Название | Ernst Happel - Genie und Grantler |
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Автор произведения | Klaus Dermutz |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783895339356 |
Merkel wirft dem sieben Jahre jüngeren Kollegen vor, er müsse für ihn die Laufarbeit übernehmen. Happel hingegen kontert Merkels Attacke mit dem Hinweis, er selbst müsse deshalb nicht so viel Laufarbeit verrichten, weil er immer im entscheidenden Moment am Ball sei; er sehe schon, was der Gegner mit dem Ball vorhabe, er brauche nur noch schnell dazwischenzufahren, um die Gefahr zu bannen. Da die Gegner meistens über keine sichere Ballbehandlung verfügen würden, nehme er einfach den von den Füßen abspringenden Ball und leite den nächsten Rapid-Angriff ein. Der »Lange«, wie Merkel bei Rapid genannt wird, hat freilich nicht viel übrig für Happels Äußerungen, sie sind für ihn nur die Ausreden eines faulen Verteidigers.
Die Beziehung zwischen Happel und Merkel ist eine gut gepflegte Feindschaft. Immer wieder geraten die beiden aneinander. Bei einem Rapid-Spiel im Pariser Prinzenparkstadion kommt es fast zu einer Prügelei. Beide verlassen das Spielfeld, kehren aber wieder auf den Rasen zurück, als sie merken, dass ihr Trainer die Kabinentür zugesperrt hat.
Merkel wird als die »G’wandlaus« gesehen, die die Gegner zermürbt. Er selbst sieht es als seine Aufgabe, bei Kopfbällen die Stürmer abzudrängen, der technisch versierte Happel werde mit dem Ball schon etwas anzufangen wissen. Die Rivalität wird auch durch den Umstand geschürt, dass der jüngere Happel der erfolgreichere Spieler ist. Happel ist nicht nur eine Stütze von Rapid, sondern auch der Nationalmannschaft. Merkel hingegen bringt es 1952 nur zu einem einzigen Spiel im österreichischen Nationalteam. Außerdem durfte er 1939 einmal für die »großdeutsche« Mannschaft auflaufen.
1956 wird für Happel bei Rapid aus dem Mitspieler Merkel der Trainer Merkel. Merkel hatte seine Trainerkarriere in den Niederlanden bei HSB Den Haag begonnen. Anschließend hatte er in zehn Spielen die niederländische Nationalmannschaft betreut. Zu Rapid zurückgekehrt, spielt er seine neue Autorität gegenüber Happel aus. Genüsslich erzählt er von einem Schlagabtausch vor einem Training: »Als ich die Mannschaft zum Training rausschick’, durch den berühmten Tunnel, sag’ ich: ›Happel, du bleibst da!‹ Und pack’ ihn: ›Du hast alle Schlechtigkeit der Welt, aber als Fußballer bist du genial. So begnadet wie Mozart für die Musik. Wenn man bei dir bei einem Ohr reinschaut, sieht man beim anderen wieder raus. Nix im Schädel.‹«15
Für Trainer Merkel ist komplette Erniedrigung des Spielers eine motivationsfördernde Maßnahme. Die Hassliebe zwischen Merkel und Happel wird auch viele Jahre nach der gemeinsamen Rapid-Zeit gut gepflegt. Happel macht sich über seinen ehemaligen Mitspieler und Trainer in den 1980er Jahren mit der Bemerkung lustig, dass auch ein schlechter Fußballer ein guter Trainer werden könne. Happel nennt keinen Namen, aber die Fußballinteressierten wissen, wer damit gemeint ist.
Die Erfindung des »statischen Liberos«
In der Saison 1945/46 wird Happel im Alter von 20 Jahren zum ersten Mal Österreichischer Meister und auch Pokalsieger. In der Meisterschaft kommt er auf sechs Einsätze, im Pokal auf drei.
Franz »Bimbo« Binder spielt nach seinem Abschied aus dem Nationalteam am 5. Oktober 1947 noch ein gutes Jahr bei Rapid und macht es sich – ab 1946 auch in der Funktion des Sektionsleiters – zur Aufgabe, eine Mannschaft zu formen, die auch international bestehen kann.
