Festa mortale. Astrid Plötner

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Название Festa mortale
Автор произведения Astrid Plötner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954752300



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er langsam zwei Schritte vor, da rechts an der Wand neben dem Eingang ein Schrank stand, der ihm die Sicht versperrte.

      »Scheiße«, schrie er plötzlich. Er steckte die Waffe zurück ins Holster und verschwand aus dem Blickfeld von Maike. »Wir haben hier einen Tatort«, rief er dann. »Jemand muss sich um den Jungen kümmern. Er liegt vom Eingang links auf einer Chaiselongue.«

      Sören Reinders und Maike betraten das Büro, hielten sich dabei an der Wand, um möglichst wenige Spuren zu zerstören. Was Maike dann sah, raubte ihr für einen Moment den Atem. Teubner beugte sich gerade seitlich über den Schreibtisch am anderen Ende des Raums, hinter dem Thomas Sobek auf seinem Schreibtischstuhl saß. Sein Oberkörper lag auf der Tischplatte, Blut breitete sich darunter aus. Eine weiße Schreibtischunterlage, die als großes Notizblatt genutzt werden konnte, hatte sich rot verfärbt. Teubner zog Handschuhe an und tastete am Hals nach dem Puls, dann drehte er vorsichtig den Kopf Sobeks und man erkannte deutlich ein Einschussloch an der Stirn.

      Lina von Haunhorst, die nur zwei Schritte in den Raum getreten war, um sich ein Bild zu machen, wies sofort Polizeihauptkommissar Schmidtke an, einen Rettungswagen und die Kriminalhauptstelle in Dortmund zu informieren. »Der Kollege Hübner leitet die Ermittlungskommission um den verschwundenen Torben, da ein offensichtlicher Zusammenhang besteht, ist er auch für den Mord an dessen Vater zuständig. Hoffentlich kann ich Hübner erreichen.« Sie wandte sich von der Bürotür ab und ging auf Sabine Brandt zu, die fragend über ihren Tresen blickte. »Es tut mir sehr leid. Ihr Chef wurde erschossen. Sie sollten sich noch eine Weile zur Verfügung halten. Außerdem benötigen wir gleich eine Speichelprobe von Ihnen und Ihre Fingerabdrücke als Vergleichsmaterial. Ist das möglich?«

      Maike hörte die Antwort der Sekretärin nicht mehr. Ihr Blick war auf die Chaiselongue gerichtet, auf der ein Junge lag. Man hatte ihm die Augen verbunden und die Hände mit einem Seil gefesselt. Reinders kniete neben ihm und tastete nach seinem Puls. Maike ging neben Reinders in die Hocke.

      »Und?«, fragte sie kaum hörbar.

      »Er ist ohne Bewusstsein«, erklärte ihr Kollege. »Und sein Puls ist schwach. Wir sollten ihn in die stabile Seitenlage bringen.«

      »Der Notarzt ist unterwegs«, sagte sie knapp und half Reinders, den Jungen auf die Seite zu drehen, danach begann sie sofort, ihm die Fesseln zu lösen und die Binde von seinen Augen zu entfernen. Es handelte sich eindeutig um Torben Sobek. Sie schaute sicherheitshalber noch mal auf das Foto, das Polizeihauptkommissar Schmidtke gestern an sie weitergeleitet hatte. Dunkelbraune kurze Haare mit fransigem Pony, braune Augen, schmales und blasses Gesicht, dazu eine fast zerbrechliche Figur. Es gab keinen Zweifel. Was hatte der kleine Kerl seit gestern Abend nur erleben müssen? Hatte er seinen Vater tatsächlich auf dem italienischen Fest getroffen und ihn in die Kanzlei begleitet? Was war danach geschehen? Und wer hatte Thomas Sobek erschossen?

      Das laute Geheul eines Martinshorns näherte sich. Kurz darauf drängte der Notarzt mit zwei Sanitätern in Sobeks Büro. Maike zog sich ins Foyer zurück, wo Staatsanwältin von Haunhorst mit den Kollegen wartete. Bange Minuten verstrichen. Was war mit dem Jungen? Wieso war er bewusstlos? Hatte er mit ansehen müssen, wie sein Vater erschossen wurde? Mit was für einem grausamen Täter hatten sie es hier zu tun? Maike zog in Erwägung, Alessia Sobek zu informieren. Allerdings erschien es ihr dann doch sinnvoller, zu warten, bis man Genaueres über den Zustand ihres Sohnes wusste. Endlich tat sich etwas im benachbarten Büro. Maike sah, dass Torben auf eine Trage gelegt und festgeschnallt wurde. Ein Infusionsbeutel baumelte über ihm. Er war immer noch bewusstlos. Die Sanitäter brachten ihn heraus, um ihn zum Notarztwagen zu bringen. Der Arzt trat auf Maike zu. Er hielt eine Spritze in seiner behandschuhten Hand.

      »Die lag unter dem Rücken des Jungen. Ich vermute, sie wurde absichtlich dort deponiert, damit sofort klar ist, was dem Kind fehlt. Es handelt sich um ein gängiges Betäubungsmittel. Es ist also anzunehmen, dass Torben bald wieder aufwacht.« Er lächelte aufmunternd.

