Nano: Lüneburg. Oliver Borchers

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Название Nano: Lüneburg
Автор произведения Oliver Borchers
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946381969



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die Waffe mehrmals in die Richtung, in der er die Menschen vermutete. Er spießte nur eine Dose auf, die er zur Seite schleuderte.

      Die Fragmente auf der Blechkapsel, die er in der Halle gefunden hatte, stammten vom Top-Agenten. Zumindest hatte der sie in den Händen gehalten. War der zweite Mensch derjenige, den er suchte?

      Einige der Bots, die seine Klinge bildeten, verloren Kontakt zu ihm. So etwas geschah immer wieder, vor allem wenn er Kraft in seine Angriffe steckte. Diesmal jedoch versagten zu viele Einheiten.

      Verwirrt hob er die Klinge vor seine optischen Sensoren. Wie in Zeitraffer bröckelten einige Stellen entlang der scharfen Schneide ab, entstanden rostähnliche Markierungen.

      Feindliche Nanobots!

      In dieser Sekunde hörte er das zischende Geräusch, das er in der Lagerhalle schon gehört hatte. Sofort stieß er mit der Klinge zu.

      Seine Bewegung stockte, ging zur Seite, weit weg von dem Punkt, den er treffen wollte. Wieder zerbarst nur Müll, der gegen die Wand geschleudert wurde.

      Seine Systeme erfassten immer mehr interne Fehlfunktionen, und er erkannte, dass er die Suche bald abbrechen musste.

      In dem Moment beleuchtete das blau-rote Licht der menschlichen Gesetzeshüter die Umgebung. Ein Wagen zwängte sich in die Gasse. Sie hatten schneller reagiert als erwartet. Er seufzte. Den zeitgleichen Kampf gegen Bots und Polizei konnte er nicht gewinnen.

      »Ich werde euch finden. Bald.« Dann drehte er sich um, wankte fort. Er ignorierte seine internen Warnsignale, die mittlerweile ohne Unterbrechung aufleuchteten. Er wusste, er würde mit den fremden Bots fertigwerden. Später.

      Bevor er sein Tarnfeld aktivierte, glaubte er eine weibliche Stimme zu hören. Er blickte zurück, doch da flackerte die interne Verbindung zu seinen optischen Sensoren und sein Tarnfeld drohte zu versagen.

      Schnell begab er sich in einen verlassenen Hinterhof. Seine Systeme hatten inzwischen eine Schwachstelle in der Kampftechnik der Eindringlinge entdeckt und begannen mit der Säuberung.

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      Meine Hand umschloss die kühle Messingklinke und drückte sie hinunter. Ich versetzte der Tür einen Stoß, sie ging langsam auf und gab ein knarrendes Geräusch von sich.

      Plötzlich änderte sich das Knarren und verwandelte sich in eine tiefe Stimme. Irgendjemand schüttelte mich grob.

      »Ela está a acordar. Pergunta a gaja! Rápido!«

      Verzweifelt kämpfte ich gegen diese unangenehme Stimme an. Ich wollte nicht fortgezogen werden von dem Haus mit der Messingklinke.

      Da küssten mich weiche Lippen.

      »Liebes! Du musst aufwachen! Jetzt!«

      Zarte Gefühle ließen meinen Widerstand bröckeln. Ich öffnete die Augen. Es war dunkel und feucht, die Dämmerung war hereingebrochen, es nieselte.

      Cara beugte sich über mich und strich mir die Haare aus den Augen.

      »Wusste ich doch, dass du nicht so sehr auf Grobheit reagierst«, sagte sie. »Was ist mit dir passiert, Liebes? Und vor allem – wo ist Kern?«

      Der Mann neben ihr, ein Dunkelhaariger mit Dreitagebart und grauen Augen, bewegte seinen Kopf hin und her, als erwartete er jeden Moment einen Angriff. In seinen Händen hielt er ein riesiges Gewehr.

      »Anda, responde!«, zischte er in meine Richtung. »Wo ist Kern? Wir müssen weg hier!«

      Die Erinnerungen an den Angriff des Wesens kehrten mit einem Schlag zurück. Ich schrie und wollte aufstehen, doch meine Beine bewegten sich keinen Zentimeter. Frustriert schlug ich auf das Knie. »Verfluchtes Teil, verdammtes Scheißding!«

      Da bemerkte ich, dass mein Unterkörper mit Blut beschmiert war, und ich erstarrte. Meine Schmerzen aber waren so wie immer, es konnte also nicht meines sein.

      »Kern!«, rief ich und blickte mich um. Der Boden um mich herum war bedeckt mit frischem Blut, Betonwand und Abfall waren mit Flecken besudelt.

