Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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der Schubladenzieherei. Andere haben andere Schubladen. Es gibt Probleme mit jungen Autoren. (Aber nicht nur mit denen.) Es gibt sie, weil etwas getan wird. Die Manuskripte, die gut sind, gehen in die Druckereien. Sie werden öffentlich. Sie sind bekannt. Die in der Schublade bleiben da. Über sie war zu reden.

       4

      Es genügt nicht zu sagen: Wenn die Kraft auch versagt, allein der Griff nach Ruhm ist ruhmvoll. Junge Autoren brauchen Behutsamkeit: Sie sind verletzbar. Junge Autoren brauchen Forderungen: Ohne Widerstand entsteht nichts Bedeutendes. Wer Prosa schreibt, muss etwas zu sagen haben. Wer etwas sagen will, sollte über Erfahrung verfügen: Kunsterfahrung, Lebenserfahrung, politische Erfahrung. Ausbildung der Persönlichkeit und der literarischen Methode müssen ein simultaner Prozess sein.

      Die Verlage können einiges tun. Die Zirkel. Aber wo ist Raum? Raum, um sich zu artikulieren? Die Rubrik „Neue Namen“ in der Zeitschrift NDL reicht nicht aus. Es wird viel geschrieben bei uns hier. Aber wo gedruckt? Und wo sind die erfahrenen Autoren, wo? Patenschaften wie Gorki/Babel oder Brecht/Strittmatter sind schöne Erinnerung. Doch elegisch. Erfahrung ist nicht lehrbar, sie muss erlebt werden. Lektoren können lediglich etwas helfen beim Prozess des Sich-bewusst-werdens und beim Bewusst-machen von Problemen. Hilfe beim Erkennen der Individualität, des Wollens und nicht zuletzt des Könnens.

      Die Literatur der kommenden Jahre keimt im heutigen Klima. Es liegt an uns allen, wie sie aussehen wird.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 29. Dezember 1971

       UNGEHALTENE REDE

      Rotes Rathaus Berlin, 7. Juni 1979

      Mag sein, ich verstehe nicht, was hier geschehen soll, doch habe ich des Präsidenten besonders pointierte Rede nicht so verstanden, als solle sie das Ende aller Diskussion bedeuten. Ich halte mich an einen Satz in ihr, der sagt, Meinungsstreit sei Lebensteil und nicht abzuschaffen, ohne Wichtigstes zu beschädigen. Versuchen wir doch, vor dem Schaden klug zu sein.

      Ich melde mich zu Wort als Mitglied des Verbandes, der mir wichtig war, und rede als Beteiligter, der als Autor, als Lektor und bis zur Kollektiv-Entlassung als Redakteur der Zeitschrift „Temperamente“ an der Kultur des Landes Anteil nahm und hatte, anfangs enthusiastisch hoffend auf die versprochenen tabufreien Räume, wiederholt darin enttäuscht, nun aber, heute, hier nachhaltig irritiert und betroffen.

      Mir scheint, es geht um mehr, als heute auf der Tagesordnung steht. Die Szene ist zum Tribunal geworden. Gerichtet soll werden, neun Exempel statuiert, angeblicher Statutverstöße wegen. Wenn hier gerichtet wird, werden wir unsrer Rolle nicht gerecht.

      Es gibt vermutlich niemanden hier im Roten-Rathaus-Saal, der behaupten würde, Geschichte könne widerspruchs- und konfliktfrei verlaufen. So hübsch allgemein gesagt, ist das kein Problem. Die Schwierigkeiten im Umgang mit den Widersprüchen beginnen eben dort, wo sie konkret werden, wo sie unsere sind. Wir müssen entscheiden, ob wir sie aussprechen oder verschweigen, ob wir bereit sind, zu hören und darüber zu reden oder ob wir uns die Antithesen um die vorsorglich verplombten Ohren schlagen, ob wir die Dinge nur hinter vorgehaltener Hand im Pausengespräch bereden oder offen, was auch und nicht zuletzt heißt: öffentlich benennen. Mir scheint, die Entscheidung ist schon gefallen. Ich spüre heute und befürchte für morgen zunehmende Polarisierungen, ich beobachte Verhärtungen, vernehme Verdächtigungen, sehe Misstrauen, wiewohl öffentlich von engem Vertrauen die Rede ist (und „eng“ ist hier wohl das Zutreffende daran), und frage, wem das nützen soll. Der Literatur des Landes? Uns? Dem Verband? Dem Land? Oder jemandem oder etwas, was weit darübersteht? Stellungskriege, Grabenkämpfe verheeren die Landschaft, Totalverteidigung zerstört, was zu schützen vorgegeben wird.

      Ich ahne, man kann in solch gereizter Stimmung, in der die Gräben armiert werden, leicht zwischen die Fronten geraten und missverstanden werden. Die einen sagen: Seht, wie er sich zwischen den Standpunkten windet! Die anderen: Jetzt hat er die Seite gewechselt! Obwohl ich dazwischenstehe und närrisch mit der weißen Fahne wedle.

