Nano: Lüneburg. Oliver Borchers

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Название Nano: Lüneburg
Автор произведения Oliver Borchers
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946381969



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Jungs nur um meine Masken reißen, Süße. Sie schätzen deine Arbeit mindestens ebenso. Sieh es so – ich habe Large abbekommen, den primitivsten dieser Hurensöhne. Und du, wen hast du bekommen?«

      Ich atmete tief aus. »Du meinst Kern. Aber …«

      »Genau, Kern. Der sieht nicht nur gut aus, der hat auch Klasse, Steam, Liebes! Und wenn ich mich nicht ganz täusche, ist der nicht nur an deiner Arbeit interessiert, sondern wäre auch über ein wenig mehr Zuwendung froh.«

      »Cara, lass es gut sein, bitte!«, sagte ich und deutete auf die Tür, hinter der schwere Schritte zu hören waren. Ich beugte mich vor und flüsterte: »Was sollte Kern von einer wie mir schon wollen, hm?« Ich klopfte gegen den steifen Mittelfinger meiner linken Hand, ein altes bionisches Teil, das vor langer Zeit seinen Dienst eingestellt hatte. »Nur Blech und Schmerzmittel! Was sollte er damit anfangen?«

      Mitleidig fuhr Cara über die tiefen Falten in meinem Gesicht, die Unmengen von AS-X dort gegraben hatten. »Wenn du noch ein paar Masken herstellst, wirst du irgendwann das alte Zeug aus deinem Körper loswerden und brauchst dann auch keine Schmerzmittel mehr.«

      Während jemand geräuschvoll das Türschloss entriegelte, lachte ich bitter und schüttelte den Kopf. Nur noch ein paar Masken! Das Einkommen von Maskenbauern war nicht schlecht, aber die Anzahl der bionischen Elemente in meinem Körper so groß, dass ich mindestens vierhundert Jahre arbeiten müsste, um sie entfernen lassen zu können. Ich wusste allerdings auch, dass mein zentrales Nervensystem dem AS-X höchstens noch ein paar Jahre standhalten würde. Danach würde ich, wie die meisten Alt-Bionikjunkies, in den Unterseekompostanlagen landen – verstümmelt und ziemlich tot, nachdem Recycler meine Metalle entfernt hatten.

      Ich atmete tief durch und zog die Maske kräftig auseinander, sodass sie aussah wie ein Außerirdischer mit schmerzverzerrtem Mund. Das Implantat in meinem Mittelfinger riss heftig am Fingerknochen. Das graue Metall, vor langer Zeit von Nanobots mit meinem Knochen verschmolzen, war so modifiziert worden, dass es von meinen Zellen nicht abgestoßen wurde. Eine feine Hautschicht zog sich bis zu dem Punkt, an dem der Fingernagel beginnen würde. An seiner Stelle befand sich eine graue, konisch geformte Metallspitze, die aus Abertausenden stillgelegten Nanobots bestand. Sie waren ineinander verschränkt und viel zu klein, als dass einzelne Exemplare erkennbar wären. Diese Bots konnten einst Formen und Farben bilden, ganz nach den Wünschen meines jüngeren Ichs. Heute war von dieser wunderbaren Flexibilität nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, das steife Implantat war immer im Weg und verursachte Schmerzen.

      Ich legte die Maske wieder hin.

      Jemand hinter mir schnaubte.

      »Das hab ich mir doch gedacht. Ihr Weiber sabotiert die Dinger auf eure beschissen hinterlistige Art. Ein kleiner Mikrobruch hier, ein Mikrobruch da … und schon sabbert die Maske mitten im Einsatz, richtig?«

      Ich konnte den widerlichen Atem von Large hinter mir spüren. Zu viel Synthohol und billige Protein-Algen. Ich ließ die Maske los und drehte mich um.

      Large war der größte und kräftigste Mann, den ich kannte. Über zwei Meter, seine Kleidung martialisch, mit Leder und Metall versehen, die Augen hinter einer breiten Sonnenbrille versteckt. Normalerweise umspielte ein arrogantes Lächeln seine Lippen, heute waren sie schmal wie Striche. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Irgendetwas hatte ihn richtig wütend gemacht, und es war bestimmt nicht das harmlose Dehnen der Maske.

      »Wie immer ist Logik nicht deine Stärke, Large«, sagte ich und bemühte mich, meinen Tonfall nicht ganz so ätzend klingen zu lassen. »Warum sollten wir die Einsätze sabotieren, wenn wir doch abhängig von den Coins sind, die ihr Jungs da draußen verdient?«

      Cara schien die Wut des Mannes ebenso zu spüren und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Apropos Einsatz – Large, Süßer, schau dir mal die Maske an, die ich für den morgigen Einsatz in der Versicherung fertiggestellt habe! Die Tussis im Büro werden dir reihenweise zu Füßen liegen …«

      Larges massiger Körper bewegte sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit um den Tisch, seine Hand knallte gegen Caras Mund. »Halt dein Maul!« Larges Stimme zitterte, als er sich über sie beugte. »Deine Freundin hat genau die richtige Frage gestellt. Vielleicht möchtest du sie beantworten, hm?« Er drückte ihren Kopf auf den Tisch, die Maske mit dem Gesicht Brad Pitts fiel herunter. Die Augen starrten mich vorwurfsvoll an.