      Maike nickte. »Vielen Dank für die Information.« Sie fischte einen Beweissicherungsbeutel aus ihrer Jacke und bat den Arzt, die Spritze hineinfallen zu lassen. »Bleibt zu hoffen, dass Torben vor dem Mord an seinem Vater betäubt wurde.«

      Der Notarzt nickte. »Möchten Sie das Kind begleiten? Oder ist ein Verwandter anwesend?«

      »Ich werde die Mutter sofort informieren. Bis sie kommt, würde ich gerne bei dem Jungen bleiben. Später bräuchte ich von Ihnen und den Sanitätern noch eine Speichelprobe für die Vergleichs-DNA.« Maike blickte fragend zu Staatsanwältin von Haunhorst und nahm dankbar deren Nicken wahr. Sie zog ihr Smartphone aus der Hosentasche. »In welches Krankenhaus wird der Junge gebracht?«

      »Kinderklinik Dortmund, Beurhausstraße.«

      Alessia Sobek war bereits beim zweiten Rufton in der Leitung. Maike hielt sich mit detaillierten Erklärungen zurück. Sie sagte nur, man habe Torben gefunden und es ginge ihm den Umständen entsprechend. Alessia Sobek solle in die Kinderklinik kommen, dort würde sie alle Einzelheiten von Maike erfahren.

      6. Kapitel

      Seit einer Ewigkeit verstecke ich mich auf diesem gruseligen, dunklen Friedhof. Ich hocke geduckt hinter einem Grabstein. Mein Herzschlag rast. Meine Glieder fühlen sich kraftlos an. Ich kann mich kaum beruhigen. Ich habe es tatsächlich getan!

      Den Schlüssel zum Büro seiner Kanzlei habe ich in einen der Büsche geschmissen. Ich denke, es war ein kluger Schachzug von mir, die Tür hinter mir abzuschließen. Es hat mir sicher ein wenig Luft verschafft. Ich brauche Zeit, um von hier zu verschwinden.

      Niemals hätte ich gedacht, dass ich einen Menschen erschießen könnte. Ich kenne die Geschichte von Thomas Sobek, weiß, dass er Dinge getan hat, die nicht korrekt sind.

      Aber rechtfertigt das einen kaltblütigen Mord?

      Sobeks vor Schreck aufgerissene Augen werden sich in meine Seele brennen. Wie sie entsetzt auf den Lauf meiner Waffe starren. Er hatte Angst. Und er konnte nicht verstehen, warum er sterben soll. Hätte ich ihm das erklären sollen?

      Ich habe es vorgezogen, zu schweigen. Ich musste mich auf meine Mission konzentrieren. Der Junge lag währenddessen bewusstlos auf der Liege. Ich würde es bedauern, wenn er im Unterbewusstsein mitbekommen hätte, was ich getan habe.

      Thomas Sobek ist nun der dritte Mensch, der durch meine Verantwortung gestorben ist. Er wird nicht der letzte sein.

      Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich vieles anders machen. Aber nun muss ich mit meiner Schuld leben.

      Ich bin ein Mörder!

      7. Kapitel

      Staatsanwältin Lina von Haunhorst setzte den leitenden Ermittler Jochen Hübner sofort nach seiner Ankunft über die aktuellen Ereignisse des Falles Torben Sobek in Kenntnis. Teubner beobachtete die beiden und bemerkte, wie vertraut sie miteinander umgingen. Das Team der Spurensicherung war bereits bei der Arbeit. Man hatte nach kurzer Besprechung beschlossen, den Tatort einzufrieren. Deshalb wurde ein 3-D-Laser-Scanner eingesetzt. Der Scanner konnte mit Hilfe von Laserstrahlen, die innerhalb von einer Minute und 41 Sekunden eine sogenannte Punktwolke erzeugten, ein 3-D-Bild generieren. Die Aufnahmen würden die Situation am Tatort konservieren. So ließ sich Sobeks Büro mit allen Details für weitere Ermittlungen sichern. Man konnte die Begebenheiten jederzeit rekonstruieren und aus verschiedenen Perspektiven ansehen. Auch bei einem späteren Prozess könnten die Aufnahmen helfen, das Geschehen besser nachzuvollziehen. Verändert worden war der Tatort zu diesem Zeitpunkt nur durch das Fehlen von Torben Sobek. Inzwischen waren die Kollegen der Kriminaltechnik bereits dabei, die vorhandenen Spuren zu sichern, zunächst untersuchten sie den engeren Tatort. Dazu gehörte in erster Linie Sobeks Büro, aber auch das Foyer, der Konferenz- und der Waschraum, sowie das Treppenhaus samt Eingangsbereich. Später würde noch der erweiterte Tatort dazukommen: Möglicherweise hatte jemand in der Nachbarschaft den Schuss gehört. Man musste die Fluchtwege checken, eventuelle Überwachungskameras prüfen und nach der Tatwaffe Ausschau halten, die der Täter vielleicht bei der Flucht weggeworfen hatte.

      Teubner riss seinen Blick von einem DNA-Fachmann mit Ganzkörper-Schutzkleidung los, der gerade mit einem Wattestäbchen Abstriche von Stellen