Zimmer mit Mord. Группа авторов

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Название Zimmer mit Mord
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783870623432



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wandte dann den Kopf. »Madame, Monsieur, ich bitte um Entschuldigung.«

      »Nichts passiert, mein Lieber.« Adam nickte ihm beruhigend zu, während sich seine Gattin Elvira immerhin zu einem schwächlichen Lächeln hinreißen ließ. Seit sie am Morgen in Koblenz in die Eisenbahn gestiegen waren, hatte sie kaum ein Wort verloren. Ein unbeteiligter Beobachter hätte das möglicherweise den Strapazen der Reise angelastet, denn Elvira war von zarter und feinnerviger Konstitution. Adam hingegen wusste es besser. Seine Gattin befand sich seit Wochen im Zustand der latenten Katatonie. Und er, Adam, war am Ende seiner Kraft und Weisheit. Dabei war es eben jene nervöse Empfindsamkeit, die ihn einst so zu ihr hingezogen hatte. Wie eine delikate Lichtgestalt war sie ihm erschienen, Elvira, ehemals noch Comtesse von Beisenstein. So exotisch, zart und flirrend, so ganz anders als alle Frauen, die er vor ihr getroffen hatte, dort in der rheinischen Provinz, in der er als wohlhabender Erbe eines florierenden Brauereibetriebs durchaus als gute Partie gegolten hatte. Er hatte sein Glück kaum fassen können, als sich Elvira bereit erklärt hatte, die nächste Frau Crugherr zu werden. Und er hatte sich und ihr geschworen, sie zur glücklichsten Frau der Welt zu machen.

      Während Gustav den Motor wieder zum Leben erweckte und in gemessenem Tempo die Auffahrt zum Bellevue hinaufrollte, musterte Adam seine Gattin heimlich. Das Sonnenlicht, das durchs Wagenfenster fiel, ließ ihr weißes Madonnengesicht fast durchsichtig erscheinen. Zarte blaue Äderchen schimmerten an ihren Schläfen; die übergroßen, traurigen Augen glänzten fiebrig. Ein leiser Seufzer entrang sich seiner Brust.

      Gustav bremste erneut, wieder ein wenig zu abrupt, diesmal, um eine Kollision mit zwei Fahrrädern zu verhindern, auf die sich ein junges Paar vor dem prächtigen Portal just schwang, um fröhlich klingelnd in Richtung Park zu verschwinden. Gustav verbot sich jeden Anflug von Neid angesichts dieser Lebensfreude und Vitalität. Er konzentrierte sich lieber auf den livrierten Herren, der nun den Wagenschlag öffnete und Elvira aus dem Sitz half, bevor er beflissen um das Automobil herumeilte, um auch Adam beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann warf er Gustav, der sich aus seinem Fahrersitz geschält hatte und nun wohlig die langen Storchenbeine reckte, einen tadelnden Blick zu. »Parbleu!«, zischte er. »Diese Fingernägel, dégoûtant! Und dieser Fleck, Gustav, wie oft habe ich dir gesagt, dass du diesen furchtbaren Fleck entfernen lassen musst, bevor du unsere Gäste …«

      Eine sonore Stimme übertönte sein Schimpfen. »Adam, mon cher ami!« Monsieur Gisbert kam mit ausgebreiteten Armen die breite Freitreppe hinunter. »Wie lange ist das her?«

      Lange, dachte Adam, während er sich von Gisbert umarmen und kräftig auf den Rücken klopfen ließ. Sehr lange, und doch war Gisbert ein Grund, dass Adam das Bellevue gewählt hatte. Sie kannten sich eigentlich eher flüchtig, waren sich in einer Zeit begegnet, in der sie beide noch grün hinter den Ohren gewesen waren. Aber Gisbert hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Man traf schließlich nicht alle Tage einen so vortrefflichen Mann, feinsinnig und gebildet, der schon in jungen Jahren fließend in mehreren Sprachen zu parlieren vermochte, außerordentlich musikalisch war und dessen Talente und Klugheit zudem von Herzenswärme und einem trefflichen Humor aufs Feinste ergänzt wurden. Ja, wenn es irgendjemanden gab, den Adam bei der heiklen Mission, in der er unterwegs war, gern in seiner Nähe wissen wollte, dann war es Gisbert, an den der Livrierte, der eben Gustav gescholten hatte, nun ein tadelndes Zungenschnalzen richtete.

      Gisbert schlug sich in gespielter Verzweiflung die Hand vor die Stirn. »Mein braver Mathis, du hast völlig recht!«, rief er aus. »Wo bleiben nur meine Manieren?« Er wandte sich an Elvira, die wie eine Marmorstatue dastand und mit somnambulem Blick an der prächtigen Hotelfassade hochsah, auf deren Zinne sich eben ein Rabe niederließ. »Pardonnez-moi, Madame! Sie müssen die Comtesse von Beisenstein sein!« Er griff nach der Hand, die sie ihm zögerlich hinstreckte, und küsste sie galant. »Nun, natürlich, Frau Crugherr. Enchanté, Madame. Sie sind, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, noch schöner, als man überall erzählt. Mein Freund Adam ist wahrlich ein Glückspilz!«

