Zimmer mit Mord. Группа авторов

Читать онлайн.
Название Zimmer mit Mord
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783870623432



Скачать книгу

sie … o Gott, sie ist doch nicht …«

      Der Concierge erhob sich. »Ich fürchte doch, mein armer, lieber Freund. Es tut mir so leid.« Er schloss Adam in die Arme. Und während er dort schluchzte, fragte sich Gisbert, ob es doch angebracht gewesen wäre, die Zweifel, die er am Nachmittag gehegt hatte, laut auszusprechen. Zweifel an der Kompetenz des Crugherrschen Hausarztes nämlich, der offenbar nicht imstande war, eine galoppierende Schwindsucht zu diagnostizieren, auch wenn sie derart offensichtlich war. Ob der Blutsturz, der nun die zarte Lebensflamme der Comtesse ausgepustet hatte, durch die Aufregung verursacht worden war oder ohnehin unvermeidlich gewesen wäre, würde wohl immer ein Geheimnis bleiben. Vielleicht waren es aber auch hochgiftige Pilze, die an Mumien hafteten und für Personen mit einer schwachen Lunge lebensgefährlich waren. All das spielte in diesem Moment allerdings auch keine Rolle, denn es stand fest, dass der armen Elvira nicht mehr zu helfen war.

      Obwohl Gisbert kein sonderlich abergläubischer Mann war, beschloss er in diesem Moment, die Kaisersuite nie wieder an junge Ehepaare zu vermieten. Er war als guter Concierge zwar in der Lage, mit derlei Kalamitäten fertig zu werden, aber in dieser Frequenz würden auch ihn derartig fatale Krisen mit Sicherheit auf Dauer überfordern.

      »Nun hat er doch gewonnen!« Adams heiseres Flüstern riss ihn aus seinen Gedanken. »Er hat ihr den Arm gereicht, und sie ist mit ihm gegangen.« Er befreite sich aus Gisberts Umarmung und ging neben seiner Gattin in die Hocke. Sanft streichelte er ihre nun wieder so bleiche Wange. »Ich habe es nicht vermocht, dich glücklich zu machen, mein Herz.« Er schluchzte auf. »Dabei war das alles, was ich wollte. Aber jetzt, jetzt bist du es endlich.« Er wandte den Kopf, sah Gisbert an. »Schauen Sie«, flüsterte er und deutete auf Elviras totes Gesicht, auf dem tatsächlich ein verklärtes Lächeln lag. »Ich verspreche dir, dass ihr vereint bleibt, meine Liebste. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde nicht zulassen, dass man ihn dir wieder entreißt. Gisbert wird mir helfen. Gisbert wird eine Lösung finden. Nicht wahr, mein lieber, guter Freund?«

      Der Concierge räusperte sich. »Nun«, sagte er. »Nun.« Er dachte daran, dass die Herausforderungen seines Berufs doch ganz anderer Natur zu sein schienen, als er geglaubt hatte. Er dachte an Lady Eva, die, sollte sie je zurückkehren, um diese unselige Kiste abzuholen, gewiss den Verlust eines vermutlich ohnehin nur mäßig wertvollen Mumienarms verschmerzen würde. Dann sah er Adam an, dessen Verzweiflung weit härtere Herzen als seines hätte brechen können.

      Er lächelte. »Selbstverständlich, mein armer, lieber Adam. Überlassen Sie alles weitere getrost Ihrem Concierge.«

       1919 – Weimarer Republik

       Agatha

      VON ELKE PISTOR

      Das Leben der Dame, die durch den Haupteingang das Hotel betrat, würde sich durch die Begegnung mit Monsieur Gisbert vollkommen verändern. Aber das ahnten zu diesem Zeitpunkt weder die Dame noch Monsieur Gisbert, der in Erwartung neuer Gäste hinter dem Empfangstresen des Bellevue stand, seinen stattlichen Schnauzbart glatt strich und Hänschen, dem Pagen, mit einem Blick bedeutete, sich um das Gepäck der Dame zu kümmern.

      So könnte man die folgenden Ereignisse vielleicht als vorherbestimmt bezeichnen oder als unausweichliches Schicksal, auf jeden Fall aber als großes Glück für einen großen Teil der Menschheit. Für einen kleineren Teil, genaugenommen einen sehr viel kleineren Teil, oder, um es exakt zu benennen, für einen Menschen nahmen die Ereignisse allerdings einen eher unerfreulichen Verlauf, an dessen Ende der Tod stand.

      Aber das ahnte in diesem Moment ebenfalls noch niemand, und so nutzte Monsieur Gisbert die Zeit, die die Dame benötigte, um die Hotelhalle zu durchschreiten, um sich ein Bild von ihr zu machen.

