Nano: Lüneburg. Oliver Borchers

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Название Nano: Lüneburg
Автор произведения Oliver Borchers
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946381969



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schnaufte schwer neben mir. Der Beifahrersitz färbte sich rot.

      Unter uns blitzte etwas kurz auf.

      »Ein Beweismittel weniger, wenn die Granate alle Spuren vernichtet hat.« Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Wie gut sind deine Flugfähigkeiten? Schon mal so ein Ding gesteuert?«

      Ich zögerte. All das kam mir sehr bekannt vor, ich wusste sogar, wie die Technik des Gleiters funktionierte, dass vier Rotoren für Vorder- und Auftrieb zuständig waren. Woher? Daran erinnerte ich mich nicht. »Nun ja, ich … weiß nicht mehr, aber …«

      »So ein Ding manuell zu fliegen, ist schwierig, daran würdest du dich erinnern. Aber das ist es, was wir tun müssen. Verdammt, die Polizei vermutet tatsächlich, dass wir die Mörder von diesem Typen sind. Die jagen uns!«

      »Manuell fliegen?«

      Er schnaubte. »Ja, wenn sie draufkommen, dass wir die Kiste geklaut haben, wird dieser Flugcomputer ihnen zeigen, wo wir sind. Deshalb musst du jetzt händisch fliegen. Ich … Ich bin zu schwach. Aber ich sage dir, was du tun musst, okay?«

      Ich zögerte erneut, dann sagte ich leise: »Viel schlimmer als der tote Händler ist der Polizist. Finden sie auch nur die geringsten Überreste, werden sie uns eine ganze Armee hinterherschicken. Lass uns loslegen!«

      Kern hustete, Blutspritzer tropften auf die Steuerkonsole. Ich ignorierte sie und umfasste die Steuerknüppel.

      »Braves Mädchen«, keuchte Kern. »Ich hoffe nur, du machst mir deshalb keinen Vorwurf. Der Kerl hätte dich, nein, uns beide abgeknallt, ohne Skrupel.« Er räusperte sich. »Pass auf, der Gleiter hat vier Rotoren, die …«

      »Die für Auftrieb und Vortrieb zuständig sind. Ich kenne die Spezifikationen, Kern. Erzähl mir etwas über das manuelle Fliegen!«

      Er zögerte, dann fuhr er fort: »Wenn ich den Computer deaktiviere, werden wir ausschließlich mit den analogen Instrumenten fliegen. Das sind die runden Anzeigen dort – Geschwindigkeit, Höhe, Libelle, Kompass. Ganz wichtig ist die Libelle, die zeigt an, ob der Gleiter in der Kurve schiebt oder …«

      »Oder ob wir eine saubere Kurve fliegen«, murmelte ich. Es war seltsam, aber ich verstand das Prinzip des Fluges und die Funktionen der Geräte, sobald Kern sie erwähnte. Es war, als würden Vorhänge in meinem Geist geöffnet bei der bloßen Erwähnung der darunterliegenden Themen.

      »Genau. Und du bist dir sicher, dass du noch nie geflogen bist?«

      »Nicht wirklich, nein. Ich bin mir nicht sicher. Was ist mit den Steuerknüppeln? Welcher Knüppel tut was?«

      »Der linke stellt den Anstellwinkel der Rotoren ein. Wird er nach vorn gedrückt, fliegt der Gleiter auch nach vorn. Mit dem rechten Stick bewegst du den Gleiter zur Seite, vorn und hinten sind hier für die Rotation zuständig. Der Schiebeschalter an der Seite ist die Geschwindigkeitsregelung und …«

      Das Funkgerät im Helm des Polizisten knarzte und gab einen seltsamen Ton von sich. Sofort reagierte der Computer und stoppte die Beschleunigung.

      Kern fluchte. »Die Granate hat wohl nicht alles zerstört. Es geht los!«

      Eine unscheinbare Klappe in der Mittelkonsole flog auf. Drähte sprühten Funken, als Kern sie – wahrscheinlich mit seinem Messer – durchtrennte.

      Der Computerbildschirm erlosch, der virtuelle Pfad verschwand von der Scheibe. Sofort bockte der Gleiter und drehte sich um seine Achse.

      »Rotation! Rechter Knüppel nach vorn!«

      Ich reagierte sofort, der Gleiter drehte sich langsamer.

      Dann sank er nach unten, Stockwerke rasten vorbei. Mein Magen rebellierte.

      »Linker Knüppel, Geschwindigkeit auf Maximum!«, rief Kern.

      Wieder reagierte ich, der Gleiter verlangsamte und stoppte knapp über dem Straßenasphalt.