      Adam verkniff sich tapfer den nächsten Seufzer. Zu seinem Erstaunen erwiderte Elvira indes Gisberts Lächeln und tat ihren entzückenden kleinen Mund auf. »Merci, Monsieur«, hauchte sie und strich sich eine der blonden Locken, die den grazilen Schwanenhals umspielten, nach hinten. »Ich bin … entzückt, hier zu sein.« Wieder wanderte ihr unsteter Blick hinauf zu dem schwarzen Vogel. »Ich bin … ganz absonderlich tief entzückt.«

      »Das, äh, das freut mich.« Gisbert wirkte kurz verwirrt. Nicht halb so verwirrt wie Adam allerdings, denn es war Wochen her, dass Elvira derart Anteil an ihrer Umgebung genommen hatte. Er gestattete sich einen kurzen Moment der Hoffnung. Ja, er tat das Richtige. Und alles würde gut werden, ganz gewiss.

      Monsieur Gisbert reichte Elvira den Arm und geleitete sie die Stufen hinauf in die Halle, in der sich das Sonnenlicht funkelnd in prächtigen Leuchtern brach. Elvira ließ sich auf einen der gestreiften Samtsessel sinken, während Gisbert zum Tresen eilte, rasch nach der filterlosen Zigarette griff, die dort im Aschenbecher vor sich hin qualmte, und einen tiefen Zug nahm, bevor er sich an Adam wandte. »Sie müssen entschuldigen, mein lieber Freund«, sagte er. »Es ging ein bisschen drunter und drüber in den letzten Tagen. Wir haben nämlich elektrisches Licht bekommen.« Er lächelte stolz. »Schon seit zwanzig Jahren gibt es die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke der Stadt Köln, aber erst jetzt sind wir an der Reihe. Moderner Komfort, unerlässlich heutzutage, aber derlei Dinge gehen natürlich mit einem gewissen Tohuwabohu einher. Das soll die Comtesse und Sie aber nicht irritieren. Ich habe die Kaisersuite für Sie reserviert, gerade gut genug für so geschätzte Gäste. Es ist alles bereit. Nicht wahr, Anna?«

      Die letzten Worte waren an das Mädchen adressiert, das neben ihm aufgetaucht war. Es nickte, knickste kurz und trat dann ein Stück näher. »Es ist nur … die Kiste«, flüsterte sie deutlich vernehmlich. »Sie ist zu groß und zu schwer, ich konnte sie nicht vom Fleck bewegen, und ich hätte auch nicht gewusst, wohin damit …«

      Kurz entglitten Gisberts Züge, aber er fand die Contenance schnell wieder. »Die Kiste, ach, das ist doch Nebensache. Leg einfach eine Tischdecke darüber«, wisperte er und wandte sich dann wieder an Adam. »Ein Tohuwabohu, wie gesagt! Die Gäste vor Ihnen sind ein wenig überstürzt abgereist. Aber ich versichere Ihnen, dass das keinerlei Inkommodation für Sie bedeutet. Wenn doch, zögern Sie nicht, mich das umgehend wissen zu lassen.«

      »Oben, nicht wahr?«, mischte sich nun eine weitere Stimme ein. Adam zuckte zusammen. Elvira war aufgestanden und unbemerkt neben ihn getreten. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Gisbert an. »Die Suite des Kaisers, ein Palast, ganz nah am Himmel. Man kann direkt ins Paradies schauen?« Sie wirkte erregt, auf ihren Wangen leuchteten rote Flecken. Sie hustete.

      »Nun, Paradies, Palast …« Gisbert kratzte sich verlegen am Nacken. »Sagen wir einfach, es ist unsere schönste Suite. Und der Blick in den Park ist durchaus formidabel. Aber keine Sorge, unser Haus verfügt natürlich über einen Aufzug, Sie müssen sich also nicht mit Treppen quälen, Comtesse. Ah, da kommt schon Mathis!« Er deutete auf den Livrierten, der einen Jungen vor sich her durch die Halle scheuchte, der unter der Last der Koffer fast zusammenbrach. Hänschen warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Lift. »Er wird Ihnen den Weg zeigen. Ich bin sicher, Sie werden alles zu Ihrer Zufriedenheit vorfinden.«

      »Ich auch, oh ja, ich bin ganz sicher …« Elvira presste eine Hand auf ihren Busen und hustete erneut. Sie schwankte leicht.

      Adam hakte sie eilig unter und wich Gisberts fragendem Blick geflissentlich aus. »Du bist gewiss schrecklich erschöpft von der Reise«, murmelte er. »Du solltest ein wenig ruhen.«

      Elvira lächelte matt und nickte.

      Ein Palast war die Suite natürlich nicht, aber der helle, weite Raum mit dem geschmackvollen Interieur wirkte einladend und gemütlich, und der Blick auf die gepflegte Parkanlage war tatsächlich ganz zauberhaft. Adam half Elvira zu dem breiten Bett, auf das sie sich seufzend sinken ließ. Seit Wochen hatte sie nicht so entspannt und gelöst gewirkt. Adam konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Und doch stärkte die wundersame Verwandlung seine Zuversicht.

      Er nahm auf einem der zierlichen Sessel Platz und sah sich um. In einer Ecke des Raums entdeckte er die dubiose Kiste, von der das Mädchen eben gesprochen