1870/71. Tobias Arand

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Название 1870/71
Автор произведения Tobias Arand
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955101763



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und Trutzbündnisse‹ gestärkten Preußen einen Krieg bestehen zu können. Stattdessen wird im Mai 1867 in London ein Vertrag über die Neutralität Luxemburgs geschlossen, der das Scheitern der französischen Ambitionen endgültig besiegelt. Dass nach den Londoner Bestimmungen die alte Bundesfestung geschliffen wird und Preußen seine Besatzung abziehen muss, bemäntelt die Niederlage Napoleons nur unzureichend.

      Nach Mexiko und ›Sadowa‹ ist diese Demütigung der letzte Akt in Napoleons Abstieg. Napoleon III. ist jetzt nur noch die Symbolfigur seines Kaiserreichs. Eugénie und ehrgeizige Minister übernehmen die Macht, während der Kaiser lediglich repräsentieren darf. Dazu kommt, dass Napoleon zunehmend weiter körperlich verfällt. Seine Stimme stockt häufig, seine Hände zittern. Blasensteine und Hämorrhoiden quälen Napoleon. Seine kränkliche Blässe übermalt er mit Rouge auf den Wangen. In der Öffentlichkeit hat er kaum noch Rückhalt, woran auch weitere innenpolitische Liberalisierungsmaßnahmen, die in einem letzten Plebiszit im Mai 1870 bestätigt werden, nichts mehr ändern können. Zwar folgt ihm das Volk nach wie vor, vor allem auf dem Land, aber es ist abzusehen, dass es nicht mehr viel bedarf, Napoleon und das Regime zu stürzen.

      Einen letzten kleinen militärischen Sieg kann Napoleon 1867 noch erringen, der aber sein Prestige nicht mehr zu retten vermag – zumal dieser Sieg nur das Ergebnis eines vorhergegangenen politischen Scheiterns ist. Ende 1866 hatten sich die französischen Truppen aus Rom und dem Rest des Kirchenstaats zurückgezogen und diesen in den Schutz des jungen italienischen Königreichs gestellt, das die Unabhängigkeit des ›Patrimonium Petri‹ bewahren sollte. Ziel war hierbei die Vermeidung weiteren innenpolitischen Haders über Frankreichs Rolle in Italien, der sich vor allem immer wieder zwischen nationalistischen Kräften und katholischen Ultramontanen entzündete. 1867 fallen jedoch 3000 Freischärler, wegen ihrer roten Blusen ›Rothemden‹ genannt, unter Führung des abenteuerlichen Haudegens und Kämpfers in den italienischen Einheitskriegen, Giuseppe Garibaldi, in den Kirchenstaat ein, um Rom und sein Umland nach Italien ›heimzuholen‹. Das Königreich Italien ignoriert seine vertraglichen Verpflichtungen, sodass Napoleon erneut eine Eingreiftruppe senden muss, obgleich er gehofft hat, den innenpolitischen ›Zankapfel‹ eigentlich los zu sein. Am 3. November 1867 werden die Truppen Garibaldis in der Schlacht von Mentana von französischen und päpstlichen Truppen geschlagen. Napoleon beschließt entgegen den Vereinbarungen des Jahres 1866, bis auf Weiteres französische Regimenter zum Schutz des Papstes im Kirchenstaat stationiert zu halten. Nun hat Napoleon dauerhaften Zwist mit Italien, und die Rom-Frage ist noch immer ungelöst. Hatte der Kaiser 1859 Italiens Einigung mit auf den Weg gebracht, kämpft er jetzt gegen italienische Nationalisten und verrät damit erneut eines der Hauptprinzipien seiner eigenen Ideologie. So trägt letztlich auch dieser Sieg zum Bild einer konfusen Herrschaft in einem System voller Widersprüche und damit zur weiteren Erosion der napoleonischen Macht bei.

      Die Gründe für den Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 sind im Kern zwei wesentliche Faktoren. Einmal hält Bismarck noch einen letzten Krieg, der die süddeutschen Staaten an die Seite Preußens zwingt, als unabdingbar für den Abschluss des Einigungsprozesses, wenn dieser so verlaufen wird, wie es sich der preußische Ministerpräsident und Kanzler des ›Norddeutschen Bundes‹ vorstellt. Eine friedliche ›Inbesitznahme‹ des Südens auch gegen den Willen Frankreichs wäre vielleicht in einem längeren Zeitraum denkbar, doch ob sich ebenso die Bewohner Badens, Württembergs oder Bayerns à la longue so einfach würden einfügen lassen, wird im ›Norddeutschen Bund‹ von manchen mit guten Gründen bezweifelt. Im nationalen Taumel sollen Bayern, Norddeutsche, Badener und Württemberger vielmehr gegen den ›alten‹ Feind Frankreich ziehen und dabei willig die Erschaffung eines ›kleindeutschen‹ beziehungsweise großpreußischen Reichs aus dem Geist des gemeinsamen Kampfes vollenden.

