Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule. Группа авторов

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Название Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule
Автор произведения Группа авторов
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783280090794



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die allgemeine Ökonomie unseres Daseins verbessert, unser Planet wurde – zumindest in der westlichen Welt – zu einem komfortableren Aufenthaltsort. Gleichzeitig hat sich unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert: Wir leben in einem Kosmos technischvirtueller Realität, der in vielen Berufen zu einem Verlust an Wirklichkeit und Identität geführt hat. Das aseptische «Raumschiff Erde», die Dominanz der Drucktasten- und Sensoren-Kultur führt viele Menschen in beengende Sachzwänge und lässt wenig Raum für Erfahrungen und Begegnungen. Friedrich Nietzsche hat mit dem Gedanken von der «ewigen Wiederkehr des Gleichen» dieses globale Phänomen bereits vor über 100 Jahren treffend charakterisiert.

      Die Unvollkommenheit des Menschen, die Ausgangspunkt aller technischen Entwicklung ist, hat sich in vielem in ihr Gegenteil verkehrt: In unserer Kultur der Beschleunigung wird man den Eindruck nicht los, gleichzeitig in einem rasenden Stillstand verharren zu müssen. Dass dies Fluchtbewegungen auslöst, ist verständlich. Ist das Phänomen des Massentourismus hier einzuordnen – oder weist es uns auf tiefere Sehnsüchte hin?

       Sehnsucht oder Flucht?

      Auch der Tourismus ist eine Form und Folge der Globalisierung: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts verzeichnet er ein dramatisches Wachstum. Von 1950 bis ins Jahr 2000 stieg die Zahl der Auslandreisen von 30 auf 700 Millionen jährlich. Bis in fünf Jahren wird die Milliardengrenze erreicht sein. Spektakuläre Wachstumsraten von jährlich 10 Prozent rühren daher, dass Ferien und Freizeit für die meisten Menschen in den reicheren Ländern – das heisst, für jeden sechsten Erdbewohner – erschwinglich geworden sind.

      Woher kommt diese Bewegungslust? Holen wir uns Rat bei zwei weit gereisten Schriftstellern. Robert Louis Stevenson spricht vom Abenteuer, vom Wert des Einfachen, dessen man sich erst in der Fremde bewusst wird. «Worauf es ankommt», schrieb er von seiner Reise mit dem Esel durch die Cevennen, «ist, in Bewegung zu sein, die Notwendigkeiten und die Hindernisse unserer Existenz unmittelbarer zu spüren, dieses bequeme Federbett der Zivilisation zu verlassen und festzustellen, dass der Boden unter den Füssen aus Granit besteht und mit scharfen Kieseln bestreut ist.»

      Und Erhart Kästner notierte unter die Frage «Warum reist man eigentlich?» folgende Antwort: «Man reist, um die Welt bewohnbar zu finden.» Denn dass sie nicht mehr bewohnbar sei, ist ein Verdacht, der aufkommt … langsam dämmerts: Es war die «Kunst aller Künste, diese Welt zu bewohnen. Eine Kunst, die zeitweilig glückte, und nun auf einmal nicht mehr.»

      Beiden Aussagen ist etwas gemeinsam: Indem wir uns in Bewegung versetzen und uns vom Alltags-lch und seinen Fesseln lösen, werden wir empfänglich für neue Erfahrungen und Gedanken und Teil eines grösseren Ganzen. Das moderne Phänomen «Tourismus» entspringt einer tiefen Sehnsucht vieler Menschen nach Begegnung mit der Welt.

       Der Dreiklang guten Reisens

      Im Jahr 1984 habe ich mich, wenige Monate nach der Matur und mit dem ersten verdienten Geld in der Tasche, in einen Zug gesetzt und bin mit Sack und Pack nach Italien gefahren. Begleitet hat mich eine erlebnishungrige Freundin, die bis heute meine Frau ist. Mein Bruder führte damals ein Aussteigerleben in der Toskana. Seinen Motorroller der Marke Lambretta mit gleichem Baujahr wie ich (1964) trat er mir leihweise ab. Ziel war die Erkundung Südosteuropas. Was ich während der folgenden Monate zwischen Kreta, dem griechischen Festland und dem noch vereinten Jugoslawien – Staatspräsident Tito war erst drei Jahre tot – erlebte, hat alle meine folgenden Reisen beeinflusst. Und es hat mich dazu bewogen, immer wieder auf Entdeckungsreise zu gehen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Eine Entdeckungsreise kann auch aus einer Fahrradtour oder einer Alpenwanderung bestehen – oder einem Ausflug in Nachbars Garten, wie Kinder sehr gut wissen. Die grosse Distanz allein macht noch keine Reise. Halten wir also den Dreiklang des guten Reisens fest.

      Erstens: Reisen ist eine bewusste Bewegung ins Unsichere. Unterwegs hat mich stets ein Satz der Philosophin Simone Weil begleitet: «Andere zu entwurzeln, ist das schlimmste aller Verbrechen, aber sich selber zu entwurzeln, die grösste Errungenschaft.»

