Название | Festa mortale |
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Автор произведения | Astrid Plötner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954752300 |
»Entschuldige, Schatz. Ich bin im Büro auf der Chaiselongue eingeschlafen und eben erst aufgewacht. Ich habe da einige Fälle, die ich dringend bearbeiten wollte. Außerdem ist da ein Mandant, der mich nervt, weil er unbedingt in die Berufung gehen will. Ich habe geprüft, ob …«
»Das ist mir jetzt völlig egal, Thomas«, schluchzte Birte. »Du musst sofort nach Hause kommen. Oder nein. Du solltest besser in der Kanzlei bleiben. Die Polizei war hier und hat das Haus durchsucht. Als Nächstes wollen sie sich dein Büro vornehmen.«
Thomas Sobek meinte, sich verhört zu haben. »Wie, mein Haus durchsucht? Warum? Hatten sie eine richterliche Anordnung?« Er hörte Birte weinen, hätte sie gerne in den Arm genommen und getröstet.
»Torben ist verschwunden! Man hat ihn das letzte Mal gestern Abend auf dem italienischen Fest gesehen. Und jetzt glaubt die Polizei, du hättest ihn entführt. Alessia muss es wohl am ehesten dir zutrauen.«
Sobek setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Sein Herz begann fest gegen seine Brust zu wummern. »Was genau ist passiert?«, presste er hervor, kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Alessia ist mit Torben auf dem italienischen Fest gewesen und dort mit ihm Riesenrad gefahren. Von oben hat er wohl geglaubt, dich zu sehen, und ist nach der Fahrt einfach losgerannt. Sie hat ihn danach nicht mehr gesehen. Warst du auf dem italienischen Fest?«
Klang da so etwas wie Zweifel in Birtes Worten? Traute sie ihm etwa eine Entführung zu? »Ich habe gearbeitet«, sagte Sobek schroffer als beabsichtigt. »Ich habe die Kanzlei nur einmal verlassen, um mir eine Pizza zu holen. Da die Fußgängerzone aus den Nähten platzte, bin ich außen herum zum Rathausplatz gegangen. Wollte mir eigentlich bei Riccardo etwas zu essen holen, aber auch sein Stand war brechend voll. Da bin ich aufs Rathausrestaurant ausgewichen.«
»Also könnte Torben dich tatsächlich gesehen haben.«
»Möglich. Das Riesenrad steht ja vor dem Rathaus. Ich habe ihn jedenfalls nicht gesehen. Warum hat Alessia nicht aufgepasst? Ich mache mich sofort auf den Weg.«
»Ich glaube, es ist besser, du bleibst im Büro. Die Polizei will deine Kanzlei durchsuchen. Du kannst ihnen sicher klarmachen, dass du nichts mit Torbens Verschwinden zu tun hast.«
»Natürlich. Hoffentlich kann ich helfen, ihn wiederzufinden.«
Ein anderes Gespräch kündigte sich durch Klopfen an. »Ich muss schlussmachen Birte, ich melde mich gleich noch mal bei dir. Küsschen«, verabschiedete er sich. »Alessia«, begrüßte er dann seine Ex.
»Was hast du mit Torben gemacht«, keifte diese ihn sofort an. »Wo ist er? Bring ihn sofort her! Sonst bringe ich dich um!«
Sobek atmete tief. »Torben ist nicht bei mir. Ich habe die Nacht in der Kanzlei verbracht, weil ich dingend etwas aufarbeiten musste. Ich habe gerade erst von Birte …«
»Spar dir deine verdammten Ausreden, du Mistkerl! Du wirst mir jetzt sofort sagen, wo Torben ist. Die Polizei ist bereits auf dem Weg zu dir. Also lass die Spielchen! Mein Vater wird all seine Kontakte nutzen. Du weißt, was ich meine. Wo ist Torben?«
Thomas Sobek verdrehte die Augen. Immer diese Anspielungen auf die Mafia. Als wenn jeder Italiener mal eben so einen Mafioso aus dem Ärmel ziehen könnte, um Druck auszuüben. Sein ehemaliger Schwiegervater Riccardo, mit dem er sich immer noch ausnehmend gut verstand, hatte ihm zudem versichert, dass er über keinerlei solche Kontakte verfügte und froh darüber war. »Mach dich nicht lächerlich, Alessia!«, sagte er daher. »Ich weiß nicht, wo Torben ist!«
»Er hat dich gesehen!«, schrie seine Ex-Frau.
Sobek stand auf, trat an die große Fensterfront seines Büros und blickte auf den Westfriedhof. Alte verwitterte Grabsteine unter hohen Bäumen. Viel Grün. Dieser Ausblick hatte ihn schon immer beruhigt. »Das kann sogar möglich sein. Ich wollte mir gestern Abend am Stand deiner Eltern eine Pizza holen. Es war mir aber zu voll, da bin ich ins Rathausrestaurant gegangen.«
»Du lügst! Du hast Torben mitgenommen! Erst gestern hast du mir gesagt, du willst ihn zurückholen.« Sie weinte.
