Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620. Robert Ralf Keintzel

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Название Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620
Автор произведения Robert Ralf Keintzel
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783969870006



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Name leitete sich vom Anspruch ab, die Traditionen des Römischen Reiches fortzusetzen sowie das Kaisertum mit Gottes Willen zu legitimieren.27 Otto I benütze darüber hinaus das Reichskirchensystem als Stütze der Königspolitik für die nächsten 120 Jahre, auch vollendete er den Prozess einer Schaffung von Reichsidentität ab dem Vertrag von Verdun. Er ließ sich von allen Stämmen als König wählen und vergab die wichtigsten Positionen und die Herzöge als Ämter.28 Otto I oder auch Otto der Große war ein wahrhaft bedeutender Herrscher, welcher im Jahr 955 einen wichtigen Sieg gegen die Ungarn errang. Was aber häufig nicht bekannt ist, ist, dass er im Jahr 957 schwer erkrankte, so stellte er jedes Jahr durchschnittlich zehn Diplome aus, dies war das vornehmste Geschäft des mittelalterlichen Herrschers. Ab dem 12. Dezember 956 bis zum Januar 958 begann aber eine Pause von gut 13 Monaten, wobei kein Diplom ausgestellt wurde. Seine Krankheit wurde verschwiegen und nur bei den Chronisten Widukund von Korvey findet man verdächtig beiläufig:29

      „Um diese Zeit begann der Kaiser auch selbst zu erkranken, aber durch die Verdienste der Heiligen.vor allem durch den Schutz des berühmten Märtyrers Vitus – des Patrons von Korvey – wurde er von seiner Krankheit wieder gesund.“30

      Kranksein war für mittelalterliche Könige gefährlich, nach innen, da Thronstreitigkeiten aufflammen konnten, und nach außen durch Nachbarn sowie Feinde, wenn eine Schwäche aufgrund einer Krankheit erkannt wurde. Ein Herrscher musste daher seine Stellung repräsentieren, an der Spitze seines Heeres reiten, sichtbar sein für Volk und Adel, also insgesamt „fest im Sattel sitzen.“ Daher kann man in den Chroniken auch fast nichts lesen, was auf eine Krankheit oder auf eine Beeinträchtigung hindeutet, da dieses durch Weihe und Gottesgnadentum für einen König ein Makel darstellte. Es war daher bereits eine Besonderheit, als der abgesetzte sowie verstümmelte byzantinische Herrscher Justinian II Anfang des 8. Jahrhunderts mit abgeschnittener Nase und nach zehn Jahren Exil den Kaiserthron von Konstantinopel bestieg.31

Picture 5

      Abbildung 3:

      Das Heilige Römische Reich um das Jahr 1000 mit den Grenzen von 972 unter Otto I. und 1032 unter Konrad II. Bereits um das Jahr 1000 war das heutige Deutschland im Gebiet des Römischen Reiches vertreten.

