1870/71. Tobias Arand

Читать онлайн.
Название 1870/71
Автор произведения Tobias Arand
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955101763



Скачать книгу

Truppen räumen Holstein kampflos. Am 10. Juni fordert Bismarck dann mit einem weiteren vermeintlichen Reformvorschlag zur Bundesverfassung den Ausschluss Österreichs aus dem ›Deutschen Bund‹. Nun reagiert Österreich auf den Affront wie gewünscht. Am 14. Juni 1866 beschließt der ›Deutsche Bund‹ auf Antrag Österreichs den Kriegszustand mit Preußen. Alle großen deutschen Staaten stehen auf der Seite Österreichs und kommen damit ihrer vertraglich festgeschriebenen Bundespflicht nach. Nur einige kleinere deutsche Fürstentümer in Nord- und Mitteldeutschland sowie die hanseatischen Stadtstaaten halten mehr oder weniger freiwillig zu Preußen. Preußen tritt am selben Tag aus dem ›Deutschen Bund‹ aus. Formal handelt sich damit beim sogenannten ›Deutschen Krieg‹ um einen von Bismarck mutwillig vom Zaun gebrochenen Kampf Preußens gegen den ›Deutschen Bund‹ und seine vertragstreuen Staaten. In der offiziellen preußischen Proklamation zum Kriegsbeginn vom 16. Juni 1866 klingt das selbstverständlich anders: »Nachdem der ›Deutsche Bund‹ ein halbes Jahrhundert lang nicht die Einheit, sondern die Zerrissenheit Deutschlands dargestellt und gefördert, dadurch längst das Vertrauen der Nation verloren hatte und dem Auslande als die Bürgschaft der Fortdauer deutscher Schwäche und Ohnmacht galt, hat er in den letzten Tagen dazu mißbraucht werden sollen, Deutschland gegen ein Bundesmitglied in die Waffen zu rufen, welches durch den Vorschlag der Berufung eines deutschen Parlaments den ersten und entscheidenden Schritt zur Befriedigung der nationalen Forderung gethan hatte. Für den von Österreich erstrebten Krieg gegen Preußen fehlte jeder Anhalt in der Bundesverfassung. Wie jeder Grund oder auch nur scheinbare Vorwand.«22 Den ›preußischen Musketieren‹, deren Opferung Bismarck 1850 noch so vermeintlich kritisch gegenüberstand, aber auch den anderen Deutschen soll dieser Bruderkrieg als Kampf für die nationale Einheit schmackhaft gemacht werden. Weiter heißt es in der Proklamation: »Indem das preußische Volk zur Erfüllung dieser Pflicht seine Gesamtkraft aufbietet, bekundet es zugleich den Entschluss, für die im Interesse einzelner bisher gewaltsam gehemmte nationale Entwicklung Deutschlands den Kampf aufzunehmen.«23 Erst zu Beginn dieses Zweiten Einigungskrieges wird auf diese Weise Preußens Anspruch auf Führung in der militärischen Lösung der ›deutschen Frage‹ formuliert. Was das nationale Pathos der Proklamation verschweigt, ist der Umstand, dass dieser Krieg auch für massive Wirtschaftsinteressen geführt wird. Die Schwerindustrie verspricht sich von einer ›kleindeutschen‹ Lösung die Ausschaltung der österreichischen Konkurrenz bei gleichzeitiger Vereinheitlichung des Wirtschaftsraums. Stahl- und Kohlebarone kaufen vor Kriegsbeginn dem preußischen Staat ein Aktienpaket der ›Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft‹ ab und helfen mit 13 Millionen Talern kräftig bei der Finanzierung des Krieges mit.

      Wieder zeigt sich die Überlegenheit der deutschen Rüstungsindustrie. Mit den kleineren Mächten, deren Truppen sich Preußens Regimentern in Mittel- und Süddeutschland entgegenstellen, wird ›kurzer Prozess‹ gemacht. Zwar erleiden die preußischen Truppen bei Bad Langensalza gegen das Königreich Hannover eine Niederlage, die wegen der hohen gegnerischen Verluste aber dennoch zur Kapitulation Hannovers führt. Mit Siegen in Mainfranken gegen bayerische und württembergische Bundestruppen gerät der deutsche Kriegsschauplatz schnell in die Hände Preußens und seiner Verbündeten. Die entscheidende Schlacht findet auf österreichischem Territorium, in Böhmen, statt. Unter Führung Helmuth von Moltkes, Chef des preußischen Generalstabs, hat die preußische Armee ihre Schlüsse aus den Ereignissen des Amerikanischen Bürgerkriegs gezogen und nutzt gezielt die Eisenbahn zur Truppenbewegung. Getrennt marschieren die preußischen Truppen, taktisch hervorragend geschult und hoch diszipliniert, ins österreichische Böhmen ein, um dann gemeinsam am 3. Juli 1866 bei Königgrätz (heute Hradec Králové, Tschechische Republik) zuzuschlagen. Entscheidende Vorteile der preußischen Truppen sind eine moderne Artillerie und vor allem das Zündnadelgewehr. Diese Waffe ist ein – allerdings noch fehleranfälliger – Hinterlader, der anders als das österreichische Vorderladergewehr im Liegen oder Knien geladen werden kann und so dem Infanteristen die Möglichkeit zum Schutz im Gelände bietet. Mit Preußens Sieg ist der Krieg entschieden, ebenso Österreichs Ausscheiden aus dem ›Deutschen‹ Bund. Nüchtern betrachtet der Gesellschaftstheoretiker und Kommunist Friedrich Engels das Ganze mit scharfem Blick auf die Rolle der Rüstungswirtschaft in einem Schreiben an Karl Marx vom 9. Juli 1866: »Die einfache Tatsache ist: Preußen hat 500 000 Zündnadelgewehre und die übrige Welt keine 500.«24 Das Kommende sieht Engels ebenfalls schon: »Unter 2, 3, vielleicht 5 Jahren kann keine Armee mit Hinterladern bewaffnet sein. Glaubst Du, daß Bismarck den Moment nicht ausnutzen werde?«25

