Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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Klosettdeckels mittels der Tür“ und Otto Leiber aus Königsfeld 1926 einen „Hilfssitz für Nachtgeschirre“ mit Musikauslösung bei Belastung.

      Aber auch die holde Weiblichkeit leistete ihren Beitrag im Patentwesen, so unter anderem Emilie Friedrich aus Berlin, die 1920 eine „elektrische Vorrichtung zur Verhütung des Bettnässens“ entwickelte, die bei Beginn der unerwünschten Blasenentleerung einen empfindlichen Stromstoß auslöste und das jähe Aufwachen des kindlichen Schlafpinklers verursachte. Edmund Naundorf aus Luckenwalde zählte sicher zu den glühenden Verehrern der Dichtkunst von Friederike Kempner und deren schrittmachenden Bemühungen um die Scheintoten, denn er erfand philanthropischerweise 1895 einen „Sarg mit Schaufenster“, um den Scheintoten die Möglichkeit zu lassen, bei der Aufbahrung den innen angebrachten Vorhang zur Seite zu ziehen und den Trauernden Winkzeichen zu geben.

      Kriegerischer Natur dagegen ist die Erfindung von Carl Hamann aus Bergedorf im Jahre 1898, das sogenannte „Handrad zur Unterstützung beim Kriechen, das vorzugsweise militärischen Zwecken dienen soll und aus einem Handstützrad besteht, welches beim Kriechen des Soldaten zum Heranschleichen an den Feind benutzt wird“. Hätte diese Erfindung nicht auch im Zivilbereich Verwendung finden können? Walter Gerdes aus Berlin erfand 1928 eine „Fahne mit Längs- oder Querstreifen“ und schrieb dazu: „Es ist üblich, feierliche Ereignisse, insbesondere solche politischen Charakters, durch Tragen oder Aufziehen einer Fahne zu bekunden. Zahlreiche Kreise der Bevölkerung haben hierbei nun den Wunsch, die Farben der Fahne der politischen Verschiedenheit der Ereignisse jeweils beliebig anpassen zu können. Das Publikum steht vor dem unter dem Namen Flaggenfrage bekannt gewordenen Problem und vor der Entscheidung, entweder eine zweite Fahne anzuschaffen oder von einer äußeren Bekundung seiner Teilnahme an dem betreffenden Ereignis abzusehen.“ Kollege Gerdes fand die Lösung in verschiedenfarbigen, verschiebbaren Stoffstreifen, die mittels Druckknöpfen umgesteckt werden konnten. Damit endete die Mappe: schade. Ich aber frage: Werden die sogenannten Kuriositäten nur nicht mehr gesammelt oder werden solche verdienstvollen Erfindungen heutzutage nicht mehr eingereicht?

      Ich schlug die Mappe zu, beruhigt, meine Erfindung nicht gefunden zu haben. Es handelt sich dabei weder um ein Damenstrumpfband mit Glühbirne noch um eine zusammenklappbare Zahnbürste – das sind unseriöse Spielereien, meine Erfindung setzt unvergleichlich höher an. Sicher ist jedem schon einmal aufgefallen, dass bei Fleischmahlzeiten Knochen übrigbleiben, die zumeist in abgenagter Form auf den Tisch gelegt werden oder aber auf einen dafür vorgesehenen Teller, beides ist gleichwohl kein schöner Anblick. Also habe ich einen Teller konstruiert, der auf seinem Rand eine verschließbare Öffnung aufweist. In diese Öffnung werden die Knochen gesteckt, der Deckel wird geschlossen, und sofort beginnt eine eingebaute Heizvorrichtung, die Knochen zu kochen, anschließend werden dem Knochenfett die einschlägigen chemischen Substanzen beigegeben, das Ganze wird eingedickt, gepresst, und nach Beendigung der Mahlzeit kann so unter dem Tellerrand eine Stück Seife entnommen werden, welchselbiges zum nachfolgenden Händewaschen benutzt werden sollte. Jeder wird zugeben müssen: eine ebenso nützliche wie hygienische Erfindung. Leider weist der Teller aus technologischen Gründen nun einen Durchmesser von mehr als einem Meter auf, doch wo ist schon etwas vollkommen.

      Dann gab ich die Mappe ab, und wieder lächelte man hinter dem Schalter. Als ich das Patentamt verließ, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob ich meine Erfindung schon jetzt zum Patent anmelden sollte. Ich werde sie wohl noch einige Zeit reifen lassen, die Menschheit hat so lange darauf warten müssen, da kommt es auf ein paar Jahre doch nicht an.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 9. November 1971

       DER LEKTOR ALS ENTDECKER

       1

      Junge Autoren: gesucht.

