Zimmer mit Mord. Группа авторов

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Название Zimmer mit Mord
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783870623432



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spähten. Ein junger Mann trat auf den Flur. Als er die Menschenansammlung vor Frau Idelsbergers Zimmertür erblickte, erstarrte er, bevor er sich wieder in sein Zimmer zurückzog.

      »Was ist hier für ein Getöse mitten in der Nacht?« Baron Wilhelm von Emsdetten runzelte ärgerlich die Stirn und trat zu Monsieur Gisbert. Er trug einen eleganten nachtblauen Seidenkimono über seinem Pyjama und lederne Hausschuhe. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er den Concierge mit einer Vertraulichkeit, die seinem Status als häufiger Gast entsprang, Monsieur Gisbert aber immer wieder als unangemessen empfand. Gast blieb Gast, und Hauspersonal blieb Hauspersonal. Wo käme man denn hin, wenn die Grenzen verschwimmen und alle gleich behandelt würden?

      »Die Dame in dem Zimmer benötigt Hilfe.« Mrs. Christie deutete auf die Zimmertür und sprach das aus, was Monsieur Gisbert dachte.

      »Soll ich sie aufbrechen?«, bot der Baron an und warf sich, ohne eine Antwort abzuwarten, im selben Moment gegen die Tür, die unter dieser Kraftanstrengung zwar erbebte, sich aber ansonsten gänzlich unbeeindruckt zeigte.

      Monsieur Mathis, der Oberkellner, und Anna, das Erste Zimmermädchen, traten zu der Szene. Anna trug unter ihrer Haube einen besorgten Gesichtsausdruck zur Schau. Sie kümmerte sich bei jedem der Aufenthalte von Frau Idelsberger um die ältere Dame und betrachtete sich beinahe als ihr persönliches Dienstmädchen.

      »Wenn ich Sie daran erinnern darf, Monsieur Gisbert. Frau Idelbergers Zimmer ist mit einer Zwischentür versehen, die direkt ins Zimmer ihrer Tochter führt. Haben Sie versucht, diesen Weg zu gehen?« Der Oberkellner hob die Hand und klopfte energisch gegen die benachbarte Zimmertür, noch bevor Monsieur Gisbert eine Antwort geben konnte. Nichts rührte sich.

      »Mademoiselle Anna«, wandte sich Monsieur Gisbert an das Erste Zimmermädchen, »Sie haben doch an Ihrem …«

      » … Schlüsselbund den zweiten Schlüssel für das Zimmer«, ergänzte die Angesprochene, drehte sich auf dem Absatz um und eilte zur Treppe, die in den Dienstbotentrakt führte. Wenige Minuten später war sie wieder zur Stelle, steckte den Schüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Hinter ihr drängten Monsieur Gisbert, Mrs. Christie und die anderen Zaungäste ins Zimmer.

      Frau Idelsberger lag ausgestreckt auf ihrem Bett. Krämpfe schüttelten ihren Körper; ihr Gesicht war von Schmerzen verzerrt. Röchelnd rang sie nach Luft. Neben ihr auf dem Boden lagen ein Wasserglas und eine Karaffe, deren Inhalt sich auf dem Teppich verteilt und dort einen dunklen Fleck hinterlassen hatte.

      Frau Idelsberger richtete sich kurz auf, streckte die Hand nach Monsieur Gisbert aus und fiel dann mit einem heftigen Keuchen wieder zurück in ihre Kissen, bevor sie von einem erneuten Krampf erfasst wurde. Anna eilte an ihre Seite und legte ihr hilflos die Hand auf die Stirn, eine Geste, die beruhigend auf die Kranke wirkte. Trotzdem ging ihr Atem stoßweise, und ihre Worte waren nur schwer zu verstehen.

      »Wie gut. Sie sind da.« Wieder streckte sie die Hand aus, diesmal nach Anna.

      »Sie glüht.« Das Zimmermädchen wirkte noch besorgter als zuvor.

      »Jemand muss die Tochter benachrichtigen.« Monsieur Gisbert ging zu der Zwischentür, die die beiden Zimmer voneinander trennte, klopfte und schob die Tür einen Spalt breit auf, als niemand reagierte. Vorsichtig spähte er hinein. Zu seiner großen Verblüffung war das Zimmer leer, das Bett unberührt. Hinter ihm stöhnte Frau Idelsberger laut auf.

      »Lassen Sie mich zu ihr. Ich habe im Weltkrieg als Krankenschwester gearbeitet.« Mrs. Christie war neben ihm als Erste wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, wie Monsieur Gisbert feststellen musste. Diese junge Frau bewies auch in turbulenten Situationen starke Nerven. Das entlockte ihm eine gewisse Bewunderung.

      Während Frau Idelsberger Annas Hand umklammerte, zog sie die Beine an sich und krampfte mit noch größerer Heftigkeit als zuvor. Ihr Körper verbog und streckte sich in einem Maße, wie es in ihrem deutlich fortgeschrittenen Alter eigentlich nicht hätte möglich sein dürfen. Sie keuchte, rang nach Luft.