      Solch unglückliche Lagen hat es auch vor uns schon gegeben, und ich meine, wir könnten vielleicht aus der Geschichte lernen, zumal es sich bei dem Konflikt, an den ich hier erinnern will, um Traditionen handelt, zu denen sich dieser Verband im Statut, das hier zur Anklage der neun Kollegen herhalten muss, bekennt.

      Im Frühjahr 1932 kulminierte die Kontroverse zwischen der bürgerlichdemokratischen und der proletarisch-revolutionären Literaturbewegung, es war die Zeit vor der Reichspräsidentenwahl. Heinrich Mann setzte sich damals öffentlich für die Wiederwahl Hindenburgs ein, um, wie er meinte, den Damm gegen die faschistische Gefahr zu befestigen. Johannes R. Becher reagierte darauf in einem offenen Brief in der „Linkskurve“ mit dem Titel „Vom ‚Untertan‘ zum Untertan“, worin er Heinrich Mann bescheinigte, dass er unwiderruflich (!) zu seiner Gestalt zurückgekehrt sei. Becher nannte ihn Rahmabschöpfer und Schmarotzer, verstockter Anpasser und gar einen Agitator der faschistischen Volksgemeinschaft. Wir wissen, wie die Sache endete, und ich bringe diese Historie nicht, um Kongruenzen zu konstruieren, sondern um analoge Haltungen vorzuführen. 1933 übernahm Hitler die Zügel, Hindenburg reichte ihm das teutonische Steinbeil als Zepter, und Becher wie Mann trafen sich wenig später im Exil wieder. Klüger durch Schaden, nun deutlich sehend, dass sie Bündnispartner waren und sind, und so finden sie, spät, zu einer differenzierteren Sicht. Becher korrigiert in dem 1936 geschriebenen Essay „Aus der Welt des Gedichts“ die zugespitzte Polemik von 1932. Er schreibt: „Wo steht ein Dichter? Dort, wo er als Dichter steht: inmitten des Besten, was er geschaffen hat. Nicht unbedingt dort, wo er seine Unterschrift hinsetzt und sich politisch bekennt.“ Mir scheint, die Worte sind bedenkenswert.

      Ich frage: Werden Ausbürgerung, Ausreisen, Ausschlüsse zu einem guten Ausgang führen? Werden damit nicht sogenannte Fälle nur für den Augenblick, also scheinbar, gelöst, zugleich aber ständig neue geschaffen? Und schmerzen nicht auch die amputierten Glieder? Führt das forcierte Kämpfen nicht auch zu späteren Krämpfen?

      Lasst mich zum Schluss sagen, dass ich kein besseres krampflösendes Mittel weiß als die kontroverse und zugleich tolerante Diskussion des Strittigen, die Diskussion, wo sonst als hier in diesem Verband.

      Ich denke, niemand erwartet von mir, dass ich, überzeugt, das Falsche zu tun, die Hand für die Ausschlüsse meiner Kollegen hebe.

       DER LAUTLOSE KRIEG

       1

      Als der Krieg begann: Diesen Satzanfang wird es nach einem nächsten Krieg nicht geben. Noch möglich war und ist Erzählen nach dem, der vor fünfzig Jahren begann. Dem größten seiner Art, der bislang üblichen. Welt-Krieg genannt, doch nicht die ganze Welt erfassend. Menschen verschlingend, doch nicht die Gattung Mensch. Sechzig Millionen Opfer, und doch Millionen, die er überleben ließ und die von ihm erzählen können mit eben diesem Satzanfang: Als der Krieg begann. Sich erinnernd. Uns, die in ihm und später Geborenen, erinnernd.

      Das war der alte Krieg. Der seit Jahrtausenden tausendfach geführte, der seine Potenz zu töten immens gesteigert hatte, doch unfähig blieb, alles Leben auszulöschen. Er begann damit, wie vordem auch, dass eine Landesgrenze überschritten wurde. Doch dieser alte und in Europa vorerst letzte der gewöhnlichen überschritt an seinem Ende noch eine Grenze. Die eigene. Der alte, müde und satt vom Würgen und Schlingen, bauchhöhlenschwanger von gesoffnem Blut, platzte auf und stieß aus der zu eng gewordenen Panzerhaut ein plumpes Eisenei. Die Stunde einer infernalen Niederkunft. Der Beginn eines neuen Zeitalters, des nuklearen. Es war die Missgeburt der Bombe, die, detonierend, heller strahlte als das Licht der Welt und Menschenschatten auf Ruinenwände brannte. Geburtsname: Little Boy. Geburtsdatum: 6.8.1945. Geburtsort: Hiroshima. Ein perfektes Monstrum war geboren, das sich spaltend weiterheckte und ungeheuer wucherte, eine Kopfgeburt instrumentellen Denkens, der Ethos und Vernunft entglitt und im kalten Klima