Zimmer mit Mord. Группа авторов

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Название Zimmer mit Mord
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783870623432



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Vorbesitzer sollen sich alle erhängt haben!«, beginne ich erneut. »Im zweiten Stock!«

      Der Makler zuckt mit den Schultern: »Sehen Sie es sich doch an! Hier wohnt seit Jahrzehnten niemand mehr. Und die Vorbesitzer haben sich so lange um das Erbe gekloppt, bis sie darüber gestorben sind. Auf ganz natürliche Weise. Jetzt gehört es deren Kindern, und die denken ganz praktisch: verkaufen und den Gewinn unter sich aufteilen.«

      »Dann ist an den Geschichten also nichts dran?«

      »Das habe ich nicht gesagt«, beginnt der Makler geheimnisvoll. »Nur nicht so, wie Sie das vielleicht gehört haben.«

      Ich blicke wieder auf das Haus.

      Sieht es mich gerade an?

      Schließlich reiße ich mich davon los und sage: »Sehen Sie, ich will das alles hier in Luxuswohnungen umwandeln. Und wenn mich potentielle Käufer fragen, möchte ich ihnen auch etwas über das Gebäude erzählen können. Aber wenn es geht – ohne Poltergeist, Grabstein und Selbstmörder.«

      »Verstehe«, antwortet der Makler. »Geschichten gibt es viele. Das Bellevue war mal ein Hotel.«

      »Tatsächlich?«

      »Ja. Hat kurz vor dem Ersten Weltkrieg eröffnet. Und ein paar Geschichten, die sich darin zugtragen haben, sind vielleicht der Grund dafür, dass so viele andere im Umlauf sind.«

      »Was denn für Geschichten?«

      Der Makler reibt sich verlegen über den Nacken: »Na … so Geschichten halt.«

      »Jetzt machen Sie es mal nicht so spannend.«

      »Ich glaube, das hat alles mit dieser Kiste angefangen …«

      »Was für eine Kiste?«

      »Na, diese Kiste aus Ägypten. 1913 war das, glaube ich.«

       1913 – Vor dem Krieg

       Auf der Flucht

      VON ILKA STITZ

      Das schmiedeeiserne Tor stand offen, und ihre Droschke rumpelte den gepflasterten Weg auf das Hotel zu. Bellevue entzifferte Eva die geschwungenen Lettern über dem Portal. Ein prächtiger Bau, dessen imposante Fassade mit der pfeilergestützten Vorhalle in der Mitte und gedrungenen Türmen an den Ecken die gesamte Breite des Vorplatzes beherrschte. Neben einem dort parkenden schwarzen Automobil kam die Kutsche zum Stehen. Keine Menschenseele war zu sehen, außer Vogelgezwitscher nichts zu hören. Das Anwesen strahlte trotz der Nähe zur Stadt eine seltsame Verlassenheit aus. Nur das Schnauben der beiden Pferde und das Knarren des morschen Ledergeschirrs störten die Ruhe.

      Eva betrachtete das große Hotel. Ein Haus, dem Stand ihres Mannes angemessen, Lord Benedict Cyril Pace. So gesehen ein passendes Quartier, aber natürlich entsprechend kostspielig. Zu viel für sie, eine ehemalige Sängerin in einem Pariser Varieté, und einen Lord, der zwar ein richtiger Lord, aber eben dank seiner Leidenschaft für das Kartenspiel auch ein ruinierter war. In Gedanken überschlug Eva ihre Barschaft, was schnell erledigt war, denn viel war es nicht mehr.

      Im Gegensatz zu ihr schien Benedict weder von dem Gebäude noch von ihrer mangelnden Zahlungskraft beeindruckt zu sein; er betrachtete den Weg zur Einfahrt.

      »Er ist nicht da, Benedict, Liebster«, beruhigte sie ihn. Sie war überzeugt, dass sie Yann in Paris abgehängt hatten.

      »Ich habe ein schlechtes Gefühl. Weil wir die Kiste mit dieser Adresse aufgegeben haben …«

      Diese vermaledeite Kiste! »Du hättest sie gar nicht erst mitnehmen dürfen!«

      »Dich hätte ich auch nicht mitnehmen dürfen«, sagte Benedict und lächelte sie an.

      Ja, davon ganz abgesehen … Doch ausgerechnet Odilon auch noch dieses sperrige Teil zu stehlen! Als er im Varieté fast über das Gepäckstück mit dem Kairoer Absender gestolpert war, hatte Benedict einfach nicht widerstehen können.

