Die Oslo-Connection - Thriller. Olav Njølstad

Читать онлайн.
Название Die Oslo-Connection - Thriller
Автор произведения Olav Njølstad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726344127



Скачать книгу

aber nicht arabisches Land, ist es mit Sicherheit ebenso unakzeptabel, dass Pakistan im Besitz von Atomwaffen ist, wie die Tatsache, dass Israel die gleichen Waffen besitzt. Die ganze Welt wartet doch im Grunde nur darauf, dass die religiöse Führung im Iran an die Öffentlichkeit geht und ihre Verachtung für das Regime zum Ausdruck bringt, das den Atomwaffensperrvertrag akzeptiert. An dem Tag, an dem die Meldung über den ersten Atomwaffenversuch im Iran publiziert wird, werden die Menschen durch die Straßen Teherans tanzen – das wird ein Fest werden, wie es das Land noch nicht erlebt hat –, und wer sich an den Sturz des Schahs Ende der siebziger Jahre erinnert, wird wissen, wovon ich spreche.«

      Hartmann war skeptisch. Einerseits dachte er, dass Tambers politische Meinung sie vor dreißig Jahren in vielerlei Hinsicht zu einem potenziellen Überwachungsobjekt gemacht hätte, wenn sie damals alt genug gewesen wäre, sich öffentlich dafür einzusetzen. Sie wäre bestimmt auf die Barrikaden geklettert und hätte gemeinsam mit dem werdenden Außenminister Fridtjof Bremer Steine geworfen.

      »Willst du damit andeuten, dass die iranischen Mullahs mit Hilfe von russischem Plutonium eine Atombombe bauen wollen? Ich dachte, die Russen wären liebe Jungs geworden und hätten den USA versprochen, das iranische Atomenergieprogramm nicht zu unterstützen. Vor ein paar Jahren haben sie jedenfalls nachweislich einen lukrativen Reaktorhandel gestoppt.«

      »Das stimmt, aber damit öffnete sich ein lukrativer Markt für professionelle Schmuggler. Das heißt, Menschen mit Insiderkenntnissen darüber, was sich die Iraner mit dem geplatzten Reaktorhandel beschaffen wollten, und die zusätzlich Zugang zu Uran oder Plutonium aus den russischen Überschusslagern haben. Menschen mit Risikokapital im Rücken und Einfluss in den obersten Kreisen. Mit anderen Worten: Was ich mir vorstelle, sind keine kleinen Hehler, die mit ein paar Gramm Plutonium dealen, sondern der Coup des Jahrzehnts. Etwas, das die Grundmauern des Pentagons erschüttern wird. Wenn wir einen Mann im Meer finden, in dessen Brusttasche zehn Gramm Plutonium stecken, heißt das bloß, dass zehn Gramm mehr oder weniger nichts für denjenigen bedeuten, der ihn getötet hat.«

      »Und wer war der arme Kerl, der sein Leben für diesen Coup lassen musste? Der Beschreibung nach sah er nicht aus wie Ayatollah Khomeini.«

      »Ich befürchte, dass wir auf Hilfe aus Moskau angewiesen sind, um ihn zu identifizieren.«

      »Kriegen wir denn von da noch Unterstützung? Mein Eindruck ist, dass die russischen Polizeibehörden dem Westen gegenüber kein Stück weniger misstrauisch sind als früher.«

      »In solchen Sachen nicht, Jørgen. Wenn es etwas gibt, was der Kreml wirklich fürchtet, dann eine iranische Atombombe. Nicht aus militärischen, sondern aus innenpolitischen Gründen. Das würde in den südlichen Teilstaaten nur den Anstoß zu einem weiteren islamistischen Aufbegehren geben, wenn nicht zu einer Revolte. Sie haben doch schon lange Angst davor, dass Teilstaaten wie Tschetschenien oder Dagestan sich von Russland lösen und gemeinsam mit anderen Staaten der Region eine antirussische islamische Föderation bilden.«

      »Was man verstehen kann«, sagte Hartmann ehrlich. »Wenn wir an der Stelle der Russen wären, hätten wir sicher die gleichen Ängste. Stimmt doch, oder?«

      Ehe Tamber antworten konnte, erblickten sie Malm, der mit einem überladenen Teller auf seinem Tablett auf sie zukam. Hartmann warf einen Blick auf seine Armbanduhr und begann hastig, sein Geschirr zusammenzustellen.

      »Lass uns ein andermal weiterreden«, flüsterte Tamber. »Dieser Mann hat beim Weihnachtsfest an meinem Tisch gesessen, und damals habe ich beschlossen, ihn frühestens in einem Jahr wieder in meine Nähe zu lassen. Der verdirbt mir den Appetit, auch noch nach dem Essen!«

      15

      Ulla Abildsø las den Titel der alten Notiz noch ein weiteres Mal: »Kernwaffenversuche auf Nowaja Semlja in der Zeit vom 30. September bis 25. Oktober 1958.« Datiert vom 11. November selbigen Jahres. Der Bericht trug einen »Geheim«-Stempel, aber ein zweiter und weniger ins Auge fallender Stempel besagte, dass die Akte 1995 zurückgestuft worden war.