      Kerns Stimme war in ein angestrengtes Husten übergegangen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich den Dreh heraushatte.

      Ich stellte die Knüppel so, dass wir langsam stiegen, und gab ein wenig Schub. Neonleuchten und gedämpfte Lichter aus den Etagenwohnungen glitten wieder vorbei. Trotz meiner Konzentration auf das Fliegen bemerkte ich ein Paar an einem der oberen Fenster, das sich küsste. Dahinter kniete eine Gestalt mit einem Aufnahmegerät. Die drei schreckten auf, als der Gleiter nur wenige Meter entfernt vorbeizog.

      »Kern? Alles in Ordnung?«

      Seine Stimme war so leise und undeutlich, dass ich mich zur Seite lehnen musste, um ihn zu verstehen.

      »Flieg nach Südwesten. Tempelhof. Lande da.«

       Tempelhof.

      Der Name sagte mir etwas, ich konnte ihn aber nicht zuordnen. Und wie sollte ich den Zielort ohne Navigationsunterstützung finden?

      »In Ordnung! Südwesten.«

      Mein Herz raste, als der Regen stärker wurde und die Scheiben beschlugen. Ich flog vorsichtig in die Richtung, die der Kompass mir anzeigte. Häuser versperrten mir den Weg, ich stieg höher. Bevor ich die Dachebenen erreichte, griff eine Bö unter die rechte Seite des Gleiters und drohte ihn aus dem Gleichgewicht zu hebeln. Schnell kompensierte ich das, doch der Magnetkompass zeigte plötzlich eine andere Richtung an.

      »Das ist normal. Sorge dafür, dass der Gleiter gerade fliegt, dann stimmt der Kompasskurs!«

      Schweiß tropfte von meiner Stirn. Neonleuchten auf den Dächern warfen bunte Muster in die Dunkelheit. Einige Meter über mir strahlten unzählige Scheinwerfer. Das war die offizielle Flugroute, die der Navigationscomputer genommen hätte. Blaulichter leuchteten hier und da auf. Sie suchten uns.

      Ich folgte der Silhouette unzähliger Hochhäuser, wich Funkmasten und Werbeleuchten aus.

      Plötzlich flog ich an einer grellgrünen Reklame mit blinkendem Pfeil vorbei, auf der stand: Lagerdepot Tempelhof. Ich korrigierte den Kurs und folgte der angegebenen Richtung bis zu einem großen Feld mit Dutzenden Hallen.

      »Kern? Wo genau soll ich landen?«

      Er antwortete nicht.

      Fieberhaft hielt ich Ausschau nach dem möglichen Ziel. Da erkannte ich das Zeichen Insomnias an einer Lagerhalle.

      »Ich gehe jetzt hier runter, ja?«

      Es war eine harte Landung. Rote Warnleuchten gingen an, die Rotoren stotterten und schalteten sich ab.

      Ich tastete nach Kern, er bewegte sich nicht mehr. Verdammt! Ich musste ihm helfen, alles andere war nicht mehr wichtig.

      Sofort riss ich die Tür auf, Regen strömte herein. Ich stieg aus und humpelte, so schnell ich konnte, zur Hallentür neben dem Tor mit dem Zeichen Insomnias. Sie war verschlossen.

      Fieberhaft nestelte ich an dem Sicherungskasten daneben herum, bis er endlich aufsprang. Zum Glück kannte ich die Elektrik. Sie basierte auf den gleichen Platinen, die Insomnia für alle Geräte in seiner Organisation benutzte, manchmal sogar in den Masken, die ich für ihn herstellte. Die Dinger waren von seinen Agenten gestohlen, wie alles, was er verkaufte.

      Ich zog den Programmierstift hervor, der in der Innenseite des Deckels klebte, und aktivierte den holographischen Monitor. Ich atmete erleichtert auf. Das Programm kam mir bekannt vor. Nach wenigen Sekunden hatte ich die Sicherheitsroutine gehackt, etwas klickte. Dann entriegelte das Tor und schwang nach oben.

      Ein monströser Gleiter füllte die Halle. Er war um ein Vielfaches größer als der Polizeigleiter, schwarz glänzend, an vielen Stellen waren Aufbauten angeschweißt.

      Ich humpelte hinein und jubelte erleichtert. Das Gerät besaß eine Notfallbucht im Rumpf! Ich drückte auf die Steuerung, sie erwachte zum Leben. Eine automatische Liege schwebte aus der Bucht, eine Drohne, die mittels Rotoren in der Lage war, Verletzte überall zu erreichen.

      »Dann komm mal mit«, rief ich und stapfte hinaus zum Gleiter. »Beifahrersitz,