Название | Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Книги о Путешествиях |
Серия | |
Издательство | Книги о Путешествиях |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783280090794 |
Reisen als Tor zur Selbstbegegnung
Reisen kann zum grossen Lebenstor werden. Wenn man es durchschreitet, vermag man sich selbst zu begegnen, sich selbst genauer und schonungsloser unter die Lupe zu nehmen als zu Hause. Schritt für Schritt entblössen sich kleine und grössere Schwächen, die in Extremsituationen schnell ans Tageslicht kommen. Ich lernte meine anerzogenen Meinungen zu überprüfen, begann vertraute Verhaltens- und Denknormen infrage zu stellen. Das waren gewaltige innere Aufräumarbeiten.
Früher litt ich oft unter unbestimmten Ängsten. Doch je länger ich unterwegs war, desto mehr Selbstvertrauen, Mut und Zuversicht gewann ich und umso gelöster ging ich alles an. Grossen Spass machte es mir, die eigene Wandlungsfähigkeit zu entdecken. Die neugewonnene Freiheit durchlebte ich mit jeder Faser meines Seins. Das hatte aber nichts mit Sich-gehen-Lassen zu tun, sondern bedeutete eine neue Art von Verantwortung sich selbst wie anderen gegenüber. Ich lernte meine eigenen Leistungs- und Bedürfnisgrenzen kennen und benötigte immer weniger Konsumgüter, ohne die ich mir zuvor mein Leben nicht hätte vorstellen können.
Besonders schwer fiel mir auf Reisen, immer wieder von Menschen Abschied zu nehmen, die ich unterwegs getroffen hatte und mit denen mich spannende Abenteuer, gemeinsame Neigungen, Interessen und Sehnsüchte oder intensiver Gedankenaustausch verbanden. Man vertraut sich unterwegs oft vieles an, was man zu Hause keinem Menschen erzählen würde, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an diese unentwegten Trennungen gewöhnte. Und schliesslich begriff ich, dass nichts im Leben von Dauer ist.
Und nichts lehrt besser als das Reisen, dass jedem Ende ein neuer Anfang folgt. Manchmal kommt man sich rastlos vor, von einem inneren Drang weitergetrieben. Diesen Zustand kannte auch Alexandra David-Néel: «Im Menschen wohnt etwas, das stärker ist als er, das ihn Wege gehen lässt, die ohne Ziel scheinen. Dennoch ist glücklich, wer auf ihnen geht.»
Viele neue Denkanstösse erhielt ich durch die verschiedenen Philosophien und Religionsformen, die ich anfangs nur oberflächlich beäugte. Doch als ich mich damit auseinandersetzte, kamen neue Lernprozesse ins Rollen. Die persönliche Veränderung, die sich vollzog, bemerkte ich nicht gleich, da sie schrittweise geschah. Erst als ich nach drei Jahren zum ersten Mal wieder heimatliche Gefilde betrat, erkannte ich, wie sehr ich mich verändert hatte.
«You will never be the same again.» Wie oft hatte ich diesen Spruch unter Langzeitreisenden gehört. Aber erst jetzt erkannte ich seine ganze Bedeutung. Wer einmal auszog, um die Welt kennenzulernen, kehrt nicht als dieselbe Person zurück, die er oder sie davor gewesen ist. Es wäre ein Irrtum zu glauben, das gleiche Leben fortsetzen zu können, das man davor geführt hat. Vieles, was mir einst wichtig erschien, hatte an Wert verloren, und andere Dinge, die ich früher nicht einmal wahrgenommen hatte, hatten an Bedeutung gewonnen.
Diese Verschiebung von Wertigkeiten isoliert anfangs. Ich fand heraus, dass ich mich Menschen, die mir einst vertraut waren, nicht mehr in der alten Weise mitteilen konnte. Aber niemand, der von einer Reise zurückkehrt, darf erwarten, dass die Zuhausegebliebenen Erfahrungen nachvollziehen können, die völlig ausserhalb ihres eigenen Erfahrungshorizonts sind. Ihre Welt und ihr Erlebnisraum sind gleich geblieben. Diese Erfahrung kann sehr einsam machen. Und ich begriff, dass es nicht Mut braucht, um wegzugehen, sondern um heimzukehren. Es ist nicht so schwer, in der Ferne unter fremden Menschen seinen eigenen Neigungen und Wunschträumen nachzugehen. Kraft kostet es dagegen, als autonom funktionierende Individualistin, die man geworden ist, in der eigenen Gesellschaft wieder Fuss zu fassen. Jetzt heisst es, die vielseitig gewonnenen Erfahrungen und mehrfach erprobte Wandlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Wenn ich als Frau provoziere
Reisende, die aussergewöhnliche Pfade wählen, sind selten. Und noch seltener ist darunter das weibliche Geschlecht vertreten. Die Erfahrungsberichte allein reisender Frauen sind ausserdem sehr unterschiedlich. Reisen ist nun einmal eine ganz und gar individuelle Angelegenheit. Die einen erzählen von ständiger Anmache der Männer und von Schwierigkeiten jeder Art. Andere wiederum von fantastischen Erlebnissen mit den Einheimischen und einer unglaublichen Persönlichkeitsentfaltung.