      Genau so etwas war es, wonach sie suchte, auch wenn das Jahr nicht stimmte. Aber immerhin, es war eine mögliche Spur. Vor ihr lag der erste handfeste Beweis, dass es in diesem Archiv die Art von Informationen gab, die sie benötigte, um mit ihren Nachforschungen voranzukommen. Die Notiz trug keinen Absender, aber aus dem Inhalt folgerte sie, dass sie von Oberst Vilhelm Evang stammte, dem verdienstvollen, aber eigenwilligen damaligen Chef des militärischen Geheimdienstes.

      Der Notiz zufolge hatten die Russen zwischen dem 20. September und dem 25. Oktober 1958 eine umfassende Militärübung im Bereich Nowaja Semlja angekündigt, bei der es zum Einsatz »verschiedener Typen moderner Waffen« kommen würde. Aus diesem Grund wurde für die Dauer der Übung eine detailliert umrissene Zone in der Barentssee und Karasee zum Sperrgebiet erklärt. Das Gebiet bildete ein sechseckiges Prisma um Nowaja Semlja und erstreckte sich vom 70° bis 77° nördlicher Breite und vom 42° bis 65° östlicher Länge. Die großräumige Sicherheitszone umfasste das Probefeld A im Westen der Insel und das Probefeld B auf der Ostseite.

      Ulla staunte, wie gut der norwegische Nachrichtendienst über die Art und Weise der sowjetischen Atombombentests informiert war. Immerhin sollte es noch etliche Jahre dauern, ehe die ersten amerikanischen Erkundungssatelliten auf ihre Umlaufbahn geschickt wurden. Trotzdem konnte der Stabschef des Ermittlungsstabs des militärischen Nachrichtendienstes, kurz E-Stab, vermelden, dass seit Mitte September »umfassende Erkundungsflüge über der Barentssee und dem Nordpolarmeer registriert wurden, sowie eine beträchtliche Steigerung der Transportflug-Aktivitäten am Flugplatz von Belushya (71°35’N 52°28’O) auf Nowaja Semlja. Darüber hinaus trafen auf dem strategischen Hauptstützpunkt Olenya SO südlich von Murmansk eine ansehnliche Anzahl mittelschwerer Düsenbomber vom Typ Bagder (Tu-16) und ein schwerer Turboprop-Bomber Typ Bear (Tu-95) ein.«

      Der Nachrichtendienst besaß ganz offensichtlich technische Hilfsmittel, mit denen er den militärischen Flugverkehr der Sowjets über große Distanzen verfolgen konnte. In dem Bericht hieß es weiter: »Ab dem 11. September nahm der zuletzt in Olenya eingetroffene Flieger die charakteristischen Flüge zu den Testfeldern auf Nowaja Semlja wieder auf, die bereits bei früheren Versuchen registriert wurden. Auch dieses Mal wurden [...] eine Reihe Aufklärungsflüge vorgenommen, bevor die ersten Explosionen stattfanden. Darüber hinaus wurden während der eigentlichen Testphase einige ›dummy runs‹ durchgeführt.« Nach Angaben des E-Stabs waren sämtliche Bombenabwürfe in einer Höhe zwischen 10000 und 12000 Metern ausgeführt worden.

      Die weiteren Details über die Flugoperationen stimmten mehr als nachdenklich.

      Jeder Probesprengung ging ein Aufklärungsflug einer Bagder entlang der Strecke voraus, die ein paar Stunden später das tatsächliche Bombenflugzeug nehmen würde. Diese Information blieb Ulla besonders im Gedächtnis haften, weil das bedeutete, dass ein Fischerboot, das sich in der Sperrzone aufhielt, riskierte, von dem Aufklärungsflieger entdeckt zu werden. In einem solchen Fall hätten die Russen wahrscheinlich das Fahrzeug angefunkt und aufgefordert, das Testgebiet unverzüglich zu verlassen. Nicht zuletzt deswegen, weil um die Sperrzone herum etliche Hochgeschwindigkeitsmarinefahrzeuge der sowjetischen Flotte patrouillierten.

      Wenn es 1958 so einfach war, dachte sie, kann es 1961 nicht viel schwieriger gewesen sein, als die Tests wieder aufgenommen worden waren. Aber das machte die Geschichte ihres Vaters noch rätselhafter.

      Sie konnte ihn immer noch vor sich sehen, den stämmigen Mann mit den blauen Augen, den dichten Augenbrauen und dem dicken blonden Haar. Mit seinem hellen Typ hatte er sich massiv von den Bewohnern des kleinen Fischerortes im Tanafjord unterschieden, nicht zuletzt von der Familie ihrer Mutter, die ausnahmslos dunkle Haare und braune Augen hatten. Irgendwann einmal war samisches Blut in ihre Adern geraten; falls nicht stimmte, was ihre Mutter hartnäckig behauptete, dass die dunklen Züge nämlich von der Mannschaft eines portugiesischen Schoners stammten, der irgendwann im 19. Jahrhundert vor der Küste der Nordkinnhalbinsel gekentert war. Ulla jedenfalls hatte von beiden Elternteilen etwas geerbt: das dunkle Haar von ihrer Mutter, die großen blauen Augen von ihrem Vater. Sie war in allen Krippenspielen in der Vorschule die unangefochtene Jungfrau Maria gewesen, und als Jahre später ein hausierender finnischer Kunstmaler durch Bakfjordeid