      Die Nachfolger Otto I. waren Otto II. und Otto III. Otto II. herrschte in den Jahren 973 bis 983 und konnte sich, auch wenn sehr kurz, der Stabilisierung des Reiches nach außen und innen widmen. Otto II. starb im Alter von 28 Jahren anhand einer falsch behandelten Malariaerkrankung. Auf ihn folgte Otto III., der in den Jahren 983 bis 1002 herrschte. Seine Herrschaft wurde durch ein neues Konzept für Europa gekennzeichnet, darin wollte er ein supranationales Reich unter seiner Herrschaft erschaffen. Eine Renovatio Imperii Romanorum, das heißt ein Wiederbeleben des alten Römischen Reiches, unter dessen Herrschaft es keine verschiedenen Nationen gibt, sondern nur ein europäisches bzw. übereuropäisches Gesamtkonstrukt.32 Das deutsche Reich stellte unter den Ottonen wie auch später keinen einheitlichen oder zentralisierten Staat dar. So gab es keinen regelmäßigen Austausch von Informationen, Anweisungen, Rückfragen oder Vollzugsmeldungen zwischen dem König und seinen Grafen. Zusätzlich war die äußere Grenzziehung der Grafschaften nicht klar und die Grundherrschaft im Inneren nicht homogen.33 Auf die Ottonen folgte Heinrich II., dessen Vater ein Urenkel Heinrichs I. war. Heinrich II. hatte viel Arbeit, denn das Reich war von innen und außen bedroht. Trotz der großen Herausforderungen konnte er das Reich sichern, rückte dabei aber von der Renovatio Imperrii Romanorum ab. Stattdessen verfolgte er eine Renovatio Regni Francorum, das heißt eine Realpolitik der Erneuerung des Frankenreiches, da ihm auch die Möglichkeiten von Stabilität im Herrschaftsraum fehlten.34 Im Jahr 1022 marschierte Heinrich II. Papst Benedikt VIII. zu Hilfe. Heinrich II. musste den Feldzug wegen einer Malariaerkrankung abbrechen und starb zwei Jahre später. Seine Gattin Kunigunde überlebte ihn und starb im Jahr 1040. Ihre Ehe blieb kinderlos. Ihre Kinderlosigkeit wurde religiös begründet und war damit weitestgehend akzeptiert. Kunigunde selber war die Tochter des Grafen von Luxemburg. Dieser hatte eine so schwache Gesundheit, dass seine Fürsten ihn für nicht regierungsfähig hielten.35 Ab den Jahr 1024-1125 konnten die Salier sich zu den Herrschern des Römischen Reiches aufschwingen.36 Auf die Salier geht der Ausspruch ‚Hinz und Kunz‘ zurück. Häufig hatten sie die Vornamen Konrad und Heinrich. Später, im 12. Jahrhundert, fiel dann ein Wandel im königlichen Verständnis von Herrschen auf; so wurde das Reich vermehrt als zu gestaltender Herrschaftsraum betrachtet. In dieser Zeit versuchte auch der König, den vorstaatlichen Partikularismus zu unterbinden, indem Bestrebungen der Zentralisierung sowie der Ausweitung des Königsbesitz unternommen wurden. Diese Versuche hatten aber im 12. bis 13. Jahrhundert keinen großen Erfolg.37 Um sich aus der Abhängigkeit der partikulären Kräfte von Klerus und Adel zu bewegen, wurden Unfreie als sogenannte Ministerialen in dem königlichen Dienst eingesetzt, um königliche Interessen durchzusetzen, was langfristig zu einer Steigerung im Hinblick auf die soziale Mobilität führte.38 Im Fokus dieser Zeit standen auch besonders die großen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst, wobei der Investiturstreit maßgebend war. Im Investiturstreit stritten sich beide Seiten darüber, wer den Klerus nach dem Eigenkirchenrecht in ein geistliches Amt einsetzen dürfe. Die Auseinandersetzung eskalierte unter Heinrich IV und Papst Gregor VII, welcher Heinrich IV exkommunizierte. Damit kam der Kaiser des Römischen Reiches in große politische Bedrängnis und musste sich schlussendlich im Jahr 1077 im sogenannten Gang von Canossa dem Papst unterwerfen. Dieser nahm ihn daraufhin wieder in die christliche Gemeinschaft auf, wodurch aber die Position des Kaisers gegenüber dem Papst zukünftig geschwächt war. Im Wormser Konkordat wurde der Investiturstreit im Jahr 1122 schließlich beigelegt.39 In dieser Zeit gab es nicht nur Konflikte zwischen Kaiser und Papst, sondern auch zwischen dem römisch-katholischen Papst und den orthodoxen Patriarchen. Aus diesen Konflikten zwischen römisch-katholischer wie auch orthodoxer Seite resultierte das morgenländische Schisma von 1054, wobei sich die orthodoxe sowie die römisch-katholische Kirche trennten. Nach dem Geschlecht der Salier folgte ein Streit zwischen Lothar III und Konrad III um die Herrschaft im Römischen Reich.40 Erst der Sohn Konrads III, Friedrich I Barbarossa, konnte seine Herrschaft festigen.41 Dass es zum Machtkampf kam, lag auch daran, dass Herzog Friedrich der Einäugige, Barbarossas Vater, auf Grund einer Kampfverletzung nur noch ein Auge hatte. Daneben spielte auch die nicht geheim zu haltende Malariaerkrankung von Konrad III eine Rolle. Barbarossa lernte aus den Folgen für einen beeinträchtigten Thronanwärter und schob frühzeitig seinen beeinträchtigten oder kränklichen Sohn Friedrich zugunsten seines zweiältesten Sohns in der Thronfolge zur Seite. In dieser Zeit setzte dennoch eine stärkere naturwissenschaftliche Beobachtung der Herrschenden ein, da eine längere Krankheit wie bei Raimund IV von Toulouse (1041-1105) oder mehrfache Krankheiten wie bei Richard Löwenherz (1157-1199) nicht geheimgehalten werden konnten.42 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kam es zu einer spürbaren Veränderung in der Möglichkeit von Herrschaft mit Beeinträchtigung; hierbei markiert der Sommer 1174 mit der Königskrönung eines 13-jährigen Knaben zum König von Jerusalem einen wichtigen Meilenstein. Dieser Knabe war Balduin IV oder, wie manche Franzosen ihn nannten, „le roi mesel“ – der Aussätzige. Balduin IV hatte Lepra, was auch vor seiner Krönung bekannt war. Dennoch setzte sich in seinem Fall das Erbprinzip entgegen des Idoneitätsprinzips durch. Die Lepra behinderte Balduin sehr, daher ist der Schritt der Königskrönung bemerkenswert. Später verschlimmerte sich sein gesundheitlicher Zustand und er musste im Jahr 1176 auf einer Sänfte von Askalon nach Jerusalem getragen werden, da er nicht mehr alleine reiten konnte, nachdem er einen Staatsbesuch in Askalon angetreten hatte. Seine Nachbarn warteten, ihn beerben zu können, so der Graf von Tripolis und der Fürst von Antiochia, welche bei einen schweren Schub Balduins IV im Jahre 1180 plötzlich erschienen. Hierbei liegt nahe, dass sie sich nach dem Tod Balduins Jerusalem bemächtigen wollten. Die Beeinträchtigung behinderte Balduin immer mehr, er konnte sich im Jahr 1182 kaum noch aufrechthalten, dennoch reiste er viel im Jahr an der Spitze des Heeres und zog Monate gegen Saladin, ein muslimischer Feldherr, in den Kampf. Hierbei brachte er Saladin seine einzige Niederlage bei. Im Jahr 1183 stand Balduin wieder an der Spitze des Heeres im Kampf gegen Saladin, dabei erlitt er einen erneuten Schub, welcher zur Erblindung Balduins führte und einer endgültigen Verfaulung seiner Extremitäten, sodass er Hände und Füße nicht mehr benutzen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er strikt eine Niederlegung der Königswürde (dignitas) oder der Regierung (administratio) abgelehnt. Obwohl sein Körper