      Schuld war das Ägyptenfieber, dem immer mehr Leute verfielen, ihr Mann ebenso wie sein kürzlich verstorbener Vater und eben auch ihr Patron, Odilon Sauvage. Odilon, der gerade wegen seiner Begeisterung für ägyptische Artefakte einen Narren an Benedict gefressen hatte – bis dessen Spielschulden in den Himmel wuchsen. Da verstand auch ein Odilon Sauvage, bei aller Sympathie, keinen Spaß.

      Nun schuldete Benedict Odilon Sauvage, der nicht nur Betreiber eines erfolgreichen Pariser Varietés und einiger berüchtigter Spielhöllen war, sondern auch eine respektierte Größe in dubiosen Kreisen, ein Vermögen von zweitausend Francs, eine Kiste mit Plunder – und seine beste Sängerin. Und Eva wusste aus Erfahrung: Odilon vergaß nie und verzieh auch nie. Da mit dem Tod von Benedicts Vater eine zuverlässige Geldquelle versiegt war, blieb ihnen nur die überstürzte Flucht in Evas alte Heimat Köln.

      Um ihre Spuren zu verwischen, hatten sie sich natürlich im Hotel nicht anmelden können; die Kiste hatten sie aber auf gut Glück an die Kölner Adresse geschickt.

      Eva strich ihrem Mann die blonde Strähne aus der Stirn und küsste ihn auf die Wange. »In Paris war er die ganze Zeit hinter mir her, während du sie aufgegeben hast«, bekräftigte sie. Eva kannte Odilons Mann fürs Grobe seit Jahren; einmal auf der Spur, war Yann wie ein Bluthund.

      »Ein wundervolles Haus«, versuchte sie von der Sorge um den Verfolger abzulenken. Benedict nickte abwesend, als der Fuhrmann den Schlag öffnete und sie ausstiegen ließ.

      Benedict sah der Kutsche nach, bis sie hinter einer Biegung verschwand. Als das Rumpeln und Knirschen der Räder verstummt war, herrschte Stille. Er straffte den Rücken und wechselte die Reisetasche von der rechten in die linke Hand. Erst jetzt schien er das Gebäude wahrzunehmen. »Ja, nicht wahr? Hoffentlich haben sie noch ein Zimmer für uns.«

      Eva sah sich um. Irgendwelche Gäste waren nicht zu sehen. War das Hotel womöglich geschlossen? »Und hier logiert ein Bekannter von dir?«

      »Ja. Baron Auerbach hat meinem Vater seinerzeit dieses Hotel für einen Kölnaufenthalt wärmstens empfohlen.«

      »Seinerzeit …« Dieser Baron Auerbach war vermutlich ein ebenso fanatischer Ägyptenanhänger wie ihr Mann, dachte Eva und runzelte die Stirn. Aber offenbar nicht ganz so ruiniert wie Benedicts Familie, wenn er sich den Aufenthalt hier leisten konnte. Eva erinnerte sich noch genau an den Wortlaut des Briefes von Benedicts älterem Bruder, der außer der Nachricht vom Tode des Vaters die Botschaft enthielt, dass der alte Marquess alles Geld für den alten Krempel verschleudert habe, Benedict also auf keinerlei Barschaft hoffen solle. Und dass ihm selbst auch nur der Titel und ein marodes Schloss geblieben seien, Benedict also von weiterer Schnorrerei absehen möge.

      Paris war verbranntes Pflaster, England nutzlos, also blieb nur Köln. Zwar hatte Eva die Stadt vor Jahren verlassen, um nach dem Tod der Eltern in Paris eine berühmte Sängerin zu werden, aber zurechtfinden würde sie sich hier weiterhin. »Hoffentlich lebt der Baron noch«, merkte Eva an.

      »Sicherlich. Als ich ihn vor Jahren kennenlernte, war er noch ein junger Mann …«

      Beide erschraken, als eine Tür aufgerissen wurde und ein Mann herauseilte. »M’sieurdames!« Seine langen Beine steckten in einer schwarzen Hose, die Jacke mit dezenten Litzen saß tadellos am hageren Leib. Steifbeinig hastete er auf sie zu, zog vor ihnen die Mütze.

      »Madame, Monsieur, entschuldigen Sie, aber Ihr Erscheinen war nicht angekündigt. Selbstverständlich hätte ich Sie mit dem Wagen abgeholt!« Er deutete auf das in der Sonne blitzende Fahrzeug. »Gestatten, Gustav, Chauffeur des Hauses. Wenn Sie mir bitte Ihr Gepäck …«

      Benedict überließ ihm die Tasche. Dann fiel sein Blick auf das Automobil. »Ah, ein Audi!«

      Benedict war also nicht nur ein Kenner ägyptischer Altertümer, sondern auch moderner Automobile.