Название | Die Oslo-Connection - Thriller |
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Автор произведения | Olav Njølstad |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788726344127 |
Er hatte sein Leben ausgekostet, so lange es währte.
Genau deshalb weigerte sie sich auch, zu glauben, dass ihr Vater wissentlich in die Sperrzone gefahren war. Er war ein erfahrener Seemann, der niemals so weit nach Osten gesegelt wäre, ohne vorher alle Eventualitäten abgeklärt zu haben. Zwar war er als sorgloser, verwegener Draufgänger bekannt, ein unbekümmerter Bursche, der ohne mit der Wimper zu zucken mit einem Rückwärtssalto von der Spitze des Schwenkkrans in der Bootswerft von Bakfjordeid sprang, doch er war nicht leichtsinnig. Er hatte Respekt vor dem Meer und vor den Kräften der Natur und forderte das Schicksal nicht heraus. Er liebte sein Leben und hatte keins zu verschenken. Außerdem hatte er Tora – und den Traum, eines Tages der Vater ihrer Kinder zu werden. Je mehr sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie, dass ihr Vater niemals diesen Kurs eingeschlagen hätte, wenn er von der sowjetischen Meldung gewusst hätte.
Es juckte ihr in den Fingern, die Mappe von 1961 rauszusuchen und nachzusehen, ob in jenem Jahr entsprechende Analysen zu den Atombombentests gemacht worden waren. Aber sie beherrschte sich.
»Nicht so ungeduldig«, ermahnte sie sich. »Eile mit Weile.«
So war sie: beharrlich und ausdauernd. Sie wusste nicht, ob sie jemals die Antwort auf das finden würde, was damals mit ihrem Vater und den Onkeln passiert war. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt auf der richtigen Spur war. Aber eins wusste sie: Wenn sie keine Antwort fand, würde es nicht daran liegen, dass sie den Kopf verloren hatte, zu schnell vorgeprescht war oder etwas Wichtiges übersehen hatte. Es war jetzt fast fünfundzwanzig Jahre her, seit ihr Vater gestorben war, und das verhängnisvolle Unglück lag mehr als vierzig Jahre zurück. Sie hatte keine Eile, die Antwort zu finden, Hauptsache, sie fand sie am Ende. Sie hatte alle Zeit der Welt.
16
Wie ihr Kollege Jørgen Hartmann hatte die Polizeikommissarin Eva Tamber von der Kontraproliferation den Vormittag genutzt, um die Kontakte zu den kooperierenden Diensten herzustellen. Die Leitungen aus ihrem Büro liefen allerdings in andere geografische Richtungen. Zur IAEA, der Internationalen Atomenergie-Behörde in Wien, beispielsweise. Zur CIA und dem Departement of Energy in Washington. Zur Säpo nach Stockholm. Und nicht zuletzt: nach Moskau, genauer gesagt zum Föderalen Sicherheitsdienst FSB, dem Erben des einst so gefürchteten KGB.
Da sich neunzig Prozent aller geschmuggelten radioaktiven Substanzen in Europa nach Russland und in andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion zurückverfolgen ließen, war der Kampf gegen den Schmuggel nutzlos ohne die Unterstützung des FSB. Anfangs war die Zusammenarbeit zwischen dem FSB und den westlichen Nachrichtendiensten eher lau gewesen. Im FSB befürchtete man lange, dass es sich bei der Kontraproliferation – will sagen, dem Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen – nur um einen Stunt handelte, der inszeniert wurde, um Russland brisante Informationen über die Atomwaffenanlagen des Landes abzuluchsen. Im Kielwasser des 11. September 2001 und der dramatischen Geiselnahme in Moskau im Herbst 2002 hatte allerdings ein Stimmungswandel stattgefunden. Der Gedanke, welche Konsequenzen es für Russland haben könnte, wenn eine Gruppe Terroristen in den Besitz einer »schmutzigen« Atombombe käme, reichte aus, selbst die antiamerikanischsten FSB-Generäle davon zu überzeugen, dass Russland und der Westen in diesem Bereich ausnahmsweise einmal übereinstimmende Interessen verfolgten. Nicht einmal der Irak-Krieg hatte an dieser Erkenntnis etwas geändert.
Tamber hatte an diesem Vormittag zwei längere Telefongespräche mit Moskau geführt. Zuerst mit der Auslandsstelle der Sicherheitsatombehörde des FSB, um anzukündigen, dass aus Oslo in Kürze Foto und Fingerabdrücke des Ermordeten übermittelt würden, und dass sie um russische Unterstützung bei der Identifizierung des Toten baten.