      Für Napoleon oder besser für seine Entourage, die den Kaiser nur noch als Aushängeschild für ihre eigenen Pläne vorschiebt, sind außenpolitische Erfolge hingegen unabdingbar für den Fortbestand des Regimes. Autoritäre Bonapartisten sehen im Krieg das natürliche Lebenselement eines Staates, der sich auf Napoleon I. bezieht. Gleichzeitig wollen sie mit einem Krieg die liberalen Experimente Napoleons III. unterbrechen. Diese ›Kriegspartei‹ schart sich um die Kaiserin. Eugénie hält ihren kranken Mann zunehmend für regierungsunfähig und ist gleichzeitig bestrebt, dem einzigen gemeinsamen Kind, Napoléon Eugène Louis Bonaparte, genannt ›Lulu‹, den Thron zu erhalten. Den besten Weg hierfür sieht sie in der Verwirklichung einer ›Rache für Sadowa‹ und der Weiterführung eines autoritären Regimes. Napoleons Versuche zur Errichtung eines liberalen Kaisertums hält sie für Zeichen herrscherlicher Schwäche.

      Der Anlass für den entscheidenden Krieg, der in dieser Gemengelage von Gründen gefunden wird, ist schließlich aus heutiger Sicht ein Streit von »erhabener Lächerlichkeit«50 um dynastische Empfindlichkeiten, verdrehte Worte und lässliche Unhöflichkeiten. Im Jahre 1870 werden Kriege noch mit Begriffen wie ›Ehre‹ und ›Gloire‹ begründet.

      In Spanien wird ein Thronfolger gesucht. Die einstige stolze Kolonialmacht Spanien ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer traurigen Karikatur vergangener Größe herabgesunken. Die Kolonien sind überwiegend verloren, Korruption, Vetternwirtschaft, Thronstreitigkeiten, Bürgerkriege – die sogenannten ›Karlistenkriege‹ – haben Spanien ruiniert und in Anarchie gestürzt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt in Armut und ohne Zugang zu ausreichender Bildung, während sich eine kleptokratische Oberschicht ungehemmt bereichert. Im Jahre 1868 kommt es so zu einer Revolution, die von einer bunten Mischung aus Liberalen, Militärs, Progressiven und Republikanern unter Führung des Generals Juan Prim getragen wird. Königin Isabella II. wird abgesetzt und ins Exil geschickt. Bei der darauffolgenden Suche nach einem neuen Staatsoberhaupt fällt die Wahl nach längerem Hin und Her auf den Spross einer katholisch-schwäbischen Seitenlinie des preußischen Herrscherhauses Hohenzollern, auf Leopold Stefan Karl Anton Gustav Eduard Tassilo von Hohenzollern-Sigmaringen. Versuche Frankreichs, in die Frage der Thronregelung mit eigenen Vorschlägen einzugreifen, waren zuvor gescheitert. Der spanische Thron wird Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen gleich dreimal angeboten. Zweimal lehnt Leopold, der mit einer portugiesischen Prinzessin verheiratet ist, ab. Leopold und sein Vater Karl Anton, Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen, fürchten die vorhersehbaren Schwierigkeiten, die mit der Kandidatur verbunden sind. Der 1835 geborene Leopold ist über seine Großmutter Stéphanie de Beauharnais, der Adoptivtochter Napoleons I., eng mit dem Hause Bonaparte verwandt. Die Verwandtschaft mit der preußischen Hohenzollernlinie beschränkt sich hingegen in erster Linie darauf, dass Wilhelm I. von Preußen als Oberhaupt aller Hohenzollern anerkannt wird, obgleich sich beide Linien bereits im Mittelalter getrennt haben. Die Idee, dem eigentlich unwilligen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen den spanischen Thron ein drittes Mal antragen zu lassen, stammt von Bismarck. Über Diplomaten in Madrid lanciert er erfolgreich in geheimen Verhandlungen die Idee eines neuerlichen Versuchs. Die Motive für diesen Schachzug sind unklar und häufig kontrovers diskutiert worden. Sicher fürchtet Bismarck, dass wie zu Zeiten Karls V. das Haus Habsburg auf den spanischen Thron zugreifen könnte, vielleicht will er die katholische Opposition in Deutschland ein wenig besänftigen, indem er einen katholischen Hohenzollern protegiert. Auch einen möglichen Kandidaten aus dem bayerischen Haus Wittelsbach will Bismarck sicher verhindern, könnte doch der süddeutsche Partikularismus durch einen solchen Erfolg Bestätigung finden. Wenn Bismarck 1870 an einen sanften und friedlich-evolutionären Weg zur deutschen Einheit glauben würde, ergäbe der ›spanische Plan‹ mit seiner Kriegsgefahr keinen Sinn. Am wahrscheinlichsten ist es vielmehr, dass Bismarck die Reaktionen auf seine Idee in Frankreich voraussieht und einen ›Casus Belli‹ erzwingen will. Gleichzeitig weiß er um den Einfluss der ›Kriegspartei‹ um Kaiserin Eugénie. Diesen Bellizisten will er einen Kriegsgrund auf dem Silbertablett servieren, bei dem er vermeiden kann, als Aggressor dazustehen. Nur so kann er den Bündnisfall mit den süddeutschen Staaten erzwingen. Anders als 1867 wähnt er Preußen und seine Verbündeten im Jahr 1870 für stark genug, um einen Waffengang zu riskieren. Ein wichtiger Hinweis für die Stichhaltigkeit der Annahme, dass Bismarck die Frage der spanischen Thronfolge wohlkalkuliert als möglichen Kriegsgrund vorangetrieben hat, ist eine Depesche an den Gesandten