»Alessia«, erklärte Sobek in versöhnlichem Ton. »Ich war wütend, weil du immer so ein Fass aufmachst, wenn ich etwas mit Torben unternehmen will. Du weißt genau, wie sehr er sich einen Besuch im Disneyland wünscht. Warum freust du dich nicht einfach für ihn? Ganz davon ab: Natürlich bleibt Torben bei dir. Birte und ich werden vielleicht ein eigenes Kind adoptieren. Ein Baby. Aber das hat noch Zeit. Birte ist ja noch jung und erst einmal müssen wir heiraten.«
Einen Moment lang blieb seine Ex-Frau stumm. Sie schien die Neuigkeiten erst verarbeiten zu müssen. Sie wusste, dass Birte keine eigenen Kinder bekommen konnte. Da lag die Möglichkeit einer Adoption doch auf der Hand.
»Er hat dich gesehen«, wiederholte sie leise.
»Das glaube ich dir ja, Alessia. Aber Torben ist nicht bei mir. Wir sollten jetzt gemeinsam überlegen, wo er sich aufhalten könnte. Er läuft doch nicht so einfach weg.« Sobek drehte sich vom Fenster weg und lief unruhig in seinem Büro auf und ab. Hätte er doch sein Smartphone nicht ausgeschaltet und wenigstens die Anrufe von Torben angenommen.
Seine Ex schluchzte. »Ich habe alle Freunde, Bekannte und Verwandte angerufen. Da ist er nicht. Wenn er nicht bei dir ist, muss er entführt worden sein.«
»Alessia, ich …« Es klingelte. »Entschuldige, ich glaube, die Polizei ist da. Ich melde mich später zurück.«
Sobek eilte in den Vorraum der Kanzlei, wo sich am Platz seiner Sekretärin der elektrische Türöffner mit Bildschirm befand. Sein Büro befand sich im Obergeschoss, das Erdgeschoss nutzte ein befreundeter Notar. Man hatte sich geeinigt, das Haus mit Kameras zu sichern. Der gesamte Eingangsbereich wurde erfasst, damit sich keine ungebetenen Gäste Zugang zum Haus verschaffen konnten. Sobek stutzte nun, als er auf den Bildschirm schaute. Da stand Torben vor der Tür. Er wirkte eingeschüchtert, nicht so aufgeweckt wie sonst. War er von zu Hause weggelaufen? Hatte es Streit mit Alessia oder den Großeltern gegeben, die mit im selben Haus lebten? Hatte er vielleicht sogar mitbekommen, dass seine Mutter ihm den Besuch ins Disneyland verbieten wollte? Warum war er dann nicht sofort zu ihm gekommen? Wo hatte er die Nacht verbracht?
Sobek betätigte den Türöffner und ging sofort zur Etagentür, um sie aufzuschließen. Er hörte Schritte im Treppenhaus, konnte kaum erwarten, seinen Sohn in die Arme zu schließen. Die Erleichterung darüber, dass es ihm gutging, war grenzenlos. Endlich nahm Torben die letzte Treppenbiegung und kam verhalten auf ihn zu. Er wirkte blass, als sei er gesundheitlich angeschlagen oder habe in der Nacht keinen Schlaf gefunden. Erst jetzt bemerkte Thomas Sobek, dass Torben nicht allein kam. Seine Begleitung trug Sneakers, die kaum einen Laut verursachten. Sie hielt den Kopf gesenkt, sodass man das Gesicht nicht erkennen konnte. Den Anwalt beschlich ein mulmiges Gefühl, eine düstere Vorahnung, dass die Person nichts Gutes im Schilde führte.
5. Kapitel
Das Gebäude in der Massener Straße, in dem sich die Kanzlei von Thomas Sobek befand, wirkte auf Maike Graf wie ein überdimensionaler Würfel aus Sandstein und Glas. Die hoch am Himmel stehende Sonne reflektierte ihre Strahlen in den Glasflächen und ließ Maike blinzeln. Dennoch konnte sie sehen, dass sämtliche Fenster von innen mit Jalousien verdunkelt waren. Maike las auf der Tafel, die als Wegweiser auf dem Bürgersteig stand, dass sich das Büro des Anwalts im ersten Stock befand. Mit Blick auf ihre Armbanduhr erkannte sie, dass sie viel zu früh angekommen war. Die Info von Sören Reinders, sie solle bei der Durchsuchung der Büroräume zugegen sein, hatte sie noch in ihrer Eigentumswohnung erreicht. Eigentlich war heute ihr freier Tag, aber beim Verschwinden eines Jungen war jeder Mitarbeiter gefragt. Kurz nach dem Anruf von Reinders hatte Alessia Sobek sie angerufen und ihr mitgeteilt, ihr Mann Thomas habe sie angerufen. Er habe in der Kanzlei übernachtet, wo er sich immer noch befinde, Torben sei nicht bei ihm gewesen. Mit etwas Glück hielt Thomas Sobek sich auch jetzt noch in seiner Kanzlei auf.
Maike