Название | 1870/71 |
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Автор произведения | Tobias Arand |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955101763 |
Die Vertragspolitik Bismarcks zielt nun direkt auf die Verwirklichung der deutschen Einheit. Mit den ehemaligen Kriegsgegnern Baden, Württemberg, Bayern und dem Großherzogtum Hessen werden im August 1866 und im April 1867 ›Schutz- und Trutzbündnisse‹ abgeschlossen. Zwar bestätigen sich in diesen Bündnissen die Vertragspartner wechselseitig und gleichberechtigt die Wahrung der territorialen Integrität, dass hier jedoch eine Siegermacht Besiegten die Regeln diktiert, zeigt ein wichtiges Detail. Im Fall eines Krieges gegen eine dritte Macht wird gegenseitige Militärhilfe versprochen, bei der allerdings der preußische König den Oberbefehl erhalten soll, so auch im preußisch-bayerischen Vertrag: »Es garantiren sich die hohen Contrahenten die Integrität des Gebietes Ihrer bezüglichen Länder, und es verpflichten sich im Falle eines Krieges Ihre volle Kriegsmacht zu diesem Zwecke einander zur Verfügung zu stellen. Art. 2. Seine Majestät der König von Bayern überträgt für diesen Fall den Oberbefehl über Seine Truppen dem Könige von Preußen.«29 Die großherzoglich-hessischen Truppen werden sogar der preußischen Armee eingegliedert.
So dienen die Bündnisse vor allem der Vorbereitung auf den von Bismarck nunmehr gewollten und vorbereiteten Dritten Einigungskrieg gegen Frankreich. Gleichzeitig wird im März 1867 mit Baden eine Militärkonvention abgeschlossen, die dort die Einführung der Wehrpflicht und eine Anpassung an das preußische Militärsystem beinhaltet. Mit den genannten Verträgen kann Bismarck darauf vertrauen, dass im Kriegsfall gegen Frankreich auch die süddeutschen Staaten loyal sein und ihre jeweiligen Regierungen nicht vor eventuellen antipreußischen Gefühlen ihrer Bevölkerung ›einknicken‹ würden. Dass solche ablehnenden Emotionen in Süddeutschland durchaus verbreitet waren, zeigt der ›Mahnruf‹, den Moritz Mohl, Nationalökonom aus Württemberg, 1848/49 Revolutionär, Antisemit und glühender Feind Preußens, 1867 in Stuttgart veröffentlicht. Mohl erkennt und benennt hellsichtig die Absichten Bismarcks, lehnt sie jedoch rundweg ab: »Der sogenannte Allianzvertrag vom Aug. 1866 will die süddeutschen Staaten zum Voraus verpflichten, die Kriege Preußens mitzuführen, ihre Heere im Kriege unter die Befehle des Königs von Preußen zu stellen, mithin diesem Heerfolge zu leisten. Es ist ein Vertrag, welcher Süddeutschland zum Vasallen Preußens macht. […] Er legt unser ganzes Schicksal in den Willen Preußens […].«30 Die ›Schutz- und Trutzbündnisse‹ sollten 1870 die rechtliche Grundlage für den gemeinsamen Kampf von Nord- und Süddeutschland gegen Napoleon und das Second Empire bilden.
Fundamental ist auch der innenpolitische Wandel. Es ist ein bemerkenswerter historischer Zufall, dass am Tag der Schlacht von Königgrätz Tausende Männer ihr Leben oder zumindest ihre Gesundheit lassen, und zugleich am 3. Juli 1866 in Preußen das neue Abgeordnetenhaus gewählt wird. Das Ergebnis ist wie die Schlacht ein Triumph für Bismarck. Unter dem Eindruck der preußischen Siege auf dem deutschen Schauplatz, der Besetzung Holsteins und der radikalen Änderungen in kürzester Zeit wählen die Preußen nun nicht mehr liberal, sondern konservativ. Die Mehrheitsverhältnisse werden zugunsten der Konservativen umgedreht. Es ist dieser nun mehrheitlich konservative Landtag, der mit Bismarck die entscheidenden Weichen stellen wird. Allerdings differenziert sich auch die Zusammensetzung der beiden Lager als jeweils ›liberal‹ und ›konservativ‹. Anlass der Spaltungen innerhalb der Lager ist ein raffinierter Schachzug Bismarcks. Am 14. September 1866 legt Bismarck dem erstaunten Abgeordnetenhaus ein Gesetz vor, das den sperrigen Titel ›Gesetz betreffend die Ertheilung der Indemnität in Bezug auf die Führung des Staatshaushalts vom Jahre 1862 ab und Ermächtigung zu den Staatsausgaben für das Jahr 1866‹ trägt. In diesem Gesetz gibt die Regierung in Artikel 2 zu, seit 1862 ohne rechtliche Grundlage den Haushalt verwaltet zu haben, bittet aber gleichzeitig um Indemnität, also Verschonung vor rechtlicher Verfolgung. Angesichts der Tatsache, dass Bismarck immerhin zwei Kriege geführt und bezahlt hat, ohne über ein legales Budget verfügt zu haben, stellt diese Bitte, seine Politik um den geringen Preis der Zugabe eines ohnehin offensichtlichen Rechtsbruchs rückwirkend zu bestätigen, einen