Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

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Название Ernst Happel - Genie und Grantler
Автор произведения Klaus Dermutz
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895339356



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die Rapidler noch auf 2:4 verkürzen.

      Beim Rückspiel wird im Praterstadion zum ersten Mal unter Flutlicht gespielt. Rapid muss mit einem Vorsprung von drei Toren gewinnen, denn die Regelung, wonach Auswärtstore höher gewertet werden, existiert noch nicht. Vor dem Spiel sucht Trainer Merkel das Vier-Augen-Gespräch mit Happel: »Er hat mir die ganze Verantwortung auferlegt, obwohl der Robert Körner der Kapitän war. Merkel hat auch entschieden, dass ich alle Strafstöße schießen soll oder zumindest bestimmen soll, wer sie schießt.«23

      Zur Halbzeit führt Rapid 3:0 und wäre damit eine Runde weiter gewesen. Alle Tore erzielt Happel – ein lupenreiner Hattrick. In der 19. und 41. Minute schießt er zwei unhaltbare Freistöße, und in der 38. Minute verwandelt er einen Elfmeter. Happel hat es auf den Torwart abgesehen: »Nach dem ersten Freistoßtor hab’ ich mir gedacht, da ist was drinnen, das machst alles selber. Und dann hab’ ich auch den Elfer und den nächsten Freistoß verwandelt. Der Tormann war nicht allzu groß, das nützte ich aus. Im Training hab’ ich das auch immer geübt. Ob sich der Alonso wirklich den Finger gebrochen hat, weiß ich nicht, er spielte beim dritten Match jedenfalls nicht mehr.«24

      Für den Reporter Heribert Meisel schließt Rapid in der ersten Hälfte an die Leistungen des »Wunderteams« an. Die in Rot-Schwarz spielenden Grün-Weißen kombinieren mit traumwandlerischer Sicherheit, die Madrilenen kommen minutenlang gar nicht an den Ball. Nach dem Seitenwechsel verschärft sich die Gangart des »weißen Balletts«, fast jeder Zweikampf ist ein Foul, der Schiedsrichter lässt sich von den »harmlosen Don-Quichotte-Gesichtern der Spanier düpieren«.25 Bester Angreifer ist Robert Körner. Seine Flanken gleichen einem »Reißverschluss: Ratsch – und die Abwehr war offen!«.26 Die 53.000 Zuschauer sind aus dem Häuschen. Das Unmögliche scheint möglich. Doch in der 57. Minute erzielt di Stéfano mit einem Fallrückzieher das 1:3 und zerstört Rapids Traum vom Einzug ins Viertelfinale erst einmal.

      Happel soll sich über das 3:1 sein Leben lang geärgert haben: »Das hätte einfach nicht passieren dürfen, aber man konnte einfach nichts machen. Es war das Supertor eines Superkickers, einmalig hat er reagiert. Im Training habe ich Alfredo beobachtet, da gelang ihm das nicht. Aber so ist das eben im Fußball. Vor diesem Match waren wir auch nicht gerade in Hochform, in Graz verloren wir sogar gegen Sturm. In Wien haben wir gegen Real nicht nur Glück, sondern auch viel Pech gehabt: zwei oder drei Lattenschüsse, ein nicht gegebener glatter Elfmeter. Bei dem Cornerstand von 13:2 hätte für uns noch viel mehr drinnen sein müssen, die Spanier spielten ja fast in Panik. Hätte ihr Tormann nicht so gut reagiert, wären sie sicher draußen gewesen.«27

      Heribert Meisel würdigt in einer ausführlichen Analyse im Kurier (16.11.1956) die famose Leistung von Rapid und hebt mit hymnischen Worten Happels Leistung hervor: »Endlich! Der österreichische Fußballsport hat gestern beim Flutlichtspiel wieder ein Lebenszeichen gegeben. Endlich! Nach Jahren die erste wirklich gute Leistung einer Wiener Mannschaft im Kampf gegen einen internationalen Gegner von Format. Wenn Rapid auch ›nur‹ ein 3:1 (3:0) erreichte (…), so steht doch über allem die große Mannschaftsleistung Rapids und das phänomenale Schussvermögen Happels, der die Madrider mit zwei Freistoßbomben und einer Elfmeterkanone sozusagen allein geschlagen hat. Hätte der französische Schiedsrichter Guigue Rapid nicht in zwei Fällen krass benachteiligt – er gab ein Hands der Spanier im Strafraum nicht und anerkannte ein reguläres Kopftor durch Riegler gleich zu Beginn wegen angeblichem Abseits nicht – und wären die Rapidler nicht vom Schusspech verfolgt gewesen – drei Latten- bzw. Stangenschüsse –, der berühmte Vorjahressieger im Europacup, Real Madrid, hätte schon die erste Runde des heurigen Bewerbes nicht mehr lebend überstanden. (…) Happel muss man einen Sonderabsatz widmen. Unheimlich seine Tagesverfassung im Schießen! Schon der erste Freistoß pendelt genau von der rechten Kreuzecke, als er aus gut 30 m Entfernung loskanoniert hatte. Dann kam seine Elfmeterrakete, die dem vorangegangenen Feuerwerk würdig gewesen wäre, und schließlich jagte er, diesmal aus 25 m Distanz, (…) den Ball ins Netz. Da gab es für die Wiener Zuschauer kein Halten mehr. Sie sprangen von den Sitzen, umarmten einander und warfen die Hüte in die Luft. Plötzlich herrschte eine Madrider Atmosphäre im weiten Prateroval! Man muss Happel für seine Leistung danken!«

      Es sei eine reine Augenweide gewesen, berichten die Kommentatoren, die Rapidler groß aufspielen gesehen zu haben. Die Namen der famosen Spieler lauten: Zeman; Halla, Happel, Golobic; Hanappi, Gießer; Körner I, Riegler, Dienst, Körner II, Höltl.

