Название | 1870/71 |
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Автор произведения | Tobias Arand |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955101763 |
Bismarck, der bisher die ganze Entwicklung von seinem Gut Varzin in Hinterpommern aus verfolgt hatte, ist wütend auf seinen König und dessen Rückzieher, den er als Blamage wertet. Gramonts Kriegsbereitschaft ist Bismarck bewusst, aber eine Garantie für den Krieg hat der Kanzler nicht. Er beschließt nun am 12. Juli, nach Berlin zu reisen und die Dinge selber in die Hand zu nehmen. Bismarck hält es wieder für an der Zeit, einen seiner gefürchteten melodramatischen Auftritte hinzulegen. Unter Androhung seines Rücktritts verlangt er die Einberufung des Norddeutschen Reichstags, um dort eine Brandrede gegen Frankreich und indirekt auch gegen seinen, wie er meint, zu laschen König halten zu können. Gleichzeitig trifft sich Bismarck mit den beiden wichtigsten Militärs in Preußen, mit Kriegsminister Roon und dem Chef des Generalstabs, Moltke. Moltke und Roon sind, anders als ihr König, unglücklich über die Wendung, die das Ganze genommen hat. Bismarck berichtete später über Moltke: »Ich erinnere mich, wie er, als die spanische Frage brennend wurde, gleich zehn Jahre jünger aussah. Dann, wie ich ihm sagte, der Hohenzoller habe verzichtet, wurde er sofort alt und müde.«74 Der ersehnte Krieg scheint Roon und Moltke doch noch zu entgleiten.
Doch die Sorgen der drei kommenden Kriegslenker, deren Denkmäler bis heute nördlich der Berliner Siegessäule von der nach 1871 überbordenden Heldenverehrung für die Trias ›Bismarck–Roon–Moltke‹ künden, sind grundlos. Der französische Außenminister kommt ihnen in seinem Ungeschick und seiner Erregung zu Hilfe. Denn nun verlangt Gramont von Wilhelm I. auch noch eine in der Tat ehrverletzende Erklärung. Der König soll versichern, dass nie wieder ein Hohenzoller den spanischen Thron erstreben würde. Benedetti soll vom König persönlich eine solche Erklärung erwirken, die Gramont dann der Kammer in Paris vorlesen möchte. Dem König, der sich so friedensbereit gezeigt hatte und sich nicht in der Rolle sieht, seiner Verwandtschaft in Schwaben kleinlich-anmaßende Vorschriften zu machen, hat für diese weitere Forderung keinerlei Verständnis – zumal er noch immer auf dem Standpunkt steht, dass er ja eigentlich ohnehin nichts mit der ganzen Sache zu schaffen habe.
Am 13. Juli 1870 kommt es schließlich morgens zum entscheidenden Vorfall auf der Promenade von Bad Ems. Bis heute erinnert dort ein Gedenkstein an das Zusammentreffen des Königs mit dem Grafen Benedetti. Benedetti fängt den in Zivil promenierenden König ab und bedrängt ihn wortreich und immer nachdrücklicher, die von Gramont gewünschte Erklärung abzugeben. Der stets auf Form und Würde bedachte Wilhelm ist über das unkonventionelle Vorgehen Benedettis empört, lässt sich aber herab, mit ihm zu sprechen. Den Inhalt und Charakter des Gesprächs teilt er am Nachmittag des Tages seiner Gattin Augusta sichtlich indigniert brieflich mit: »Das große Ereigniß der Tagesfrage ist das alleinige Gespräch, seitdem an diesem Morgen das Cölner Extra Blatt die erste Kunde des Zurücktritts des Thron Candidaten brachte; ich sendete dasselbe sofort auch Benedetti, der mir sagen ließ, daß er die Nachricht bereits gestern Abend aus Paris erhalten hätte. Woraus folgt, daß man es in Paris früher wußte als ich. Er kam auf die Promenade und statt ihn satisfait zu finden, verlangte er von mir, daß ich tout jamais erklären sollte, daß ich nie wieder meine Zustimmung geben würde, wenn etwa diese Candidatur wieder auflebe, was ich natürlich sehr entschieden zurückwies, um so mehr da ich noch keine détails erhalten hätte, und als er immer dringender und fast impertinent wurde, sagte ich zuletzt, mettons que Votre Empereur lui même diese Candidatur aufnähme, so würde ich ja mit meinem geforderten Versprechen ihm entgegentreten müssen! Kurzum: er schien instruiert zu sein, diese Forderung mir abzupressen, die er sogleich nach Paris melden wollte, um mich zu irgend einer officiellen Kundgebung zu veranlassen, die ich bei der ganzen Sache bisher zu vermeiden hatte, aus der bekannten Stellung, die [ich] zu derselben 6 Wochen einzunehmen verpflichtet bin, D. h. als Gouvernement habe ich mit der ganzen Sache nichts zu thun.«75 Der König beschließt nun auf den Rat des preußischen Innenministers Friedrich Graf zu Eulenburg und seinen Beraters, des Geheimen Legationsrats Heinrich Abekens hin, Benedetti nicht mehr zu empfangen. Aus seiner Sicht ist alles gesagt, die Franzosen haben doch ihren Willen erhalten!