Was eine Frau schliesslich erlebt, hängt von mehreren Faktoren ab: von ihrem eigenen Auftreten, ihrer Menschenkenntnis, Improvisationsfähigkeit, Intuition und nicht zuletzt von dem jeweiligen Kulturkreis, den sie zu bereisen aussucht. Viel Einfühlungsvermögen wird von der westlichen Frau vor allem in islamischen Ländern verlangt. Da heisst es, besondere Rücksicht auf den Sittenkodex zu nehmen. Mit westlichem emanzipatorischem Verhalten wird man hier vielerorts anecken.
Eine Frau, die ausserhalb von Touristenanlagen Minis, Shorts, knappe T-Shirts oder hautenge Jeans trägt, provoziert die Männer und beschämt deren Frauen. Burschikoses Auftreten imponiert Orientalen nicht, im Gegenteil: Es missfällt. Ebenfalls anstössig gilt ein Zärtlichkeitsaustausch zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit. Arabische Frauen sehen Männern auch nicht direkt in die Augen, sondern senken diese sittsam. Sucht eine Frau den offenen Blickkontakt mit einem Mann, gilt das bereits als Aufmunterung.
Eine Touristin trägt nicht zur Befreiung der muslimischen Frau bei, wenn sie an einem Strand oder Oasenbrunnen die Hüllen fallen lässt, wo einheimische Frauen den Tschador tragen. Sie fordert damit nur den Unmut der Bevölkerung heraus. Hat eine westliche Frau durch solch einen Sittenverstoss den Stolz der einheimischen Frauen verletzt, darf sie bei eventuellen Schwierigkeiten nicht mit deren Hilfe rechnen.
Muslimische Männer sind jedenfalls keine «Monster», wie sie oft von Touristinnen hingestellt werden. Und niemand erwartet von der Besucherin, dass sie sich von Kopf bis Fuss verschleiert. Sie soll aber zumindest Knie, Oberarme und Schultern bedeckt haben. Dezentes, sittsames, selbstbewusstes, aber nicht herausforderndes Verhalten trägt generell dazu bei, Missempfindungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Westliche Frauen, die der Einladung arabischer, alleinstehender Männer ins Haus folgen, müssen sich allerdings nicht wundern, wenn von ihnen mehr als Small Talk erwartet wird. Bodenloser Leichtsinn wäre es auch, in islamischen Ländern als Frau allein zu zelten.
Dass weisse Frauen in islamischen Ländern mitunter als Freiwild betrachtet werden, liegt nicht allein am anderen Rollenspiel der Geschlechter. Viele Touristinnen suchen nicht selten ganz gezielt amouröse Abenteuer, um länger mit der Reisekasse auszukommen oder um lange ungestillt gebliebene Bedürfnisse zu befriedigen. Damit erweisen sie allerdings nachfolgenden Reisefrauen keinen guten Dienst.
Aber ehrlich gesagt, westliche Frauen zeigen eher selten Respekt gegenüber dem islamischen Sittenverständnis. Kokettes Auftreten, provozierendes Schwingen der Hüften oder gar im Minirock mit gespreizten Beinen in einem Lokal zu sitzen, wo arabische Männer in Begleitung ihrer verschleierten Frauen speisen, zeugt nicht gerade von Sensibilität. In solch peinlichen Situationen habe ich seitens der Männerwelt eher Verwirrung oder Nachsichtigkeit (nicht Aggressivität) beobachtet. Böse Gesichter machten dagegen bei derartigen Konfrontationen eher die muslimischen Frauen.
Aufgrund dieser Beobachtungen finde ich es ziemlich unfair, wenn Gast-Frauen muslimische Männer generell als Sex-Lüstlinge bezeichnen, solange sie nicht selbst bereit sind, sich mit den anderen Kulturwerten auseinanderzusetzen. Das geht allerdings nur, wenn die eigenen Wertbegriffe, Ansichten und Interessen nicht zum Mittelpunkt gemacht werden. Ich persönlich mag orientalische Länder, ihre Gerüche, Farben, die Gelassenheit und Würde, die oft von alten Menschen ausgehen, aber auch den tiefgründigen Humor, der den Arabern eigen ist. Man sollte zumindest als Besucher der landesüblichen Kultur so viel Achtung entgegenbringen, wie man selbst für sich wünscht.
Da in islamischen Ländern eine Frau fast immer unter dem Schutz eines männlichen Begleiters reist, ist es in solchen Regionen von Vorteil, mit einem Partner unterwegs zu sein. Ich war in islamischen Ländern in männlicher Begleitung als auch allein auf Reisen und erinnere mich keiner besonderen Schwierigkeit, weil ich eine Frau war. Natürlich ist man als Frau durch Geschichten anderer Frauen stets gewarnt und man wappnet sich mit einer grossen Portion