       Das »verkaufte« Spiel

      Aufgrund der gleichen Anzahl geschossener Tore muss ein weiteres Spiel ausgetragen werden. Real Madrid bietet Rapid sein Bernabéu-Stadion anstatt eines neutralen Spielorts an. Die beiden Mannschaften würden sich dann die Einnahmen teilen. Rapid willigt ein, auch wenn der Spielort Madrid das fast sichere Ausscheiden bedeutet. Aber eben auch die Hälfte – oder nach einer anderen Quelle sogar 60 Prozent – der gesamten Einnahmen. In den österreichischen Zeitungen wurde Rapid eher als ein willfähriges Schlachtopfer denn als ernsthafter Gegner gesehen.

      Die Grün-Weißen haben am 13.12.1956 im Bernabéu wie erwartet keine Chance. Vor 90.000 Zuschauern geht das »weiße Ballett« bereits in der 2. Minute durch Joseito in Führung. 20 Minuten später erhöht Kopa auf 2:0, was auch der Endstand sein wird. Die Madrid-Fans stimmen bei jeder Ballberührung von Rapid ein Pfeifkonzert an. Es ist ein äußerst hart geführtes Spiel. Ein schweres Foul an Dienst, ein Spanier tritt ihm in die Brust, bleibt ohne Folgen. »Bei Ernst Happel war der englische Schiedsrichter Bond nicht mehr nachsichtig – nach einer Attacke wurde der Abwehrchef des Feldes verwiesen und musste auf dem Weg in die Kabine einen Flaschen- und Polster-Hagel über sich ergehen lassen. ›Vor einem Publikum wie in Madrid kann man einfach nicht spielen‹, beschwerte sich der Rapid-Stopper danach. Der Frust bei Happel muss nach den ›nutzlosen‹ drei Toren in Wien groß gewesen sein!«28

      Bis zu seinem Ausschluss eine Minute vor Schluss hatte Happel eine Meisterleistung geboten. Real-Präsident Santiago Bernabéu wollte den Abwehrchef gleich in Spanien behalten. Happel erzählt später: »Reals Präsident war ein feiner Mann. Ich hätte in Madrid wirklich alle Möglichkeiten gehabt. Im Grunde genommen wollt’ ich aber gar nicht mehr ins Ausland, ich war ja kaum erst wieder nach Österreich zurückgekehrt. Nach meinem Frankreich-Abenteuer war ich schon drauf und dran, meine Karriere zu beenden. Der Transfer wurde nichts, man sagte mir, Real hätte wegen meinem Alter – ich war schon 31 – zurückgezogen. Einen Stopper brauchten sie aber dringend. Im nächsten Jahr holten sie sich Santamaría aus Uruguay, der war sechs Jahre jünger (vier Jahre, Anm. d. A.) als ich.«29 Seit den Kindertagen als Admira-Fan hat Happel eine Vorliebe für weiße Trikots. Der Transfer findet in Form einer Fotomontage statt: Happels Kopf wird in ein Real-Trikot kopiert.

      Trotz der Niederlage hat sich für Rapid die Fahrt nach Madrid bezahlt gemacht. Max Merkel hat einmal recht offen die Beweggründe der Rapidler, das Entscheidungsspiel in Madrid auszutragen, benannt: »Einen ganzen Rucksack voll Geld haben wir mitgebracht nach Hütteldorf, wir haben es auch gebraucht. Es gab nicht wenige Anhänger, die uns gram waren, weil wir – wie sie meinten – den Spaniern in die Falle gegangen seien und dort gespielt hatten. Wir hätten durch diesen Entschluss auch den treuen Sportplatzbesuchern, die zu jedem Match nach Hütteldorf kamen, die Möglichkeit genommen, mit dabei zu sein. Ehrlich gesagt, wie viele wären denn nach Belgien oder Holland zu diesem Entscheidungsspiel gefahren? Ein paar Hundert, und dafür hätten wir in einem an dieser Begegnung nicht sehr interessierten Land vor halbleeren Rängen gespielt. Fußball in der höchsten Klasse ist aber ein Geschäft, und deshalb muss die Kasse stimmen.«30 Laut Happel brachte Rapid eine Million Schilling aus Madrid mit. Die spanische Presse schrieb: »Rapid ist an dem goldenen Köder erstickt.«31

      Insidern erzählt Happel schon damals offen, wie es um das dritte Spiel wirklich bestellt war. In seinem Porträt Grantiger Zauberer erwähnt Reinhard Krennhuber, dass sich in jenen Tagen erstmals die Wege von Happel und Josef Huber gekreuzt haben: »Der junge Kurier-Journalist trifft den Starverteidiger regelmäßig im Gasthaus Jäger in der Westbahnstraße. ›Das war ein Rapid-Lokal und der Kurier ist halt auch hingegangen. Ich bin ganz gut ausgekommen mit ihm‹, erzählt der spätere Sportchef der Zeitung. ›Er hat mir erzählt, dass das dritte