      Cara wimmerte, ihre Lippen waren blutig.

      Ich sprang hastig auf, humpelte um den Tisch. Der kaputte Bionikmotor in meinem rechten Knie gab zischende Geräusche von sich, als die Hydraulik Luft ansaugte.

      Large drehte sich zur Seite und musterte mich kalt. »Kein Wunder, dass du Steam heißt, bei dem Krach, den du bei jedem Schritt machst. Wie war noch deine Frage, Schrottplatzmädchen? Kannst du sie wiederholen, deine Freundin scheint sie vergessen zu haben.«

      Ich starrte ihn wütend an. »Lass sie los. Sofort!«

      Er ignorierte mich und presste Caras Kopf noch fester auf den Tisch. Leder knarrte. »Wieso solltet ihr die Einsätze sabotieren, wenn ihr doch davon lebt, dass sie Geld einbringen. Das war deine Frage, nicht wahr?«

      Ich ergriff Larges Arm und wollte ihn zur Seite drücken, doch es war, als versuchte ich einen Stahlträger zu bewegen. »Egal was du denkst, Arschloch, wir sabotieren nichts! Lass. Sie. Los.«

      Da traf mich ein Tritt gegen das rechte Schienbein, scheppernd fiel ich zu Boden.

      »Die Antwort ist vielleicht ganz einfach«, sagte Large ungerührt zu Cara. »Du benötigst unsere Coins nicht, weil du genug aus anderen Quellen bekommst. Vielleicht sogar eine ganze Menge?« Er schleuderte eine Karte mit eingeschweißten Plättchen auf den Tisch. Es waren fingernagelgroße Goldbarren, die verführerisch im Licht der Monitore leuchteten.

      Ich kämpfte mich auf die Knie, konnte meine Augen nicht von dem Reichtum abwenden, der vor mir lag. Das Gold musste mehrere Millionen Coins wert sein, mehr als genug, um alle Operationen durchführen zu lassen, die ich benötigen würde. Ich schluckte. Woher hatte Large das?

      Wieder knarrte das Leder seiner Ausrüstung.

      Cara hatte Schwierigkeiten, etwas zu sagen. »Ich kann es dir erklären, bitte …«

      Mit einem Ruck zog Large sie hoch und drückte sie auf ihren Stuhl. Übertrieben fürsorglich streichelte er ihren Kopf. »Dann tu das. Erklär mir, wie so viel Gold in deinen Besitz kommt, Süße!«

      Cara atmete stockend und wischte sich mit zitternder Hand über die Lippen. Sie musterte mich, dann sagte sie: »Das ist nicht mein Gold. Ich habe es geklaut. Ich konnte nicht widerstehen.«

      »Wo hast du es gestohlen?«

      Sie ließ ihre Augen nicht von mir, kurz huschte ein Ausdruck des Bedauerns über ihr Gesicht, dann verhärtete sich ihr Blick. »Aus … Aus Steams Spind, aus der doppelten Rückwand.« Sie brach in Tränen aus und ergriff meine Hand. »Entschuldige bitte, Liebes, aber ich muss ihm die Wahrheit sagen! Verzeih mir!«

       Lügen. Alles Lügen.

      Ich war sprachlos wegen der schamlosen Schauspielerei der Frau, die ich so lange schon kannte, die ich meine engste Freundin nannte.

      Ich riss meine Hand fort und stemmte mich hoch. »Was soll das? Warum lügst du?«

      »Liebes, du musst es zugeben. Er wird sowieso alles früher oder später herausbekommen. Wenn er dich erst mal richtig rannimmt, dann wirst du dir wünschen, es erzählt zu haben.«

      Ungläubig starrte ich sie an. »Ich kann ja verstehen, dass du Angst vor diesem brutalen Arsch hast, aber dass du mich da mit hineinziehst, hätte ich nicht erwartet!«

      Seine Faust bewegte sich so schnell, dass ich sie nur als Schatten wahrnahm, bevor sie gegen meine Schläfe klatschte. Sterne blitzten vor meinen Augen auf, als ich wieder zu Boden ging. Die Prothesen und stillgelegten Implantate, die ich normalerweise durch vorsichtige und gezielte Bewegungen im Griff hatte, stachen in mein Fleisch und zerrten an meinen Sehnen. Die Schmerzen waren so stark, dass ich keinen Ton herausbekam.

      »Und