      Die Kleidung elegant, aber zweckmäßig, die Schuhe trotz der Reise sauber. Ihre Miene verriet außer einer leichten unbestimmten Müdigkeit nichts. Monsieur Gisbert schätzte ihr Alter auf Ende Zwanzig, Anfang dreißig. Ihre Koffer, die Hänschen nun auf dem Gepäckwagen durch den Nebeneingang in die Halle schob, zeigten neben dem gutem Geschmack ihrer Besitzerin auch einen Hauch vom Glanz vergangener Tage.

      Monsieur Gisbert deutete lächelnd eine leichte Verbeugung an.

      »Willkommen im Bellevue«, sagte er, sobald die Dame in Hörweite war. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

      »Man hat ein Zimmer für mich reserviert.« Die Dame sprach Englisch mit einem beinahe unhörbaren amerikanischen Akzent. »Mein Mann ist in der Nähe stationiert. Ich besuche ihn.«

      Monsieur Gisbert nickte. In der Umgebung gab es mehrere Standorte der alliierten Armeen, die in Folge des verlorenen Weltkrieges das Rheinland besetzt hielten. Die Briten saßen in Köln wie auf einer Insel, umgeben von den Belgiern im linksrheinischen Norden der Rheinprovinz von Aachen bis zum Rhein und den Amerikanern in Koblenz und dem Umland. Er wusste um all die Verhandlungen und Verträge, um die Absichten und Pläne und um den Unmut, den diese in weiten Teilen der Bevölkerung hervorriefen. Aber für Monsieur Gisbert zählte all das nicht. Für ihn war jeder Herr und jede Dame, die das Bellevue betraten, in erster Linie ein Gast, den es wertzuschätzen und zuvorkommend zu behandeln galt, ungeachtet seiner Herkunft, seiner Nationalität und seiner Beweggründe.

      »Selbstverständlich«, antwortete er deswegen und blätterte in dem großen Reservierungsbuch auf der Suche nach dem richtigen Eintrag.

      »Reserviert für Oberst Archibald Christie«, half ihm die Dame, aber in diesem Moment hatte er ihren Namen bereits entdeckt.

      »Dann sind Sie Mrs. Agatha Christie«, stellte Monsieur Gisbert fest und winkte einen der Hausdiener heran. »Es ist schon alles für Sie vorbereitet.«

      Monsieur Gisbert sollte Mrs. Christie erst einige Stunden später wiedersehen, nachdem sie auf ihrem Zimmer gespeist und ausgiebig geruht hatte. Allerdings unterschied sich ihr Äußeres zum Zeitpunkt des erneuten Zusammentreffens an der Rezeption doch erheblich von ihrem Erscheinungsbild bei der Ankunft, denn sie trug nichts weiter als ein Nachthemd.

      Nun war Monsieur Gisbert kein Kostverächter und schönen Damen in der Nacht durchaus zugetan, aber Mrs. Christie machte nicht den Eindruck, ihm in dieser Hinsicht Avancen machen zu wollen.

      »Sie sollten sofort mit mir kommen, Monsieur Gisbert. Aus meinem Nachbarzimmer dringen Schreie und Stöhnen, und ich habe nicht den Eindruck, dass da Vergnügen im Spiel ist.«

      Ihr aufgeregter Gesichtsausdruck verriet Monsieur Gisbert, dass etwa Schlimmes geschehen sein musste. Er kräuselte seinen Schnauzbart und schaute auf die Uhr. Es war deutlich nach Mitternacht.

      »Handelt es sich um das Zimmer zur Linken oder zur Rechten?«

      »Rechts neben meinem. Zuerst habe ich die Geräusche ignoriert, aber mittlerweile bin ich zu der Meinung gelangt, dass dort drinnen dringend Hilfe benötigt wird.«

      »Das ist das Zimmer von Frau Idelsberger. Sie und ihre Familie kehren seit vielen Jahren immer wieder bei uns ein. Ihr Gatte ist allerdings heute am späten Nachmittag schon abgereist.«

      »Dann befürchte ich, dass Frau Idelsberger ernsthaft erkrankt ist. Es hört sich nach einer Art Anfall an. Ich habe bereits angeklopft, aber das Zimmer ist von innen verschlossen.«

      »Ich komme umgehend.« Monsieur Gisbert drehte sich zum Schlüsselbrett um, trat hinter dem Empfangstresen hervor.

      Er folgte Mrs. Christie die Treppe hinauf, eilte mit ihr die Flure entlang und blieb schließlich vor der Tür des besagten Zimmers stehen. Er lauschte. Und richtig: Aus dem Zimmer drangen gequälte Geräusche, die nichts Gutes verhießen. Monsieur Gisbert klopfte energisch an die Zimmertür.

      »Frau Idelsberger?«, rief er, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Nur ein weiteres Stöhnen drang zu ihnen auf den Hotelflur hinaus. Monsieur Gisbert ergriff die Türklinke und rüttelte heftig daran, aber ohne Erfolg. Ungeachtet der späten Stunde hämmerte