Название | Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Книги о Путешествиях |
Серия | |
Издательство | Книги о Путешествиях |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783280090794 |
Auf die Euphorie folgte die Krise
Die Tage auf Ko Phangan verstrichen in einer äusserlich konstanten Harmonie: Kokospalmwedel wiegen anmutig wie Tempeltänzerinnen in der lauen Meeresbrise. Statt Nachrichten schauen die Menschen Sonnenuntergang. Am Morgen klingelt kein Wecker, und es gibt keinen Anlass zu schlechter Laune. Dennoch machte sich nach zwei Monaten Muscheln sammeln eine massive Verstimmung breit. Mein Reisepartner und ich zerstritten uns dermassen, dass er zurückgefahren wäre, hätte er nicht den Spott der Daheimgebliebenen gefürchtet.
Da hatten wir jahrelang gespart, Job, Wohnung, Freunde, alles aufgegeben, und nun war im Paradies die Hölle los. Die Freiheit hatte uns aus der Fassung gebracht. Denn jeder Tag bietet die Möglichkeit, zu bleiben oder weiterzufahren, jeder Tag erfordert erneut den Entscheid, was mit ihm anzufangen ist. Wodurch definiert sich Freiheit? Tun und lassen zu können, was uns gefällt, machte uns jedenfalls nicht frei. Diese Art von Freiheit fühlte sich im Gegenteil ganz unerwartet als Bedrohung an.
Wir rauften uns zusammen und entdeckten neue Welten: Auf Java klagte uns eine Palastführerin, ihre Mutter sei verhext worden. Ein Rikscha-Fahrer outete sich als ehemals politisch Aktiver, der sich nach einem Gefängnisaufenthalt gezwungen sah, fortan zu schweigen. Auf Bali leben die Menschen ganz selbstverständlich mit Hausgeistern, und im australischen Cairns klauten sich Rucksacktouristen gegenseitig Kleider von der Wäscheleine. Die Begegnungen mit Menschen begann uns zu faszinieren, ebenso die Relikte verblasster Hochkulturen, die Stätten der Götterverehrung und die Natur, die Blüten treibt, wie ich sie mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.
Verkehrte Welt
Mit jedem Kilometer wurde die Welt relativer. Unsere Reisegenossen im australischen Outback, eine Engländerin und zwei Kanadier, disputierten jedes Mal, wenn’s darum ging, uns ein neues Wort beizubringen: «It’s a torch.» – «No, that’s a flashlight.» Die Mondsichel leuchtet verkehrt herum am überwältigend strahlenden Nachthimmel. Und in Alice Springs meinte ein australischer Gastgeber, nachdem wir alles aufgegessen hatten: «Schön, dann gibts morgen Regen.»
In Sydney mussten wir uns entscheiden: Das Budget für zwei Monate Neuseeland entspricht in etwa dem für fünf Monate Südostasien. Zeit ist Geld, selbst auf Reisen. Cheap, cheap, cheap. Manche Traveller haben es sich zum Sport gemacht, mit möglichst wenig Geld durchzukommen – oftmals auf Kosten anderer. Small Talk unter Rucksackreisenden kreist immer mal wieder ums Geld, wie günstig dies sei, welch ein Halsabschneider jener sei. Erinnert an Gespräche zuhause über Designerklamotten und das neuste Videogerät. Alles gleich, bloss anders herum? Warum sind Menschen auf Reisen?
Ein Schweizer Ehepaar bestellte auf der malaysischen Insel Tioman ausschliesslich Rösti und zählte die Tage, bis sie endlich zurück in die Schweiz fahren konnten. Zur Hochzeit hatten sie sich Round-the-World-Tickets gewünscht, und seit beinahe einem Jahr waren sie pausenlos unterwegs. Vier Tage Schanghai war ihr längster Aufenthalt an einem Ort. Ich wäre unter solchen Umständen zusammengebrochen.
Unterwegs sein
Für mich bedeutet Reisen vor allem Zeit haben. Zeit, sich einzulassen auf sich selbst, auf die Umgebung und auf die Menschen. Die ersten Jahre als Globetrotter stellte ich Vergleiche an. Die Länder entpuppten sich als Persönlichkeiten mit diversen Charaktereigenschaften. Manche haben sich zu Vertrauten entwickelt, mit denen es sich wie mit Freunden verhält. Ich respektiere sie, freue mich über ihre inspirierenden Seiten und bemühe mich um einen versöhnlichen Umgang mit ihren schwierigen Aspekten.
