien, das zwangsläufig als Verbündeter Preußens ebenfalls betroffen wäre, zu riskant sei. Außerdem erscheint ein weiterer Krieg der französischen Öffentlichkeit als nicht mehr vermittelbar. Die französischen Truppen stehen zum Teil noch in Mexiko. Stattdessen unterstützt Frankreich die Planungen für den Waffenstillstand und den späteren Vertrag von Prag und inszeniert sich so als starker Friedensvermittler. Gleichzeitig stellen französische Diplomaten jedoch, ohne Absprache mit Napoleon, Kompensationswünsche an Preußen. Luxemburg wird immer wieder als Wunsch genannt. Bismarck lehnt im Gefühl des jüngst errungenen Waffenerfolgs gegen Österreich kühl ab, erkennt aber in der Kompensationsfrage das Potenzial für den nächsten, dann entscheidenden Krieg. Der preußische Botschafter in Paris sieht im August 1866 die Zusammenhänge klar. Noch kommt der Krieg um Kompensationen nicht, aber er wird kommen: »Dass der Kaiser Napoleon jetzt gegen uns Krieg beginnen werde, um Kompensation zu erzwingen, ist nicht anzunehmen. Seine Armee ist dazu nicht vorbereitet. Er weiß außerdem, dass er uns dadurch nötigen würde, wider unsere Wünsche und Interessen den Entwicklungsprozess der deutschen Einheit zu beschleunigen […]. Aber kein Einsichtiger verhehlt sich hier, dass die gegenwärtige Konzentration der Kräfte Norddeutschlands in Preußens Hand nur ein erster Schritt ist, welchem die völlige [Einheit] Deutschlands früher oder später umso sicherer nachfolgen muss. […] Die Beendigung dieses unvermeidlichen Entwicklungsprozesses wird erst dasjenige Gleichgewicht herstellen, dessen Europa seit Jahrhunderten entbehrt […]. Für Frankreich würden dadurch reelle Gefahren nicht erwachsen […] wohl aber würde es aufhören, die erste Macht des Kontinents zu sein […] und dies würde die französische Nationaleitelkeit auf das tiefste verletzen.«47

      Um die vom preußischen Botschafter herablassend sogenannte ›Nationaleitelkeit‹ der öffentlichen Meinung zu beruhigen, versucht Napoleon 1867 auf einem anderen Weg, seine Kompensation zu erhalten. Luxemburg soll dem niederländischen König abgekauft werden. Bismarck sieht die Chance, Napoleon in eine diplomatische Falle laufen zu lassen. In geheimen Verhandlungen ermuntert Bismarck Napoleon zu Verkaufsgesprächen mit Wilhelm III., besteht aber darauf, offiziell aus dem Spiel gelassen zu werden. In der Zwischenzeit veröffentlicht Bismarck im März 1867 den Wortlaut der bis dahin geheim gehaltenen ›Schutz- und Trutzbündnisse‹ mit den süddeutschen Staaten, um Napoleon und Frankreich deutlich die Grenzen ihrer Kompensationswünsche aufzuzeigen. Als schließlich ein unterschriftsreifer Verkaufsvertrag für Luxemburg vorliegt, instruiert der stets über alles informierte Bismarck Rudolf von Bennigsen, am 1. April 1867 im Norddeutschen Landtag eine parlamentarische Anfrage an ihn, Bismarck, zu stellen. Bennigsen fragt die Regierung in einem abgekarteten Spiel, ob es stimme, dass Frankreich Luxemburg kaufen wolle. Schließlich hat Preußen ein gewisses Mitspracherecht beim Verkauf eines Landes, das Mitglied im Deutschen Zollverein ist. Bismarcks Antwort auf die Anfrage ist eine Ohrfeige für den französischen Kaiser. Er bestätigt, dass die niederländische Regierung kurz zuvor wegen des Verkaufs von Luxemburg bei ihm vorstellig geworden sei. Weiter führt er aus, dem König Wilhelm III. sei dann mitgeteilt worden, »[…] dass die königliche Regierung und ihre Bundesgenossen im Augenblick überhaupt keinen Beruf hätten, sich über diese Frage zu äußern, dass sie Seiner Majestät der Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen selbst überlassen müssten, und dass die königliche Regierung, bevor sie sich über die Frage äußern würde, wenn sie genötigt würde, es zu tun, sich jedenfalls versichern würde, wie die Frage von ihren deutschen Bundesgenossen […] und wie sie von der öffentlichen Meinung in Deutschland […] aufgefasst werden würde.«48 Mit dieser Abfuhr ist der Geheimdiplomat Napoleon bloßgestellt, der nun wie ein ›Krämer‹ wirkt, der kaufen will, was er nicht erkämpfen kann. Auch der niederländische König ist blamiert und die öffentliche Meinung in Deutschland tobt, wie von Bismarck erwünscht. Luxemburg, Heimat vier spätmittelalterlicher römisch-deutscher Kaiser, wird dort keineswegs als Ausland betrachtet. Vielen Patrioten gilt nur der Gedanke an den Verkauf Luxemburgs an die ›welschen‹ Franzosen als Sakrileg. Dem Preußen Bismarck hingegen ist Luxemburg vollständig gleichgültig, er sieht nur den diplomatischen Coup. Der König der Niederlande tritt von dem Geschäft zurück und in Frankreich kocht die Volksseele ebenfalls. Bereits 1867 besteht wegen der Luxemburg-Affäre die Möglichkeit, den von Bismarck für prinzipiell notwendig gehaltenen Krieg herbeizuführen. Die nationalen Emotionen auf beiden Seiten sind stark genug für einen Waffengang. Doch die schon gezeigten inneren Schwierigkeiten im ›Norddeutschen Bund‹ und das 1867 noch nicht gefestigte Verhältnis zu den deutschen Südländern lassen Bismarck zu diesem Zeitpunkt zurückschrecken. Preußens König Wilhelm will ebenfalls keinen Krieg: »Ich tue alles, was möglich ist, um die Kriegsfackel nicht anzuzünden, denn wie nötig haben gerade wir