Название | 1870/71 |
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Автор произведения | Tobias Arand |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955101763 |
Durch Schikanen gegen Beamte, die der Fortschrittspartei angehören, und eine im Juni 1863 verhängte, verfassungswidrige Presseverordnung, die das Verbot regierungskritischer Zeitungen ermöglicht, gießt der ›Konfliktminister‹ Bismarck zusätzlich Öl ins Feuer der politischen Erregung. Allerdings versucht Bismarck mit der autoritären Presseverordnung ebenfalls die zahlreichen persönlichen Beleidigungen, die ihm durch oppositionelle Zeitungen widerfahren, zu unterbinden. Am 22. Mai 1863 richtet das liberal dominierte Abgeordnetenhaus eine scharfe Note an den König: »Das Haus der Abgeordneten hat kein Mittel der Verständigung mehr mit diesem Ministerium.«18 Der König löst wie bereits im Vorjahr den Landtag auf, obgleich die Wahlperiode eigentlich drei Jahre beträgt. Die Neuwahlen stärken jedoch erneut die liberale Mehrheit. Im November 1863 bringt das neu gewählte Abgeordnetenhaus als erste Amtshandlung Bismarcks verhasste Presseverordnung zu Fall. Die Ankündigung des Königs, das Abgeordnetenhaus so lange auflösen und neu wählen zu lassen, bis eine ihm genehme Zusammensetzung erreicht sei, beruhigt die Gemüter nicht gerade. Bismarck selbst erinnert sich später selbst dramaturgisch überspitzt an die Aufgeregtheiten dieser Zeit. König Wilhelm soll zu ihm im Oktober 1862 gesagt haben: »Ich sehe ganz genau voraus, wie das alles endigen wird. Da, vor dem Opernplatz, unter meinen Fenstern, wird man Ihnen den Kopf abschlagen und etwas später mir.«19
Das gewollte Scheitern – Der ›Fürstentag‹ 1863
Eine Chance für Bismarck, von den innenpolitischen Schwierigkeiten Preußens, vom offen vorliegenden Verfassungsbruch und dem harten Kampf gegen die liberale Opposition abzulenken, bietet ihm die Außenpolitik. Insbesondere der stets schwelende Konflikt mit Österreich soll nun in den Mittelpunkt rücken. In gewisser Weise beginnt schon 1863 der Prozess, der zur ›kleindeutschen‹ Einheit führen wird.
Im ›Deutschen Bund‹ streiten zu diesem Zeitpunkt drei wichtige Konzepte über die Zukunft eines künftigen Reichs. Große Teile des liberalen und überwiegend protestantischen Bürgertums in den nordund mitteldeutschen Staaten streben einen deutschen Nationalstaat unter Ausschluss Österreichs an. Diese ›kleindeutsche‹ Nationalbewegung nimmt dabei eine zwangsläufige starke Dominanz Preußens im zu schaffenden Reich in Kauf. Von Preußen soll diese nationale Einigung auch ausgehen. Organisiert ist die ›kleindeutsche‹ Nationalbewegung im ›Deutschen Nationalverein‹, der aus Liberalen und gemäßigten Demokraten besteht. Vorbild des Nationalvereins ist die italienische ›Società Nazionale‹. Die nationale Einigung Italiens der Jahre 1859/60, die im Zusammenwirken von liberalem Bürgertum und dem Königreich Sardinien-Piemont in blutigen Kriegen erkämpft wurde, hat gezeigt, wie ein Erfolg versprechender Weg auch für Deutschland aussehen konnte.
Die ›großdeutsche‹ Bewegung hingegen, die vor allem von süddeutsch-katholischen Liberalen, einigen Konservativen und alten Revolutionären der Jahre 1848/49 getragen wird, steht für ein Reich unter Einschluss des deutschsprachigen Teils von Österreich.
Doch auch Befürworter des Status quo sind anzutreffen. Sie wünschen, dass alles so bleibt, wie es ist. Diese christlich geprägten ›Ultra-Konservativen‹ lehnen jeden Umsturz aus Prinzip ab, wünschen sich zum Teil vorrevolutionäre Feudalverhältnisse zurück, halten soziale Ungerechtigkeiten für gottgewollt und stehen konsequenterweise der Nationalstaatsidee als einer der Haupterrungenschaften der Französischen Revolution kritisch gegenüber. Sie besitzen mit der ›Neuen Preußischen Zeitung‹, auch ›Kreuzzeitung‹ genannt, ein wirkmächtiges Publikationsorgan, das auf die öffentliche Meinung – und damit zugleich auf die Politik – großen Einfluss nimmt. Bismarck steht in vielen seiner politischen Überzeugungen diesen Konservativen nahe, ist er doch vielmehr preußischer als deutscher Patriot und sicher kein Freund liberaler Umstürzler. Allerdings fürchtet er den mangelnden Pragmatismus dieser Kreise.