      Etwa 1,4 Millionen Soldaten hatten Preußen und seine Verbündeten, Österreich und die Bundestruppen sowie Italien auf die Schauplätze des Krieges geschickt. Etwa 100 000 Mann wurden getötet oder verwundet. Allein die Schlacht bei Königgrätz – in Frankreich ist die Schlacht bis heute nach dem leichter auszusprechenden Örtchen Sadowa benannt – kostete an Verlusten 30 000 Mann, darunter ca. 8000 Gefallene.

      Auch wenn Österreich Italien militärisch besiegt hatte, verlor es den Zweifrontenkrieg insgesamt. Die mangelnde Kampfkraft der Verbündeten auf dem deutschen Kriegsschauplatz, die verheerende Niederlage auf böhmischem Boden, die technische wie taktische Unterlegenheit gegen Moltkes weit überlegenen Generalstab und die Belastungen eines gleichzeitigen Kampfes in Nord und Süd hatten Österreich in die Knie gezwungen. Die Folgen sind tief greifend oder, wie es der Kardinal Giacomo Antonelli, Leiter der vatikanischen Außenpolitik, etwas überspitzt formuliert: »Die Welt stürzt ein.«26 Ähnlich dramatisch sieht Bismarck die Folgen. Er will dabei aber nicht passiv erleben, sondern aktiv gestalten: »Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.«27 Er strebt nun gezielt die deutsche Einheit an.

      Mit Österreich schließt Preußen auf Drängen Bismarcks einen milden Frieden. Seinem König Wilhelm I. redet Bismarck in wieder einmal tränenreichen, mit beiderseitigen Wutanfällen geführten Auseinandersetzungen einen Triumphmarsch nach Wien und jeden Landgewinn aus. Preußen, der eigentliche Sieger, erzielt keine Landgewinne, während der militärisch unterlegene ›Waffenbruder‹ Italien das Veneto erhält. Mit dem Friedensvertrag, der am 23. August 1866 in Prag geschlossen wird, beerdigen Preußen und Österreich den ›Deutschen Bund‹. In Artikel IV des Friedensvertrages heißt es lapidar, aber in den Folgen gravierend: »Seine Majestät der Kaiser von Österreich erkennt die Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes an und giebt Seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des Österreichischen Kaiserstaates.«28 Österreich zahlt darüber hinaus eine verhältnismäßig bescheidene Kriegsentschädigung. Die Frage des deutschen Dualismus ist entschieden. Jetzt muss nur noch die ›kleindeutsch‹-protestantisch-preußische Einigung vollzogen werden. Die Milde gegenüber Österreich hat in erster Linie zwei rein taktische Gründe: 1. Im nächsten Krieg wäre aus Bismarcks Sicht die Mitarbeit Österreichs oder wenigstens eine wohlwollende Neutralität wünschenswert. 2. Bismarck ist sich der französischen Ambitionen bewusst. Die Gefahr, dass Napoleon bei einem zu offensichtlichen preußischen Triumph doch noch zugunsten Österreichs eingreifen könnte, um das für ihn vermeintlich so ertragreich-lähmende deutsche Gleichgewicht zu erhalten, sieht Bismarck allzu deutlich. Der Waffenstillstand mit Österreich wird schließlich Wiens Wünschen entsprechend unter französischer Vermittlung geschlossen. Napoleon III., von den Fakten der schnellen preußischen Siege überrumpelt, akzeptiert die Bedingungen Bismarcks – Ausschluss Österreichs aus dem ›Deutschen Bund‹, preußische Annexionen in Nord- und Mitteldeutschland, Anschluss Schleswigs und Holsteins an Preußen –, drängt aber erfolgreich auf Einhaltung der Mainlinie als Grenze des preußischen Einflussbereichs. Noch sieht sich Bismarck nicht stark genug für einen Kampf gegen Napoleon. Trotz dieses kleinen diplomatischen Teilerfolgs ist Napoleon III. durch die so rasanten wie überraschenden Ereignisse des Jahres 1866 vollständig düpiert. Vor der französischen Öffentlichkeit steht Napoleon mit leeren Händen da.

      Vor dem Krieg gegen Dänemark konnte, wie schon gezeigt, nicht von einem konzisen Plan Bismarcks zur militärischen Reichseinigung ausgegangen werden. Sein Handeln nach dem Sieg gegen Österreich hingegen zeigt planvolle Züge und ein erkennbares Hinarbeiten auf die ›kleindeutsche Lösung‹. Ein erster Schritt hierzu ist die ›Arrondierung‹ des verstreuten preußischen Staatsgebietes. In diesem Zusammenhang bewahrheitet sich Friedrich