Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

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Название Ernst Happel - Genie und Grantler
Автор произведения Klaus Dermutz
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895339356



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Zeit findet Rapid Wien zu seinem Spiel und schießt innerhalb von neun Minuten – zwischen der 62. und 71. Minute – vier Tore. Nach einem Tor von Schors zum 1:3 trifft Binder mit einem Freistoß zum 2:3, verwandelt einen Elfmeter zum Ausgleich und schießt wieder mit einem Freistoß das Siegestor. Die berühmte Rapid-Viertelstunde, die letzten 15 Minuten, war noch nicht einmal angebrochen. Zwar sind nach Rapids 4:3-Führung noch 19 Minuten zu spielen, aber Schalke kann den Wienern nichts mehr entgegensetzen.

      Von der Presse wurde Schalke dafür gegeißelt, dass sie nicht während der Aufholjagd die Verteidigung verstärkt haben, mindestens zwei Mann hätten in die Verteidigung zurückbeordert werden müssen. Im Kicker (Nr. 25, 24.6.1941) stellt Friedbert Becker die nüchterne Frage: »Hat denn Schalke nichts von der ›Rapid-Viertelstunde‹ gehört? Man beharrt auf dem Angriffsspiel, sieben Mann vorne.« Für Schalke 04 wird ein bitteres Resümee gezogen: »Wie erst Schalke höchste Fußballkunst vorzauberte und dann im Augenblick eines scheinbar nahenden torreichen Triumphes unter den Blitzschlägen Rapids zusammenbrach.«

      Das »Endspiel« wurde als »Blitzkrieg« gesehen, und das Reichssportblatt schloss seinen Bericht über das Spiel, wie Jakob Rosenberg und Georg Spitaler in ihrer Studie Grün-Weiß unterm Hakenkreuz darlegen, mit folgendem politischen Kommentar: »Daß wir im Sport einen Tag wie den 22. Juni, gerade den 22. Juni, erleben durften, das verdanken wir unserer stolzen Wehrmacht. So brandete auch das Sieg Heil, das vor dem denkwürdigen Spiel auf den Führer ausgebracht wurde, mit besonderer Stärke gen Himmel.«35

      Die beiden Autoren zitieren auch die Überlegungen, die Reichssportführer Tschammer auf der Titelseite von NS-Sport (29.6.1941) eine Woche nach dem Finale veröffentlichte: »Ich glaube, dass es den meisten Besuchern dieses Spiels so gegangen sein wird wie mir: Wir standen doch ganz und gar unter dem Eindruck der politischen Ereignisse im Osten. Da war es uns allen ein Wunder, dass an einem solchen Tage in der Reichshauptstadt im strahlenden Sonnenschein 100.000 Deutsche ein so starkes und freudiges sportliches Erlebnis hatten. Ueber allem lag eine unerhörte Zuversicht, ein bedingungsloses, tiefes Vertrauen. Welch ein Beweis der deutschen Ruhe. (…) Wo immer Wettkämpfe an diesem denkwürdigen Sonntag waren, international und national, haben es unsere Kameraden beglückt erleben dürfen, dass unser Tun selbst unter den Vorzeichen des Kriegsbeginns gegen den Moloch Russland sinnvoll und berechtigt bleibt. So grüße ich Sie alle in der Heimatfront des Sports und fasse Ihre und meine Gefühle in dem einen Wunsche zusammen, dass der Herrgott den Feldherrn Adolf Hitler und seine nun im Kampfe gegen unseren Todfeind Bolschewismus stehende Wehrmacht segnen möge.«36

      Der 16-jährige Happel war am Tag des Finales ins Ottakringer Bad gegangen, wo er sich auf die Wiese legte, um der Berichterstattung zu lauschen, die aus dem Lautsprecher des Freibads drang. Happel freute sich über den Sieg von Rapid und die Tore von Binder. Das Debakel der Admira wird mit dem famosen Sieg vergessen gemacht.

      Der famose »Bimbo« Binder ist für Happel in seiner langen Laufbahn als Spieler und Trainer ein großes Idol geblieben. Als Kind hat er sich um ein Autogramm bei Binder angestellt, nach dem Krieg wird er bei Rapid und in der österreichischen Nationalmannschaft mit Binder zusammenspielen und ist darauf stolz. Viele Jahre später wird er über den Ausnahmekönner sagen: »Binder war als Fußballfachmann für mich der Größte!«37

      Als Happel vom Freibad wieder zu Hause ist, ist das »Unternehmen Barbarossa«, der Überfall auf die Sowjetunion, bereits in Gang.

