MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág. Группа авторов

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Название MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783869168807



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ihre Entstehung verdanken. Danken möchte ich auch László Stachó, der den Beitrag von János Bali vermittelt hat, und Dank gebührt Péter Halász, UMP Editio Musica Budapest, Verlag der meisten Werke Kurtágs, nicht zuletzt Heidy Zimmermann, Paul Sacher Stiftung, Basel, für die überaus freundliche Bereitstellung der im Sonderband gezeigten Abbildungen.

      Ulrich Tadday

       I György Kurtágs Werk

       JÖRN PETER HIEKEL

       Überlegungen zur nicht-puristischen Ästhetik von György Kurtág

      Für die Beschäftigung mit der neueren Musikgeschichte sollte es heute selbstverständlich sein, das fruchtbare Nebeneinander verschiedenster wichtiger kompositorischer Ansätze und Kristallisationspunkte hinreichend zu berücksichtigen. Dazu gehört die Überwindung geschichtsphilosophisch grundierter Narrative, die den musikwissenschaftlichen Diskurs lange Zeit dominierten und den Blick auf viele wichtige Persönlichkeiten und Phänomene verstellten. Bei der Vermittlung der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die früher viel zu sehr auf eine vermeintlich einfache Dichotomie zwischen Fortschritt und Restauration und dabei zwischen den vermeintlichen »Lagern« der Zweiten Wiener Schule sowie des Neoklassizismus reduziert wurde, ist die Fragwürdigkeit eindeutiger Epochen- und fester Stilbegriffe sowie linearer Musikgeschichts-Beschreibungen inzwischen wohl weithin erkannt worden. Längst zeichnet sich ab, dass die Wege, Konzepte und Ideen von Komponisten wie Alban Berg, Claude Debussy, Béla Bartók, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky oder Anton Webern – um nur einige wenige prägende Persönlichkeiten zu nennen – sich überschneiden und sich gerade aus den Überschneidungen auf sehr unterschiedliche Weise produktive Konsequenzen ziehen lassen. Doch im Felde der Musik der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts besitzt das besonders im Musikjournalismus gängige (aber auch von manchen Komponisten forcierte) Hantieren mit griffigen Formeln, Labeln und Gegensätzen immer noch erhebliche Resonanz. Dabei ist es einer offenen vorurteilsfreien Kunstwahrnehmung kaum dienlich und wird immer wieder von fahrlässigen musikgeschichtlichen Simplifizierungen getragen.

      Solche grundsätzlichen Überlegungen tangieren, in besonderem Maße den Blick auf György Kurtág. Ist doch seine Musik, obwohl sie stets auch etwas klar Fokussiertes hat und man vielleicht sogar von einem »Kurtág-Stil« sprechen könnte, von vielen kompositorischen Ansätzen und Ideen beeinflusst, die auf den ersten Blick durchaus widersprüchlich sind. Zwar war die erst in den 1980er Jahren erfolgte wirkliche Entdeckung des 1926 geborenen Komponisten im internationalen Konzert- und Festival-Betrieb beflügelt von der Aura des Außenseiterhaften, Andersartigen (die man damals oft mit seiner Herkunft aus einem sich weithin abschottenden Land in Zusammenhang zu bringen suchte). Doch würde man seiner Musik, begibt man sich auf die Suche nach ihrer Originalität, kaum gerecht werden, wollte man sie ausschließlich anhand ihrer Abweichungen von Ideen anderer Musik zu beschreiben versuchen oder würde man das oft herausgestellte gewiss wichtige Intuitive darin überbetonen und als Hang zum Unreflektierten missverstehen. Man kann, um zunächst nur wenige Vergleichsmöglichkeiten zu nennen, das Schaffen von Altersgenossen wie Karlheinz Stockhausen, György Ligeti und Luigi Nono ebenso zu den substanziellen Impulsen von Kurtágs Komponieren rechnen wie das der zuvor genannten Komponisten, aber auch etwa jenes von Gustav Mahler, Ludwig van Beethoven oder Robert Schumann. Bereits die ästhetische Vielfalt dieses breiten Spektrums von Impulsgebern deutet auf eine wichtige Einsicht, die all jenen, die gern mit ästhetischen Lagerbildungen hantieren (und die womöglich sogar auf einer vom Kalten Krieg hervorgerufenen ästhetischen Dichotomie zwischen einem »östlichen« und einem »westlichen« Segment der europäischen Neuen Musik beharren), suspekt sein dürfte: Kurtágs Komponieren ist ein geradezu mustergültiger Kristallisationspunkt für ein in fast jeder Hinsicht – also z. B. historisch, ästhetisch und geografisch – grenzüberschreitendendes Agieren innerhalb des gesamten Erfahrungsraums der europäischen Kunstmusik der Moderne.

      Diese Einsicht bildet den Kern der nachfolgenden Überlegungen. In einer Art Streifzug, der auch fruchtbare Paradoxien kenntlich zu machen sucht, geht es darum, verschiedene signifikante Querbezüge zu einzelnen anderen kompositorischen Ansätzen wenigstens schlaglichtartig zu präzisieren. Charakteristische Kontexte, Ideen und Konstellationen in Kurtágs Komponieren sowie einige grundlegende Merkmale und Kristallisations- und Bezugspunkte von dessen Ästhetik sollen skizziert werden, nicht mit Blick auf alle Schaffensbereiche, aber zumindest auf einzelne exemplarische Kammermusik- und Vokalwerke sowie das einzige Musiktheaterwerk.

      I Emphatische Kammermusik, radikale Innerlichkeit

      Ohne allzu sehr über den Kern von Kurtágs Lebenskrise zu spekulieren, die in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in seinen radikalen künstlerischen Neubeginn mündete, sollte man eines nicht außer Acht lassen: Getragen wurde dieser Neubeginn nicht zuletzt von einer Suche nach Freiheit, die sowohl weltbezogene wie ästhetische Motive aufweist. Hatte sie doch einerseits mit den Limitierungen im sozialistischen Ungarn zu tun, aber andererseits mit der Überzeugung, dass die in Westeuropa nahezu selbstverständlich gewordenen Auflösungen mancher einengenden Prägungen und Hierarchien des klassischen Komponierens ihm substanzielle neue Möglichkeiten des künstlerischen Gestaltens offerierten und seine Fantasie enorm stimulierten. Zwischen seinem ersten nach dieser Krise komponierten Werk, dem von ihm demonstrativ als »Opus 1« rubrizierten Streichquartett von 1959, und manchen zuvor entstandenen Arbeiten liegt dementsprechend eine große ästhetische Distanz. Erst von diesem Werk an partizipierte der Komponist – wie er in Worten, aber vor allem in seinen Werken zu verstehen gab – an jener schon seit Beethovens Zeiten prägenden Grundidee der musikalischen Moderne, die im höchst variablen Spiel mit unterschiedlichsten Traditions- und Sinnmomenten besteht.