Um 13 Uhr empfängt der König endlich eine Kopie der Verzichtserklärung Karl Antons und schickt auch diese, wie schon zuvor die Zeitungsmeldung, an Benedetti. Eine neuerliche Bitte Benedettis auf Audienz weist der König zurück, jedoch nicht, ohne dem Botschafter versöhnliche Worte zu senden. Über seinen Flügeladjutanten lässt der König Benedetti ein kleines Zugeständnis mitteilen, das die französische Seite jedoch nicht mehr zu beruhigen vermag. Benedetti berichtet noch am 13. Juli an Gramont: »[…] daß Se. Majestät keine Schwierigkeiten sehe, mir die Mitteilung zu erlauben, daß er den Rücktritt des Prinzen Leopold gebilligt habe.«76 Wieder hat Benedetti ein Telegramm Gramonts erhalten, dessen neuerliche Forderungen auch mit dem neuen Zugeständnis des Königs nicht zu befriedigen wäre. Benedetti bittet ein drittes Mal um ein weiteres Treffen, erhält aber erneut über den Flügeladjutanten Prinz Radziwill eine Abfuhr.
Nun weist der König seinen Berater in Bad Ems, den Geheimen Legationsrat Heinrich Abeken, an, ebenfalls Bismarck über die Vorgänge zu informieren. Ob willentlich oder nicht, setzt der König nun den letzten bedeutsamen Zug im diplomatischen Spiel in Gang. Das folgende Telegramm gibt den entscheidenden Stoß in Richtung Krieg. Abeken schreibt einen dreiteiligen, verschachtelten Bericht. Im ersten Teil gibt er eine Nachricht wieder, die der König ihm nach dem Treffen auf der Promenade gesendet hat: »Seine Majestät der König schreibt mir: ›Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich solle ihn autorisieren, sofort zu telegraphieren, daß ich für alle Zukunft mich verpflichte, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Candidatur zurückkämen. Ich wies ihn, zuletzt etwas ernst, zurück, da man tout jamais dergleichen Engagements nicht nehmen dürfe noch könne. Natürlich sagte ich ihm, daß ich noch nichts erhalten hätte und da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, daß mein Gouvernement wiederum außer Spiel sei.‹«77 Im zweiten Teil referiert Abeken den weiteren Gang der Ereignisse nach dem vom König geschilderten Zwischenfall: »Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten78 bekommen. Da seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, daß er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe mit Rücksicht auf die obige Zumuthung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen, sondern ihm nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen: daß Seine Majestät jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.«79 Im dritten Teil kommt die eigentlich interessante Botschaft. Der König ermächtigt Bismarck, den Vorgang öffentlich zu machen: »Seine Majestät stellt Eurer Excellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedetti’s und ihre Zurückweisung sogleich, sowohl unseren Gesandten, als in der Presse mitgetheilt werden sollte.«80 Ahnt der König nicht, dass eine Veröffentlichung des Vorgangs seine Friedenspläne durchkreuzen könnte? Will er einer entehrenden französischen Darstellung zuvorkommen? Wie auch immer, Bismarck weiß sofort, was zu tun ist. Das Telegramm wird um 15.10 Uhr an Bismarck versendet, trifft um 18.09 Uhr in Berlin ein und ist bis etwa 20 Uhr entziffert. Es erreicht Bismarck beim Abendessen mit den dumpf vor sich hinbrütenden Roon und Moltke. Bismarck überarbeitet und kürzt das Telegramm und sendet es um 23.15 Uhr an die preußischen Gesandten in den deutschen Ländern, um 2.30 Uhr des 14. Juli geht die als ›Emser Depesche‹ berühmt gewordene Bismarck-Fassung des Abeken-Telegramms