MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág. Группа авторов

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Название MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783869168807



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Beispiel hierfür ist jene Stelle in den Hölderlin-Gesängen, an der im Rekurs auf ein Gedicht von Paul Celan die Worte »Pallaksch. Pallaksch« mit äußerstem Nachdruck artikuliert werden – »in äußerster Wut und Verzweiflung« lautet in der Partitur die Anweisung an den Sänger. Es liegt nahe, an Stellen wie diesen besonders die Auseinandersetzung mit Schönberg als wichtigen Impuls zu identifizieren. Dies gilt erstens mit Blick auf die Verknüpfung der charakteristischen Kürze vieler Kurtág-Werke mit ihrer pathetischen Seite. Doch zweitens rückt es die auf Beethovens Bagatellen wie auch auf Schönbergs eigene kurzen Stücke beziehbare, von Kurtág aber besonders konsequent verfolgte Idee einer auf einen »beweglichen Geist« zielenden, Diskontinuierliches, aber auch Bedeutungsschwere zulassenden Musik ins Blickfeld. Zu dieser Kunst, die in ihrer Art der Verdichtung in ganz spezifischer Weise neue Wege der Wahrnehmung reflektiert, schrieb Schönberg voller Emphase: »Große Kunst muß zu Präzision und Kürze fortschreiten. Sie setzt den beweglichen Geist eines gebildeten Hörers voraus, der in einem einzigen Denkakt bei jedem Begriff alle Assoziationen, die zu dem Komplex gehören, einschließt.«27

      Der Bartók-Impuls zeigt sich bei alldem wohl auch in der für Kurtág grundlegenden Überzeugung, dass verschiedenste scheinbar weit auseinanderliegende Traditionslinien – in Bartóks eigenem Falle etwa durch Bach, Beethoven, Debussy sowie die Volksmusik unterschiedlichster Provenienz repräsentiert – unauflöslich miteinander verklammert werden können. In der Nachfolge dieses Denkens sind die auf Webern rekurrierenden Sätze 5 und 6 der Komposition Officium breve (1988/89) – von denen Letzterer den expliziten Hinweis »nach op. 31, VI von Webern« enthält – zutreffend als »Fantasie« bzw. als »frei« charakterisiert. Man darf Stücke wie diese wohl als Erfahrbarmachung der emphatisch expressiven, aber gewissermaßen unter der Oberfläche angesiedelten Potenziale von Weberns Musik bezeichnen. Diese Seite des Nicht-Puristischen führt dabei deutlich über das hinaus, was dieser Musik in früheren Zeiten zuweilen unterstellt wurde. Aber sie ist doch auch dort, wo Kurtág sich und den Interpreten seiner Musik Freiheiten gestattet, von einem eher tastenden als auftrumpfenden Gestus und großer Subtilität bestimmt.

      II Die Vielfalt der Bezüge

      Ein eindringliches Beispiel dafür sind die Lieder der Schwermut und der Trauer op. 18, entstanden zwischen 1980 und 1994. Das Stück nimmt Bezug auf Dichtungen u. a. von Alexander Blok, Sergej Jessenin, Osip Mandelstam, Anna Achmatova und Marina Zwetajewa und kann im eben angedeuteten Sinne auch als Folge impliziter Porträts dieser in der Sowjetunion zum Teil verfolgten Dichterpersönlichkeiten gelesen werden. Doch noch bemerkenswerter in diesem sechsteiligen Zyklus ist, wie dieser mit wechselnden instrumentalen Mischungen auf den Chorklang reagiert. So treten gleich im ersten Lied vier Bajans und zwei Harmonien hinzu – auf solche Weise werden Momente des Atmens vervielfältigt und zugleich reflektiert, dabei oszilliert das musikalische Geschehen zwischen Verschmelzungs- und Kontrastmomenten. Einen neuen Tonfall bringt das Schlusslied, rekurrierend auf einen Text von Zwetajewa, der eine seltsam fahle Tönung exponiert. Um diese zu akzentuieren, wird der Instrumentalpart erheblich geweitet. Und dies führt zu einer magischen, zerbrechlichen, introvertierten Klangsprache, dominiert von leisen Schlagzeugklängen, extrem leisen Klangflächen in den Instrumenten und geflüsterten Passagen im Chorpart.

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      Notenbeispiel: György Kurtág, Lieder der Schwermut und der Trauer, Schluss, © 1996 by Editio Musica Budapest