      1943 BIS 1959

       Grün-Weißer – Spieler bei Rapid

      Durch den Angriff auf die Sowjetunion werden die Privilegien der Fußballer nicht nur in Wien weniger. Viele Spieler sind nicht mehr in der Stadt, und dadurch können Nachwuchskicker wie Happel vorzeitig in den Kader der 1. Mannschaft aufsteigen.1 Happel zieht 1991 gegenüber dem Autor ein nüchternes Fazit, wie seine Laufbahn während der NS-Zeit begonnen hat: »Ich war nicht für das Regime, aber was hast machen wollen, du kannst nichts machen. (…) Ich war noch in Wien stationiert, weil Rapid Wien ist im 41er Jahr Großdeutscher Meister geworden, in einem halben Jahr waren alle Spieler an der Front, sonst wäre ich nie mit 16 in die 1. Mannschaft gekommen, und dadurch, dass ich mit 16, 17 Jahren in der 1. Mannschaft gespielt habe, habe ich die Chance gehabt, außerhalb von Wien stationiert zu sein im Arbeitsdienst und in Wien später stationiert beim Militär, bei den Nachrichten, wo ich ein halbes Jahr war.«

      Laut Informationen der »Wehrmachtauskunftstelle (WASt)« Berlin liegen die Personalpapiere (Wehrpass, Wehrstammbuch, Stammrolle) nicht vor, diese sind vermutlich durch Kriegseinwirkung verloren gegangen. Ein Einberufungsdatum ist nicht verzeichnet, auch kein Dienstgrad. Happel gehörte zu folgenden Truppenteilen:2

Datum nicht verzeichnet 1. Stammkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17
Ab 06.09.1943 2. Nachrichten-Ausbildungs-Abteilung 17, Wien
Ab 31.01.1944 3. Marschkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17
Am 31.01.1944 2. Nachrichten-Ausbildungs-Abteilung 17
Am 20.03.1944 3. Marschkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17
Ab 05.041944 Eisenbahn-Fernsprech-Kompanie 159
Am 21.06.1944 Nachrichten-Ersatz-Abteilung 10

       Debüt kurz vorm 17. Geburtstag

      Mitten im Zweiten Weltkrieg bestreitet Happel am 21. Februar 1943 sein erstes Spiel für Rapid Wien. »Die Hände trug er in den Hosentaschen, die Schuhe unterm Arm. Im Mundwinkel hing eine Zigarette«, so betrat Happel nach der Erinnerung eines Kollegen im Sport Magazin (1.3.1991) als junger Spieler die Bühne des Fußballs.

      Der erste Gegner ist der FC Wien, der die Hütteldorfer mit 6:4 schlägt. Auch die beiden anderen Partien, in denen der junge Happel in dieser Spielzeit mitwirkt, gehen verloren. Am Beginn seiner Spielerkarriere stehen somit drei Niederlagen. Auf der »Pfarrwiese« erobert der exzellente Techniker dennoch schnell die Herzen der Rapid-Fans.

      Rapid wird in der Spielzeit 1942/43 nur Sechster in der Meisterschaft. In der nächsten Saison ist Happel in der Gauliga Donau-Alpenland (»Ostmark«) in elf von 16 Partien mit von der Partie. Das letzte Mal während des Krieges läuft er am 19. März 1944 gegen den WAC auf. Rapid gewinnt vor 7.000 Zuschauern im Praterstadion mit 4:2, wird in der Saison 1943/44, deren Endabrechnung nur neun Mannschaften berücksichtigt, der SK Amateure Steyr steigt mitten in der Saison aus, nur Siebter.

      Happel befindet sich in guter Gesellschaft mit vielen Wienern, die tschechische Wurzeln haben. Der Sozialwissenschaftler Karl Brousek berichtet, dass es die Wiener Tschechen »im Umgang mit dem Nationalsozialismus leichter« hatten, sich zu distanzieren: »National standen sie in Gegensatz zum ›Germanismus‹, und viele Junge fühlten sich durch die tschechenfeindliche Politik provoziert oder bedroht. In Wien gab es in der tschechischen Minderheit keine politische Kraft, die dem äußersten rechten Lager zuzurechnen gewesen wäre; die konservativen Organisationen waren aus nationalen Motiven entstanden. Die nationale Klammer, also das Bekenntnis als Tschechen und Tschechinnen, war in der NS-Zeit stärker als die politische Differenz.«3

      Der Widerstand der tschechischen Minderheit setzte für Brousek Impulse für die Beibehaltung eines weltoffeneren Wiens. Propagandaminister Joseph Goebbels hielt in einer Tagebucheintragung vom 9. April 1945 fest, was er über Wien denkt. Für Brousek ist die Notiz Goebbels’ »politisches Resümee der Geschichte Wiens im Dritten Reich«4: »Das haben wir von dem sogenannten Wiener Humor, der bei uns in Presse und Rundfunk sehr gegen meinen Willen immer verniedlicht worden