Bismarck ahnt aber auch anders als viele andere Konservative, dass es zwischen den beiden großen Nationalstaatskonzepten eines Tages eine Entscheidung geben und der Status quo nicht aufrechtzuerhalten sein wird. Wichtig ist ihm dabei die Sicherstellung einer Hegemonie Preußens, die nur durch die ›kleindeutsche‹ Lösung, also ohne Österreich und damit nur gegen Österreich, zu erreichen sein wird. Dass diese Entscheidung schließlich durch drei Kriege herbeigeführt werden muss, kann er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Allerdings ist ihm sicher bewusst, dass der Sinn der Heeresreform unter anderem darin liegt, eine Arrondierung des preußischen ›Streuterritoriums‹ durch militärische Mittel zu ermöglichen. Moralische Skrupel, diese Mittel bei günstiger Gelegenheit auch einzusetzen, sollte man Bismarck sicher nicht unterstellen. Anders als es die sogenannte ›borussische Geschichtsschreibung‹ eines Heinrich von Treitschke und anderer Bismarckverehrer nach 1871 glauben machen wollte, besitzt der preußische Ministerpräsident 1863 noch keinen ›Masterplan‹ auf dem Weg zur ›kleindeutschen‹ Einheit. Doch auch ohne diesen Plan weiß Bismarck, Gelegenheiten zu erkennen und taktisch zu nutzen. Erst in der Rückschau erscheint es reizvoll, in diesem Taktieren eine Strategie von Beginn an erkennen zu wollen.
Vor dem Hintergrund der widerstreitenden Konzepte bekommt eine Initiative Österreichs zur Reform des Deutschen Bundes große Bedeutung. Der noch kurz vor Bismarcks Amtsübernahme lancierte Reformplan sieht vor, die Bundesorgane deutlich zu stärken und ein fünfköpfiges Gremium, ›Direktorium‹ genannt, an die Spitze zu setzen. Den Vorsitz des ›Direktoriums‹ soll Österreich erhalten. Ebenfalls soll es eine ›großdeutsche‹ Nationalvertretung geben. Mit diesem Vorschlagspaket, welches das Potenzial eines ersten Schritts zu einem Nationalstaat hat, versucht Österreich, einen wichtigen Angriffszug im Schachspiel um die Führungsrolle im künftigen Reich zu platzieren. Nicht zufällig fällt dieser Angriff in einen Moment, in dem Österreich Preußen durch den Verfassungskonflikt im Inneren gelähmt wähnt. Über den Reformplan soll nach Einladung des österreichischen Kaisers im August 1863 in Frankfurt am Main auf einem ›Fürstentag‹ abgestimmt werden. König Wilhelm, immer um korrektes Auftreten und die Einhaltung von Vorschriften bemüht, sieht eine Reise zum ›Fürstentag‹ als seine Pflicht an. Schließlich kann man als König doch nicht einem Kaiser eine persönlich überreichte Einladung abschlagen! Bismarck sieht in der Einladung aber eine Falle: Reist der König dorthin, erkennt er bereits die Initiative Österreichs als diskussionswürdig an und bringt Preußen damit in die Defensive. Eine Annahme des österreichischen Plans betrachtet Bismarck als Katastrophe, würden doch damit aus seiner Sicht alle preußischen Hegemonialpläne hinfällig. Bismarck bringt pro forma radikale, geradezu demokratische Gegenvorschläge ins Spiel, die wie erwartet und erwünscht von Österreich abgelehnt werden. Dennoch gelingt es Bismarck nur mühsam, seinen König von der Reise abzuhalten und die Pläne Österreichs damit ins Leere laufen zu lassen. Ohne die Anwesenheit Preußens in Frankfurt ist jeder Beschluss des lange beratenden ›Fürstentags‹ wertlos. Die dramatischen Gespräche Bismarcks mit dem häufig widerstrebenden König, die Rücktrittsdrohungen, Wutanfälle, Tränenausbrüche und psychologischen Manipulationstricks, die der Ministerpräsident anwenden muss, um seinen Willen zu bekommen, geben bereits jetzt ein Muster für die folgenden, nicht weniger konfliktreichen Jahre ab, in denen das Verhältnis des emotionalen Königs und seines treuen, aber ebenso reizbaren Paladins noch häufiger auf harte Proben gestellt werden soll. In Frankreich werden beide einige Jahre später ihre Konflikte bis an den Rand der psychischen und physischen Erschöpfung austragen. Bismarck wird allerdings letztlich immer seinen Willen bekommen …
Der Erste Einigungskrieg – Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864
Bereits im Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg, der von 1848 bis 1851 dauerte, hatten Deutsche und Dänen um die Stellung der Herzogtümer Schleswig und Holstein gerungen. Damals siegte noch Dänemark. Durch das ›Londoner Protokoll‹ von 1852 wurden die künftigen Verhältnisse der Herzogtümer geregelt. Preußen und Österreich waren neben Frankreich, England, Russland, Schweden und Dänemark Signatarmächte des Protokolls und damit für die Einhaltung der vereinbarten Regeln verantwortlich.
1863 bricht der Konflikt erneut auf und gibt Bismarck eine weitere Gelegenheit, mit Außenpolitik von inneren Schwierigkeiten abzulenken. Holstein und das kleinere Herzogtum