      Ein paar Meter weiter flutete Blaulicht aus dem Inneren eines zerbeulten Lieferwagens, wahrscheinlich der von Caras Begleiter.

      Ich ignorierte diese schlechte Nachahmung eines Polizeiwagens und konzentrierte mich auf die Blutspur.

      Cara schüttelte den Kopf. »Das Blut führt nirgendwohin. Hast du gesehen, ob Kern von diesem Ding in dem hässlichen Anzug fortgetragen wurde?« Cara zeigte in Richtung Sackgasse. Dort drang dichter Qualm aus dem Lager und dem darüberliegenden Büro.

      Caras Begleiter musterte mich mit einem Gesichtsausdruck voller Ungeduld und Abscheu.

      »Ich … Ich weiß nicht. Möglich ist es schon.«

      »Bem. Vamos! Wir müssen ihnen folgen, bevor Kern stirbt.«

      Der Mann zerrte an Cara, doch die schüttelte seine Hand ab.

      »Espera um momento, José!«, herrschte sie ihn an. Dann musterte sie mich mit einem traurigen Ausdruck und streichelte mir über die Wange. »Liebes, ich muss los. Wie du bemerkt hast, bin ich jetzt bei den Portugiesen. Du wirst mich nicht mehr bei diesen Drecksäcken Insomnia und Large sehen. Ich komme nicht wieder.«

      Ich war erstarrt, schluckte schwer. Trotz allem war Cara für mich eine Freundin. Die einzige, die ich noch hatte. Ich ergriff ihre Hand und drückte sie.

      »Vamos!«, rief der Mann – diesmal mit Nachdruck.

      Cara zog ihre Hand zurück. »Mach es gut, Liebes. Pass auf dich auf!« Dann drehte sie sich um und eilte hinter dem Mann her, der ihr einen Schwall Wörter an den Kopf warf, die sich nicht freundlich anhörten.

      In diesem Moment ertönte in der Nähe das Signal von Polizeisirenen. Ich musste hier weg. Und zwar schnell! Die Polizei würde sich keinen Deut um die Rechte einer Süchtigen scheren, die sich direkt an einem Tatort aufhielt.

      Benommen richtete ich mich auf und humpelte am Lieferwagen vorbei. Das Blaulicht warf verwirrende Lichter an die Wände und auf die Menschen, die sich schemenhaft aus der Dunkelheit schälten. Die Explosion hatte Neugierige angelockt. Ich verbarg mein Gesicht, indem ich meinen Kopf zur Seite drehte. Trotzdem sahen mich Dutzende Menschen, einige von ihnen schossen Fotos von mir. Fluchend schmierte ich mir mehr Blut ins Gesicht, um mich für Fahndungsaufnahmen unkenntlich zu machen, und beeilte mich fortzukommen.

      Als ich um die Ecke bog, rauschte plötzlich ein Gleiter vorbei, so nah, dass ich den Wind spürte, den seine Hover-Triebwerke erzeugten. Ich stolperte und prallte gegen jemanden, der neben mir stand.

      In dem Moment eröffnete der Gleiter das Feuer. Die Menschen um mich schrien auf und warfen sich zu Boden. Ich stolperte vorwärts, wagte es nur kurz, zurückzublicken.

      Die Geschosse schlugen weit hinter mir ein. Etwas explodierte, die Blaulichter des Lieferwagens in der Gasse erloschen. Ich zögerte, als Gegenfeuer aufbrandete und dann abrupt stoppte.

      Es trafen jetzt immer mehr Polizeigleiter ein, und ich wusste, dass der Bereich jeden Moment gesperrt werden würde.

      Mein Knie ächzte und schnaufte, während ich forteilte, fort von diesem Ort, fort von Cara, die wahrscheinlich schon nicht mehr lebte.

      Der Verkehr an Gleitern, Bodenfahrzeugen und Fußgängern war auf der Hauptstraße hoch, deshalb bog ich ein paar Kreuzungen weiter in eine ruhige Seitenstraße.

      Hier herrschte die typische Berliner Trostlosigkeit, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte. Nur jede vierte Straßenlaterne funktionierte, ein paar Neonleuchten warben für Synth-Bier mit niedrigem Mikroplastikanteil. Andere Reklamen versprachen schnelle Befriedigung. Ausgebrannte Fenster starrten mich an, Graffiti-Zeichnungen markierten die Reviere mehrerer Banden.

      Ich blickte zurück, vergewisserte mich, dass mir niemand gefolgt war. Dann eilte ich zu einem ehemaligen Virtual-Reality-Studio, das nach dem Nano-Schock aufgegeben worden war, und zwängte mich durch eine halb eingeschlagene