Auf der Rückreise durch Burma, China, Hongkong und die Philippinen zerbröckelte die Illusion einer heilen Welt vollends. Meine eigenen Ansprüche ans Leben wurden bescheidener in materieller Hinsicht, aber anspruchsvoller im Hinblick auf das, was ich leben wollte. Ein Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen, die Freiheit, seine Individualität in einer Gemeinschaft zu leben, könnten offenbar als Voraussetzung für Glück ausreichen. Bloss ist die Welt viel komplizierter: Politik, Geschichte, Kultur – Fakten, die aus der Entfernung ziemlich abstrakt wirken – präsentieren sich vor Ort als pralles Leben.
Zwar ähneln sich die McDonalds-Filialen in allen Metropolen zwischen Sydney und Peking, dennoch lebt jeder Ort seinen eigenen Rhythmus. Jeder Ort ist so einzigartig, dass man süchtig danach werden kann, immer wieder neue zu erleben.
Kommt hinzu, dass sich Orte und Grundvoraussetzungen innerhalb kürzester Zeit ändern können: Kaum hatten wir Visa für Papua-Neuguinea besorgt, brachen dort Unruhen aus, die Dutzenden von Weissen das Leben kosteten. In Singapur wurden innerhalb von sechs Monaten ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht, um neue Wolkenkratzer hochzuziehen. Miami Beach, vor Jahren noch abgewrackt und gefährlich, hat sich hingegen zu einer attraktiven und relativ sicheren City gemausert.
Wer reist, der setzt sich aus
Der Körper muss ungewohnte Nahrung verdauen und wird auf die eine oder andere Weise immer mal wieder verletzt. Auch fällt es vorerst schwer, die Menschen in fremden Kulturen einzuschätzen. Als wir in Bangkoks Vergnügungsviertel Patpong eine Rechnung beanstandeten, reihten sich plötzlich fünf kräftige Männer mit grimmigen Mienen vor uns auf. In der Hauptstadt Belize beachteten wir nach einer bedrohlichen Begegnung eingeschüchtert den Rat, nach dem Eindunkeln keinen Schritt vors Haus zu machen.
Auch die Gefahren der Natur werden immer wieder unterschätzt. Der Trip zum Ujung Kulon hätte uns und der ganzen Schiffsbesatzung während eines Monsunsturms fast das Leben gekostet. Und so, wie man hierzulande über Japaner witzelt, die in Turnschuhen das Matterhorn besteigen wollen, mokieren sich Australier über Fremde, die trotz Krokodilen in Flüssen baden.
Auf all den Reisen habe ich allerdings niemanden getroffen, der Diebstahl oder Unfall nicht auf eigene Nachlässigkeit zurückgeführt hätte. Und mehr noch als im normalen Alltag spiegeln unterwegs Ereignisse und Gegebenheiten vor allem die eigene Befindlichkeit.
Die Wahrnehmung von Ereignissen, die Zugang in die internationale Presse finden, entsprechen jedoch kaum je der Realität. Die Daheimgebliebenen fürchteten, ganz Indien stünde unter Wasser, als es eine Meldung über Überschwemmung gab. Dabei ist Indien so gross und vielseitig wie Westeuropa. Andererseits tippten sich Bekannte in Hongkong kurz vor unserer Rückreise an die Stirn: «Tschernobyl in Russland, Bombenanschläge in Paris. Und ihr wollt zurück ins untergehende Europa?» Aus der Distanz erscheint auch die Schweiz in neuem Licht. Trotzdem war der Schock massiv, als wir nach eineinhalb Jahren an einem regnerischen Morgen auf dem Flughafen Zürich landeten.
Ist Globetrotterblut angeboren?
Meine Mutter beschwor uns Kinder öfters, dass Reisen wichtig sei. Die Geschwister machen trotzdem nicht mehr als Ferien. Globetrotterblut fliesst unabhängig von Erziehung und Konditionierung in den Adern, unterscheidet sich aber von dem der Nomaden, die ihre Sippe, ihren Wohnwagen, ihren Alltag mit auf die Reise nehmen.
Globetrotter wagen sich in fremde Welten vor und passen sich nur bedingt den lokalen Gesellschaftsstrukturen an. Sie sind frei bis auf das, was sie selbst sind. Deshalb werden Globetrotter früher oder später unumgänglich mit sich konfrontiert. Das kann zeitweise ausarten, weil die Kontrollmechanismen eines geordneten Lebens wegfallen. In Goa und anderswo in Asien erregen beispielsweise immer wieder junge Israelis die Aufmerksamkeit, weil sie nach hartem Militärdienst in ihrer Heimat endlich die Freiheit verspüren, sich auszuleben – und dabei öfters krass übertreiben.
Globetrotter sind auf der Suche nach was auch immer. Sie sind Individualisten wie jeder andere Menschenschlag. Und meistens wird über sie auch nur dann berichtet, wenn es Skandale zu vermelden gibt. Immerhin werden Globetrotter gezwungen, über den eigenen Tellerrand zu schauen, und viele, die ich kenne, konnten ihren Horizont dadurch wesentlich