Happel erlebt unter Binder einen kometenhaften Aufstieg, avanciert zu einem der größten Rapid-Spieler und zum Liebling der Fans. Er genießt, wie Marschik schreibt, die »ungeheure Fußballbegeisterung der Nachkriegsjahre. Die Zuschauerzahlen erreichen enorme Ausmaße. Happel ist ein Star in seiner Heimatstadt, wird überall erkannt und bejubelt. (…) Es war die nationale wie die persönliche Euphorie, die aus Happel einen überaus kreativen Spieler machte. Das betraf seine viel zitierten Kunststückchen (etwa das Ballstoppen mit dem Hintern) ebenso wie seinen Mangel an Lauffreudigkeit, den er sich nur leisten konnte, weil er die weitere Entwicklung des Spiels vorausahnte. Diese Fähigkeit hatte er entwickelt, indem er seine Kontrahenten, aber auch die Taktik der gegnerischen Teams stets genau beobachtete. So war es Ernst Happel, der Neuerungen im Spielstil am schnellsten begriff und in die Praxis umsetzte.«16
Für Entwicklungen im Fußball ist Happel äußerst aufgeschlossen. Was er an innovativen Ideen kennenlernt, bezieht er in sein Spiel ein. Als Rapid 1949 zum 50-jährigen Vereinsjubiläum eine Brasilien-Tournee unternimmt, wird die gesamte Mannschaft unter Trainer Hans Pesser in den Bann einer neuen Spielweise gezogen, die für die Verteidiger eine größere Freiheit mit sich bringt. Für Pesser setzt das brasilianische System eine flexible Spielweise voraus, »in dem sich alle Spieler zu jeder Zeit ständig bewegen müssen. Mit Ball und auch ohne. Die deckenden Läufer und Verbinder müssen sich, wenn die Mannschaft in Ballbesitz ist, blitzschnell in den Angriff einschalten. ›Mit neun Mann stürmen, mit neun verteidigen.‹ Das war Pessers Formel, die nicht selten hämisch kommentiert wurde: ›Ja, weil zwei und zwei fünf ist.‹ Selbst den Vergleich mit der Ziehharmonika wollten die meisten nicht gelten lassen. Dabei war es, wie alles Geniale, im Prinzip ganz einfach. Wenn die Wucht des Angriffs die Rapidspieler wie geplant nach hinten drückt, verengt sich automatisch der Raum, der Angriff läuft sich fest. Und schafft umgekehrt den Raum für die ›spezifiken Kontraattacks‹, wie es der Ausputzer Happel viele Jahre später nennen würde.«17
Während die Verteidiger die Angriffe zu stoppen versuchen, hat Happel einen enormen Zeitvorteil, um sich einen Überblick zu verschaffen und gefährliche Situationen zu bereinigen. Außerdem nutzt er immer wieder die Möglichkeit, mit genauen 40-Meter-Pässen Angriffe einzuleiten. Er »erfindet« den »statischen Libero«, den er sich von den südamerikanischen Mannschaften abschaut und für die eigenen Fähigkeiten modifiziert. Er hätte auch den »beweglichen Libero« spielen können: »Es geht nur um die Laufarbeit. Aber taktisch versiert war ich dafür prädestiniert. Das hat unser Sektionsleiter Bimbo Binder auch erkannt und sofort umgeschaltet: Wir waren die erste Mannschaft, die 1950 in Brasilien gegen übermächtige Gegner spielte und draufkam: Unser Pyramidensystem – zwei Verteidiger, drei Läufer, fünf Stürmer, davon einer zurückgezogen – war nicht mehr aktuell! Da waren uns die Brasilianer weit voraus. Wir übernahmen deren System, hatten einen Bombenerfolg, von 70 Spielen nur eines verloren – und innerhalb von drei Monaten spielte auch unser Nationalteam mit sechs bis neun Rapidlern ›brasilianisch‹.«18
Merkel macht aus der Umstellung im Nachhinein einen flotten Spruch und sagt, die Rapidler hätten sich bei den Begegnungen mit den brasilianischen Mannschaften ihr Wiener Spiel ins Haar schmieren können.
Wiener Pioniere
Nach der Rückkehr aus Brasilien ist Happel ein gern gesehener Gesprächspartner bei den Journalisten, er kann Spiele analysieren, und dies in einer Weise, dass auch Journalisten, die nicht dabei waren, verstehen, wovon er redet.
Als die Rapidler ihre neuen Ideen in der Meisterschaft umsetzen, überflügeln sie die Konkurrenten. Als sichtbares Zeichen dieser Umstellung erscheint 1950 Rudolf Kastls Publikation Die Geheimnisse des brasilianischen Systems, die in Zusammenarbeit mit Bimbo Binder und Hans Pesser entstanden ist. Franz Beckenbauer wird den Libero, den Happel 20 Jahre zuvor noch statisch angelegt, am Beginn der 1970er Jahre zur spielerischen Perfektion bringen.
Die Rapidler bringen nicht nur ein neues Spielsystem nach Hause mit, sondern auch Anregungen für ihre Ausrüstung. Die Schuhe der Brasilianer, so Happel, habe man »wie nix biegen können«, die Hosen waren kurz geschnitten, und die Spieler trugen offene, luftige Trikots. Kulturwissenschaftler Gerhard Urbaneck schreibt über die grün-weißen Südamerika-Eindrücke: »In Europa hatte man außer dem Spiel selbst auch das dafür nötige Zubehör aus England mit übernommen. ›Die Hosen gingen bis zu den Knien runter, sahen unmöglich aus, und man hatte wenig Bewegungsfreiheit‹, beschrieb Merkel die Spielkleidung der Fußballer nach 1945. ›Die schweren und harten Fußballstiefel‹ hätten den Fuß eingezwängt und gefühllos gemacht. Die Südamerikaner trugen flache Schuhe aus weichem, samtenem Leder, eben ›Fußball-Mokassins‹. Und für Ernst Happel, dessen unorthodoxer, individualistischer Spielstil sich nie richtig einordnen ließ, erfand das Trainerduo Binder/Pesser die Position jenes Spielers, der die Fehler seiner Vorderleute auszubessern