bis zur Unverschämtheit kühnen Schritt dar. So sehen es auch viele der Abgeordneten des preußischen Abgeordnetenhauses. Jedoch erhält Bismarck seine gewünschte Absolution mithilfe abtrünniger Liberaler. Angesichts der Erfolge Preußens und der nun nicht mehr fern scheinenden deutschen Einheit unter Preußens Führung mag manchen die Frage über die Rechtmäßigkeit eines Staatshaushalts kleinlich erscheinen. Dennoch spaltet der Vorgang die Fortschrittspartei. Rechts von ihr entsteht 1867 die ›Nationalliberale Partei‹, die vorbehaltlos Bismarcks Kurs stützen, dabei aber zugleich auf die Einhaltung liberaler Grundideen pochen möchte. Aber sogar unter den Konservativen ist Bismarck umstritten. Vielen gilt er mit Recht als Revolutionär und die Bitte um Vergebung einer Rechtsbeugung erscheint ihnen als etwas, was kein Konservativer mit Anstand, kein Preuße ›von altem Schrot und Korn‹ auch nur in Erwägung ziehen kann. Deutlich wird dies in der scharfen Kritik, die Ernst Ludwig von Gerlach, erzkonservativer, radikal-christlicher Bekämpfer des Liberalismus, Mitglied im preußischen Abgeordnetenhaus und Mitbegründer der ›Kreuzzeitung‹ anonym in einem 1866 veröffentlichten Beitrag gegen seine eigenen konservativen Kollegen schreibt. Ihn treibt die Sorge um den Erhalt des Königtums um: »Um die mehrjährige Regierung ohne Etatsgesetz zu decken, ist ›Indemnität‹ erteilt worden. Die Conservativen haben versucht, den natürlichen Sinn dieses Wortes durch allerlei wohlgemeinte mehrdeutige Redewendungen zu mildern: man sei ›außerhalb‹ der Verfassung gewesen und dergleichen. Die bisherigen Gegner der Regierung dagegen haben den natürlichen Sinn festgehalten, dahin: daß die Regierung vier Jahre lang die Verfassung widerrechtlich verletzt habe. […] Und die Conservativen, die als practische Männer, mit Vergnügen Prinzipien aufgeben für allernächste kleine Erfolge, sind mit wenigen Ausnahmen nicht unzufrieden mit solcher Behandlung, soweit das ›Bravo rechts‹ einen Schluß erlaubt. Man sollte sie statt: practische Männer, lieber kurzsichtige Männer nennen. Gern haben unter diesen Umständen die Gemäßigteren unter den bisherigen Gegnern der Regierung Indemnität gewährt; sie haben eben dadurch das ihnen bisherig bestrittene Recht ausgeübt und finden dadurch bestätigt, was sie 1862–1866 behauptet haben und eben so lange conservativerseits ihnen bestritten worden ist, daß nämlich allein das Abgeordnetenhaus allein endgültig zu bestimmen habe, welche Ausgaben nicht dürfen geleistet werden […]. Dieser angeblich ›theoretische‹ Streit ist derselbe Streit, der das gesammte neunzehnte Jahrhundert bisher durchdrungen hat […]. Wer ihn ›unerquicklich‹ findet, beweist damit, daß er es nicht als Ehre und Freude empfindet, das Vaterland und besonders unser Königthum zu verteidigen gegen seine inneren Widersacher.«31 Vielen anderen Konservativen gilt Bismarck indes als nationaler Heilbringer. So gründet sich links von den Altkonservativen die ›Freikonservative Partei‹, die Bismarcks ›sans phrase‹ unterstützt. Auch die Mehrheit der Katholiken im Abgeordnetenhaus, die bisher ›großdeutsch‹ dachten und es mit dem katholischen Österreich gehalten hatten, macht nun ihren Frieden mit Bismarck. Opposition von links kommt noch von einigen Mitgliedern aus der Fortschrittspartei, von rechts von den Altkonservativen. Zwar haben sich Radikaldemokraten und altpreußische Konservative wenig zu sagen, in der Ablehnung des umstürzlerischen Kanzlers sind sie sich, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, einig. Allerdings verkennen sie die Zeichen der Zeit, die nicht mehr auf freiheitliche Ideale oder die Bewahrung alter Traditionen setzt, sondern den nationalen Aufbruch herbeisehnt. Den neuen Pragmatismus der Macht um der Einheit willen fasst der Nationalliberale Johannes Miquel in einer programmatischen Erklärung zusammen: »Die Zeit der Ideale ist vorüber. Die deutsche Einheit ist aus der Traumwelt in die prosaische Welt der Wirklichkeit hinuntergestiegen. Politiker haben heute weniger zu fragen, was wünschenswert, als was erreichbar ist […].«32
Die Stimmen der Opposition dringen in Preußen so immer weniger durch. Dass dafür manches aufgegeben werden muss, wofür 1848/49 noch gekämpft wurde, sehen viele Bismarck-Jünger durchaus, schätzen diesen Verlust aber geringer ein als den möglichen Gewinn einer deutschen Einheit. Dass sich viele dieser parlamentarischen Anhänger des Kanzlers als Geschäftsleute auch wirtschaftliche Fortschritte von der deutschen