      »Heinrich! Heinrich«, rief sie matt. Dann wich alle Spannung aus ihr, und sie glitt reglos in die Kissen zurück.

      Mrs. Christie umfasste ihre Handgelenke, hob und senkte die Arme der Kranken, presste sie rhythmisch auf ihren Brustkorb und bemühte sich, das Leben in den Körper zurückzuholen. Vergeblich.

      Nach einigen Minuten, in denen nur das angestrengte Arbeiten Mrs. Christies im Zimmer zu hören war, hielt sie inne, ließ von ihr ab und schüttelte bedauernd den Kopf.

      Stille trat ein. Alle verharrten reglos, schauten auf den leblosen Körper der alten Dame, aus deren Zügen nun die Anspannung wich, als ergreife sie eine große Erleichterung.

      Monsieur Gisbert fasste sich als Erster wieder. Er zwirbelte seinen Schnauzbart, räusperte sich und nickte bedächtig.

      »Nun. Ich danke Ihnen allen für Ihre Hilfsbereitschaft bei diesem wirklich sehr bedauernswerten Vorfall. Lassen wir der Toten nun ihre Ruhe. Ich werde mich um die notwendigen Schritte kümmern und mit der Tochter sprechen, sobald die Lage es erlaubt.«

      Zum Glück fragte niemand danach, warum die Tochter nicht erschienen war. Er selbst war sich nicht sicher, ob sie nicht vielleicht doch am Mittag mit dem Vater aufgebrochen war, obwohl er sie nicht mit ihm zusammen gesehen hatte.

      »Bitte begeben Sie sich wieder auf Ihre Zimmer. Vielleicht finden wir ja alle noch ein wenig Schlaf.« Er breitete die Hände aus und bat die Anwesenden mit dieser stummen Geste, den Raum zu verlassen, der diese schweigend nachkamen. Er würde nicht nur den örtlichen Arzt rufen, um den Totenschein ausstellen zu lassen, sondern auch die Polizei. Auch wenn ihm diese Vorstellung nicht gefiel, denn es war nicht das erste Mal, dass im Bellevue jemand auf unnatürliche Art zu Tode kam, was auf Dauer dem Ruf des Hauses nur schaden konnte. Und dieser Todesfall erschien ihm alles andere als natürlich.

      »Warten Sie bitte einen Augenblick, Monsieur Gisbert.« Mrs. Christie berührte ihn leicht am Ärmel seines Anzugs.

      »Ja, bitte?«

      »Ich bin nicht sicher …« Mrs. Christie zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach.

      Monsieur Gisbert hob die Augenbrauen.

      »Wissen Sie, ich habe nicht nur als Krankenschwester gewirkt, sondern einen großen Teil meiner Zeit in der Apotheke gearbeitet.« Mrs. Christie knetete die Hände.

      Der Concierge schwieg abwartend. Er ahnte, worauf sie hinauswollte. Besser gesagt, er hoffte, dass sie auf das hinauswollte, was er im Stillen bereits ahnte. »Ja?«, fragte er schließlich, um sie zum Weitersprechen zu animieren.

      »Nun.« Mrs. Christie rang mit sich. »Ich möchte nur ungern einen falschen Verdacht aufkommen lassen, aber …«

      Monsieur Gisbert seufzte und schloss die Zimmertür. Er warf der Toten auf dem Bett einen Blick zu, schaute dann wieder die junge Frau in ihrem Nachthemd an.

      »Diese Streckkrämpfe, das hohe Fieber, die Atemnot, ihre Unruhe«, zählte Mrs. Christie auf. »Alles das deutet auf eine Vergiftung hin.«

      Monsieur Gisbert nickte erneut. Beinahe hätte er gelächelt, wenn es in dieser Situation nicht vollkommen unangebracht gewesen wäre.

      Agatha Christie hatte aber ausgesprochen, was sich ihm als Verdacht aufgedrängt hatte: Frau Idelsberger war einem Mord zum Opfer gefallen.

      »Diese Symptome passen zu Strychnin.« Mrs. Christie trat an das Bett und betrachtete die Tote. »Allerdings …« Sie runzelte die Stirn, schaute sich um und bückte sich, um die Karaffe aufzuheben. Sie schnupperte daran.

      »Aha.«

      »Lassen Sie mich an Ihrer Erkenntnis teilhaben?«

      »Wie bitte?« Mrs. Christie schreckte wie aus einer tiefen Andacht auf. »Ja. Natürlich. Verzeihen Sie bitte.« Sie hielt die Karaffe hoch. »Sie enthielt Wasser.«

      »Natürlich. Anna wird es bereitgestellt haben, als sie das Zimmer zur Nacht hergerichtet hat.«

      »So natürlich ist das nicht. Strychnin ist ein schnell wirkendes Gift. Also liegt