      Ist nicht jede Reise eine freiwillige und heilsame Entwurzelung? Kennen wir nicht alle das Zögern kurz vor dem Weggehen, die kleine Angst vor dem Unbekannten? Wir müssen es in Kauf nehmen. Ohne das Wagnis der Unsicherheit gibt es keine gelungene Reise. Mit «gelungen» meine ich: eine Reise, die uns geografisch weg, innerlich aber zu uns selbst führt. Deshalb darf eine Reise nie vollständig geplant sein. Sie kann Orientierungspunkte enthalten, muss aber Zeit und Raum für Wagnisse lassen. Eine Reise soll immer auch anstrengend sein – nur dann ist sie erholsam.

      Zweitens: Reisen ist Befreiung durch Begegnung. Warum geht man weg? Um zu sehen, wie andere Menschen und Völker diesen Planeten bewohnen. Und um zu sehen, wie andere Menschen, für die wir Fremde sind, uns wahrnehmen und begegnen. Könnte uns dieser Perspektivenwechsel nicht eine lebendige Vertrautheit mit der Welt ermöglichen?

      Voraussetzung dazu ist allerdings auch hier ein Wagnis: das, auf andere Menschen zuzugehen, ihre Sprache zu lernen, ihre Kultur zu verstehen. So gesehen ist Reisen nichts anderes als ein langes Gespräch, als das Zufallen von Begegnungen mit Menschen und mit Orten. Und es könnte ein Wegbereiter zu einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz sein. Denn: Wer anderen begegnet, nimmt Anteil und erwacht gleichzeitig zu sich selbst. Wäre das nicht das wirksamste Mittel gegen grassierende Gleichgültigkeit? «Wer nicht reist, kennt den Wert der Menschen nicht», sagte der unermüdliche arabische Wanderer Ibn Battuta, der aus lauter Freude an der Sache zu Fuss von Marokko nach China und wieder zurück ging. Sein Wort gilt heute noch.

      Drittens: Reisen sind Geburtshelfer von Gedanken. Ist es ein Zufall, dass Goethe auf seiner Italienreise die Idee der Urpflanze hatte? Er bekannte: «Dagegen finden wir, dass neue Gegenstände in auffallender Mannigfaltigkeit, indem sie den Geist erregen, uns erfahren lassen, dass wir eines reinen Enthusiasmus fähig sind; sie deuten auf ein Höheres, welches zu erlangen uns wohl gegönnt sein dürfte. Dies ist der eigentlichste Gewinn der Reisen, und jeder hat nach seiner Art und Weise genügsamen Vorteil davon. Das Bekannte wird neu durch unerwartete Bezüge und erregt, mit neuen Gegenständen verknüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.»

      Was Goethe beschrieben hat, bestätigt heute die Wissenschaft: Hirnspezialisten haben Enzephalogramme von Reisenden gemacht. Sie entdeckten, dass die bewusste Wahrnehmung des Fremden, von Klima, Landschaften und abwechselnden Jahreszeiten die Hirnaktivitäten stimuliert und zu einem Gefühl des Wohlergehens und zu einem aktiven Leben beitragen.

      Reisen sind Geburtshelfer von Gedanken – abseits der gewohnten Pfade entstehen innere Zwiegespräche, reifen Erkenntnisse, die sich wohltuend von dem abheben, was uns der feste Rahmen zu Hause oft zu verstehen gibt. Denn die Person, die wir im Alltagsleben sind, kann sich durchaus unterscheiden von dem, was uns wirklich ausmacht.

      Wagen wir also von Zeit zu Zeit eine Wanderung, die uns verwandelt – machen wir eine Reise, die uns auf uns selbst zurückführt und ganz werden lässt. Oder, um es mit den Worten von Basho, dem japanischen Haiku-Dichter des 17. Jahrhunderts, auszudrücken: «Allein unter dem Himmel, das heisst zwei Wanderer.» Denn der Himmel zieht auch mit.

      image Globetrotter-Magazin 60, Sommer 2001

       Wenn in den Adern Globetrotterblut pulsiert, bricht irgendwann das Reisefieber aus

       Erfahrungsbericht von einer Langzeitreise 1985/86

       Von Claudia Schneider

      Bangkok überwältigte: der Lärm, das Chaos, die vielen Menschen. Die thailändische Metropole war der erste Ort, den ich ausserhalb Europas besuchte – die erste Station auf einer Reise, die dann eineinhalb Jahre dauerte. Der Wirrwarr in den Gassen, ungewohnte Düfte, intensive Farben, das feuchtheisse Klima und das Fremde an sich faszinierten, doch die Menschen wirkten noch gestresster und geldgieriger als in der gewohnten Umgebung. Mit 20 Jahren verband ich mit der Weltreise Hoffnungen auf andere, auf bessere Welten.