Das zweite Telefonat führte sie mit der staatlich-russischen Nuklearaufsichtsbehörde Gosatomnadzor (GAN), und es galt dem schwarzen Bleibehälter, in dem der Ermordete das Plutonium aufbewahrt hatte. Den Behälter hatte Tamber vorher beim Staatlichen Strahlenschutz abgeholt. Obwohl die endgültigen Ergebnisse der Untersuchung noch nicht vorlagen, hatte einer der Laboranten – unter absolutem Zitierverbot – bestätigt, dass es sich um 20 Gramm Plutonium-239 handelte. Das hörte sich vielleicht wenig an, wenn man berücksichtigte, dass für die Herstellung einer Atombombe an die zehn bis fünfzehn Kilo des Stoffes gebraucht wurden, aber im Zusammenhang mit Schmuggel war es ein beträchtliches Quantum. Die Statistik zeigte, dass es sich bei so gut wie allen registrierten Schmuggelversuchen hoch angereicherter radioaktiver Substanzen um Partien unter zehn Gramm handelte. Selbst auf dem Weltmarkt waren die bekannten Schmuggelversuche von Plutonium in einer Menge von 20 Gramm und mehr an einer Hand abzuzählen.
In gleich lautenden Anfragen an die GAN und das Hauptbüro des FSB in Moskau bat Tamber um Mithilfe bei der Identifizierung des Bleibehälters. »Handelt es sich um Ausrüstung, die den russischen Behörden von früheren Schmuggelaktionen bekannt ist?«, fragte sie.
Tamber rechnete frühestens am nächsten Tag mit einer Rückmeldung der russischen Kooperationspartner. Sie wollte die Zwischenzeit nutzen, um zu untersuchen, ob in der letzten Woche ein verdächtiges Fahrzeug vor der Küste der Finnmark beobachtet worden war. Was leichter gesagt als getan war. Es gab mehrere hundert russische Fischerboote mit der Genehmigung, vor der norwegischen Küste zu fischen. Darüber hinaus hatte der Verkehr von Lastschiffen und Öltankern zugenommen. Zwischen vier- und fünftausend russische Fahrzeuge liefen jedes Jahr norwegische Häfen an. Außer ein paar größeren Heroinbeschlagnahmungen und einigen tragischen Fällen von Menschenhandel konnte nicht nachgewiesen werden, dass eins dieser Fahrzeuge in illegale Machenschaften verwickelt war.
Im PST war man nichtsdestoweniger davon überzeugt, dass sich in den Fischgründen Dinge abspielten, die nicht nur mit Fisch zu tun hatten. Der Fund eines toten Fischers mit einem Einschussloch im Nacken und einer Dose Plutonium in der Brusttasche bestätigte diesen Verdacht.
»Wenn wir eindeutige Beweise vorlegen könnten«, unterstrich Tamber beim morgendlichen Jour fixe im Prolif, »würde das unsere Position sowohl gegenüber den norwegischen Behörden als auch gegenüber unseren Kooperationspartnern in Russland stärken.« Sie skizzierte den Ablauf der Ereignisse, wie sie ihn vor sich sah: Der unbekannte Mann kommt in Begleitung einer unbekannten Anzahl Mithelfer in einem Fischerboot aus östlicher Richtung. An Bord befindet sich eine größere Partie Plutonium, die sie gegen Bezahlung an einen unbekannten Käufer übergeben sollen, an einem bestimmten Punkt im internationalen Gewässer vor der norwegischen Küste. Die beiden Boote treffen sich zur abgesprochenen Zeit am abgesprochenen Ort. Nachdem die Übergabe des Plutoniums stattgefunden hat, zieht der Käufer eine Pistole und erschießt einen der Schmuggler, vermutlich mit der Absicht, ein Exempel zu statuieren, um dem Rest der Bande zu zeigen, was sie erwartet, wenn sie nicht die Klappe halten. Der Tote wird über Bord geschmissen.
Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Tambers Theorie allgemeine Zustimmung erntete. Ihr nächster Vorgesetzter, Svein Bøcker, schlug beispielsweise vor, dass es genauso gut ein Geldzwist gewesen sein könnte. Die Schmuggler hatten versucht, den Preis der Ware hochzutreiben, was der Käufer abgelehnt hatte, worauf eine Meuterei ausgebrochen war. Polizeikommissar »Sigge« (Sigurd) Olsen, ihr ständiger Mitarbeiter in der Abteilung, warnte seinerseits davor, als gegeben vorauszusetzen, dass der Mord in direkter Verbindung mit der kriminellen Tat stand. Es konnte genauso gut vorher oder hinterher passiert sein, im Zusammenhang mit einer internen Bandenabrechnung. Vielleicht war der Handel längst abgeschlossen und das Boot bereits auf dem Rückweg nach Murmansk, als einer der Schmuggler darauf kam, dass der Gewinn größer wäre, wenn man ihn weniger teilen