      Gesuchte und Suchende sind wie Perlmuschel und Taucher. Der Taucher ist der Lektor. Zuerst muss er überhaupt mal Muscheln finden. Dann müssen die Muscheln geöffnet werden. In wenigen nur findet sich eine Perle. Manche sind völlig leer. Etliche zeigen eine hübsche Schale. Mehrere tragen innen eine Perlmuttschicht. Bei anderen ist die Perle noch klein, sie wächst aber noch. Muscheln können auch gezüchtet werden. Das geschieht in sogenannten Verlagen. Außerdem gibt es Muscheln, die sich anbieten: Sie liegen am Strand. Die offizielle Bezeichnung für sie lautet: unaufgefordert eingesandte Manuskripte. Deren Begleitschreiben sind äußerst informativ. Es gibt solche, die um Prüfung und kritische Hinweise bitten, und solche, die Erscheinungstermin, Papierqualität und Honorarhöhe bestimmen. Genug des Vergleichs. Er ist gut, aber schlecht.

       2

      „Aber zu dir, teurer Jüngling, gesell ich mich, der du bewegt dastehst und die Widersprüche nicht vereinigen kannst, die sich in deiner Seele kreuzen, bald die unwiderstehliche Macht des großen Ganzen fühlst, bald mich einen Träumer schiltst, dass ich da Schönheit sehe, wo du nur Stärke und Rauheit siehst … Die Kunst ist lange bildend, ehe sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die Schönheit selbst. Denn in dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu fürchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, ihm seinen Geist einzuhauchen …“ (Goethe)

       3

      Lektoren sitzen an Schreibtischen. Links der Stapel ungelesener Manuskripte, rechts die gelesenen, oder umgekehrt, da liegt der Spielraum für Individualitäten. Dazwischen der Kopf. Der liest. Fabeln findet. Raucht. Handlungsstränge knüpft. Muster und Motive entdeckt. Begabung spürt. Fleiß anerkennt. Zur Uhr schaut. Und schließlich in Schubladen katalogisiert. (Im Übrigen ist es immer leichter, für andere als für sich weise zu sein.)

      Schublade 1: Literatur aus Literatur. Fabelführung, Konflikt-Konstellation und Stil sogar erscheinen wundersam bekannt. Geklaut darf werden, wenn: es keiner merkt, wenn: dadurch Besseres entsteht. Manch einer muss, um etwas zu finden, erst wissen, dass es da ist. Alles das braucht nicht bewusst zu geschehen. Höflich gesagt: Das Subjekt des jungen Autors ist in diesem Falle zu zaghaft. Notwendig aber ist es in jedem Fall. „Denn Dichten ist eine geistige Hervorbringung und der Geist existiert nur als einzelnes wirkliches Bewusstsein und Selbstbewusstsein.“ (Hegel)

      Schublade 2: Die hemmungslos gefluteten Gefühlsschleusen. Alles kommt auf einmal: Bildungsgut, Gefühle, Bekenntnisse, Allergien. Das sind autobiografische Entwicklungsgeschichten in wenig distanzierter Schreibweise. Aber nichts hindert so sehr, genial zu sein, wie das Bestreben, es zu scheinen. Jeder Mensch ist unverwechselbar, einmalig. Nicht jede Biografie muss deshalb lesenswert sein. Allerdings: Die Reflexion über das Ich ist Voraussetzung zur Gestaltung der äußeren Realität.

      Schublade 3: Das Abseitige, gesellschaftlich bereits Überholte, das illustrativ Historische. Hier finden sich die Fleißarbeiten. Oft mit Herzblut geschrieben. Deswegen nicht selten tragisch. Zum Beispiel: Eine zweibändige Entlarvung des Aberglaubens in Thüringen im Jahre 1919. Oder: Das Schicksal der dressierten Zirkusrobbe Betty zur Zeit des Kapp-Putsches. Offensichtlich fehlt diesen Autoren ein wenig der Kontakt zur gesellschaftlichen Praxis.

      Schublade 4: Die künstlich gestreckten Manuskripte. Die Möglichkeiten eines Stoffes werden überschätzt, das Gegenteil ist seltener. Der kleine Stoff wird auf Länge getrimmt. Mit seitenfressenden Landschaftsbeschreibungen: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Mit Dialogen der Art: Nein, sagte er. / Ja, sagte sie. / Nein und nochmal nein, sagte er, irgendwie erregt. / Doch, sagte sie und ihre Nasenflügel bebten leicht … Zum Wein wird Wasser gepanscht. Die Sache schmeckt fad.

      Schublade 5: Die theoretische Literatur. Da wird kühn ein Theorem genommen und dieses umschrieben. Es entsteht die literarisch ornamentierte Illustration des Theorems. Die Aufgabe der epischen Poesie aber ist noch immer, letztes Hegel-Zitat: „… das Geschehen einer Handlung darzustellen und deshalb nicht nur die Außenseite der Durchführung von Zwecken festzuhalten, sondern auch den äußeren